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INTERNATIONAL/081: Rechtsstreitigkeiten erzwingen Koexistenz von Palästinensern und Israelis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2012

Nahost: Rechtsstreitigkeiten erzwingen Koexistenz von Palästinensern und Israelis

von Pierre Klochendler


Badr Abu Ad-Dula vor seinem Haus - Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Badr Abu Ad-Dula vor seinem Haus
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Sheikh Jarrah, Ostjerusalem, 19. September (IPS) - "Sehen Sie die Einschüsse dort? Die stammen aus den Kriegen von 1948 und 1967", sagt Badr Abu Ad-Dula und zeigt auf die Löcher an der Außenmauer seines Hauses. "Und dort befindet sich der jordanische Außenposten." Der 60- Jährige deutet mit dem Kopf in Richtung Schlafzimmerfenster.

Das dreistöckige Gebäude liegt auf einem Areal, dass vor 1967 Niemandsland war, eingeklemmt zwischen dem östlichen und westlichen Teil Jerusalems. Fünf Familien - rund 79 Menschen - leben hier unter einem Dach. Allein die Ad-Dulas zählen 13 Mitglieder. Ihnen allen droht die Vertreibung durch die israelische Siedlergruppe 'Nahalat Shimon', die eine gezielte Ansiedlung von Juden in der Nachbarschaft betreibt.

Als das Gebiet unter jordanischer Herrschaft (1948-1967) stand, durften Palästinenser, mehrheitlich Flüchtlinge, die Häuser ehemaliger jüdischer Eigentümer in Ostjerusalem besetzen. Grundlage für das Arrangement bildete das jordanische Recht, Feindesgut zu beschlagnahmen. Die Palästinenser ersetzten die Israelis, die fortzogen, um auf der israelischen Seite zu leben.

Um sich Grundstücke und Häuser von Palästinensern anzueignen, bedienen sich ultranationalistische Israelis des berüchtigten Gesetzes über das Eigentum Abwesender von 1950. Es erlaubt die Enteignung von Besitztümern von Palästinensern, die während des Krieges von 1948 geflohen oder vertrieben worden waren.


Schwierige Nachbarschaft

In der gleichen Straße, in der die Ad-Dulas leben, kommt ein jüdischer Aktivist aus einem Haus, das bis vor vier Jahren allein von den Al- Kurds bewohnt wurde. Jetzt lebt die palästinensische Familie im hinteren Teil des Gebäudes. 'Lasst uns Palästina von dem linken Abschaum befreien', ist auf der Mauer des Vorderhauses zu lesen, das jetzt von Israeli Yaakov Fauci bewohnt wird. "Pro-palästinensische Aktivisten haben ihren Teil geschrieben, wir unseren", meint er.

Die Wohnverhältnisse entbehren nicht einer gewissen Ironie. Weil das Vorderhaus illegal angebaut wurde, hat der Oberste Gerichtshof den Umzug der Al-Kurds in den legalen hinteren Teil des Gebäudes angeordnet. "Wir sind somit in den illegalen Teil eingezogen", sagt Fauci. "Das ist schon eine merkwürdige Situation - einmalig in der israelischen Rechtsprechung: Wir leben legal in einen illegalen Gebäude."

Die rechtlichen Verfahren, die sich über Jahre hinziehen können, tragen dazu bei, dass die Streitparteien unfreiwillig zum Zusammenleben gezwungen werden. Beide Seiten behalten sich im Auge. Die von israelischen Siedlern besetzten Häuser sind mit Überwachungskameras ausgestattet. "Wir müssen auf das, was wir haben, aufpassen", meint Fauci.

Im Hause von Badr Abu Ad-Dula denkt man ähnlich. "Hier kriegt man mich nur mit Bulldozern raus", sagte Badr Abu Ad-Dula. "Ich lebe hier seit 57 Jahren und werde bleiben. So einfach ist das."

Ad-Dula war drei Jahre alt gewesen, als er in das Gebäude zog. Nach dem Krieg von 1948 wurde es von den jüdischen Eigentümern verlassen. Damals lebten die Ad-Dulas in der Altstadt von Jerusalem. Sie waren arm. Als die jordanischen Behörden 1955 den Palästinensern das Recht erteilten, die leerstehenden Häuser zu besetzen, zog die Familie in ihr jetziges Heim ein. "Damals hielt man uns für verrückt, dass wir so nahe an der Grenze leben wollten."

Wenige Monate nach der Wiedervereinigung der Stadt unter israelischer Herrschaft 1967 kamen die ersten Forderungen nach einer Rückgabe der verlassenen Besitztümer. Im Fall der Ad-Dulas sprach ein israelisches Bezirksgericht 1972 das Gebäude den ursprünglichen Besitzern zu. "Das Haus gehört also Juden, O.K. Allerdings kann man uns nicht zum Verlassen zwingen", so Ad-Dula. "Wir dürfen das Gebäude nicht sanieren, O.K. Aber gleichzeitig ist es den Eigentümern untersagt, die Miete anzuheben."


Neues Verfahren

Vor zwei Jahren verkauften die Eigentümer das Haus an den jüdischen US-Tycoon Irving Moskowitz, der viele Siedlungsprojekte im den palästinensischen Teilen der Stadt vorantreibt. Der Fall geht nun erneut vor Gericht. "Moskowitz will alle Araber von hier vertreiben. Es gibt aber ein Gerichtsurteil und wir zahlen schließlich Miete", sagt Ad-Dula trotzig, der Verwaltungschef des nahe gelegenen Mount-Scopus-Hotels ist.

Ad-Dulas Nachbarin Umm Auni Bashit berichtet, dass ihre Familie vor dem Krieg von 1948 im jüdischen Viertel Jerusalems vier Läden und sieben Häuser besessen hat. "Sollen die Israelis mir diesen Besitz zurückgeben", meint die Palästinenserin.

Israelische Siedler argumentieren gern, dass die Inbesitznahme von palästinensischem Eigentum auf der Grundlage eines legitimen Krieges erfolgt sei. "Wenn den Palästinensern das nicht gefällt, können sie ja vor Gericht gehen", meint ein Siedler, der sich Anonymität ausbat.

Der Abend zieht herauf. Die Ad-Dulas finden sich zum gemeinsamen Abendessen ein. Es gibt gebratenes Huhn, Reis und Salat. "Ich wünschte, meine Kinder und Kindeskinder könnten so wie ich ihr ganzes Leben hierbleiben", meint das Familienoberhaupt. "Doch sie werden wegziehen müssen", fürchtet er. "Die Siedler haben die Gesetze und Anwälte auf ihrer Seite. Uns bleibt nur noch unser Gottvertrauen." (Ende/IPS/kb/2012)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2012