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INTERNATIONAL/083: Todesstrafe überwindbar - Aktivisten drängen auf Abschaffung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2012

Menschenrechte: Todesstrafe überwindbar - Aktivisten drängen auf Abschaffung

von Isolda Agazzi



Genf, 18. Oktober (IPS) - Zehn Jahre Kampagnenarbeit der Weltkoalition gegen die Todesstrafe tragen Früchte. Die Zahl der Länder, die die Strafe abgeschafft haben, ist inzwischen auf 140 gestiegen. Mehrere Staaten haben in diesem Jahr aber wieder damit begonnen, Todesurteile zu vollstrecken.

"Derzeit ist in 140 Ländern die Todesstrafe auf dem Papier und in der Praxis abgeschafft. Entweder ist sie ganz vom Tisch oder seit mindestens zehn Jahren auf staatliches Geheiß nicht mehr vollstreckt worden. Dies betrifft 70 Prozent aller Staaten der Welt", sagt Jan Erik Wetzel von der Organisation 'Amnesty International' gegenüber IPS.

Bis 2003 hatten 80 Länder die Strafe vollständig abgeschafft. Keine zehn Jahre später sind es 97. "In allen Regionen und Rechtssystemen der Welt haben Staaten die Todesstrafe abgeschafft oder nicht mehr vollstreckt", so Wetzel. "In Asien und in der arabischen Region ist es zwar schwieriger, das Ziel zu erreichen. Doch ist die Todesstrafe grundsätzlich überall überwindbar."

Laut Amnesty halten innerhalb Asiens 14 Staaten an der Todesstrafe fest. In 17 anderen, darunter Kambodscha, Nepal, Bhutan, die Philippinen und Osttimor, wurde sie jedoch nicht mehr vollzogen. In China, wo weltweit die meisten Menschen exekutiert werden, ist die Todesstrafe für 13 Straftaten, vor allem für Wirtschaftsverbrechen, abgeschafft.


Gemischte Bilanz

In 19 Staaten des Mittleren Ostens und Nordafrikas - Iran, Irak, Saudi-Arabien und Jemen - wurden im vergangenen Jahr 99 Prozent aller weltweiten Hinrichtungen durchgeführt. Ein dramatischer Anstieg war im Irak zu beobachten, wo die Strafe insbesondere bei 'terroristischen' Verbrechen vollstreckt wird, sowie in Saudi-Arabien, wo Verstöße gegen die Drogengesetze mit dem Tod bestraft werden. Zugenommen haben die Exekutionen zudem in dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen.

Turkmenistan, Tadschikistan, Kasachstan, die Türkei, Albanien, Algerien, Tunesien, Marokko und Dschibuti haben dagegen die Todesstrafe abgeschafft oder die Hinrichtungen erheblich beschränkt. Im Libanon und in Jordanien ist die Zahl der Todesurteile ebenfalls gesunken, wenn auch in geringerem Ausmaß.

"In Tunesien und Ägypten haben wir nach dem Arabischen Frühling dafür gesorgt, dass die Todesstrafe in die Diskussion kam", sagt Wetzel. "In Tunesien, wo wir die Abschaffung vorgeschlagen haben, sind die Debatten noch im Gang, aber die Zeichen stehen nicht gut. In diese Länder hatten wir nach den Aufständen unsre Hoffnungen gesetzt, die sich aber nicht erfüllten."

Der Amnesty-Experte sieht es aber als ermutigend an, dass in Tunesien seit mehr als einem Jahrzehnt kein Mensch mehr hingerichtet worden ist. Staatspräsident Moncef Marzouki hat in diesem Januar 122 Todesurteile abgemildert. Wetzel hebt zudem hervor, dass der ehemalige ägyptische Präsident Husni Mubarak zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. "Die Todesstrafe ist Teil der politischen Gespräche geworden, früher sprach hingegen niemand darüber. In beiden Ländern gibt es sehr engagierte Aktivisten. Seit den Unruhen erledigen sie viel Arbeit an der Basis, die möglicherweise nicht sofort Erfolg zeigt."

"In Ägypten können die Menschen zum ersten Mal die Agenda gestalten", sagt Amr Issam von der Mission des Landes bei den Vereinten Nationen. Wie er betont, wäre es für die neue Regierung schwierig, sich gegen den Großteil der Ägypter zu stellen. "Die größte Herausforderung ist ein konstruktiver Dialog, um Staaten dazu zu bringen, die Liste mit Verbrechen, auf die die Todesstrafe steht, zu revidieren. Es sollte auch mehr Sicherheitsklauseln und mehr unabhängige Gerichtsverfahren geben."

Staaten, die die Todesstrafe beibehalten, sollten sie auf die schwersten Verbrechen beschränken. Dies werde bisher so aufgefasst, dass Morde gemeint seien, erklärte die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kyung-Wha Kang, unlängst auf einer Konferenz in Genf, die an die zehnjährige Kampagne gegen die Todesstrafe erinnerte. Auf die Anwendung der Todesstrafe bei Drogenschmuggel sollte verzichtet werden.

Nach Angaben von Amnesty wird in China jedes Jahr eine nicht bekannte Zahl von Menschen hingerichtet. Auch Staaten wie der Iran, die USA, Jemen und Nordkorea vollstrecken zahlreiche Todesurteile. Die Organisation weist zudem auf Rückschläge im Kampf gegen die Todesstrafe in Botswana, Gambia und Japan hin, wo man in diesem Jahr wieder damit begonnen habe, Menschen hinzurichten. In Gambia seien 30 Jahre lang keine Exekutionen durchgeführt worden.


Staatliche Unterstützung für Kinder Hingerichteter fehlt

Helen Kearney vom UN-Büro der Quaker in Genf wies auf das Schicksal derjenigen Waisen hin, deren Väter oder Mütter hingerichtet worden seien. Diese Kinder litten etwa an Krankheiten, die durch post-traumatischen Stress hervorgerufen würden und trügen ein großes soziales Stigma.

Kearney zufolge landen in einigen Ländern, in denen die Todesstrafe regelmäßig bei Fällen von häuslicher Gewalt mit Todesfolge vollstreckt wird, auf der Straße. "Es geht hier auch um Kinderrechte und um öffentliche Gesundheit, davon sind mehrere Generationen betroffen. Die Staaten müssen hier Verantwortung übernehmen." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.worldcoalition.org/?gclid=CIKynoeFirMCFZHEzAodPHQA4A
http://www.amnesty.org/
http://www.ohchr.org/EN/Pages/WelcomePage.aspx
http://www.ipsnews.net/2012/10/death-penalty-campaigners-worry-about-the-steps-back/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2012