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INTERNATIONAL/118: Südafrika - Finanzprobleme verhindern Sondergerichte für Sexualdelikte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Dezember 2013

Südafrika: Finanzierungsengpässe verhindern vielversprechende Sondergerichte zur Verhandlung von Sexualdelikten

von Melany Bendix



Kapstadt, Südafrika, 2. Dezember (IPS) - In Südafrika könnten sich Sondergerichte für Sexualstraftaten als wirksame Waffen im Kampf gegen sexuelle Gewalt erweisen. Doch das Problem, diesem lang gehegten Traum endlich Leben einzuhauchen, ist die Finanzierung. Solange die Regierung ihre Gelder nicht dort einsetzt, wo sie dringend benötigt werden, sind die geplanten 'Vergewaltigungstribunale' Zukunftsmusik.

Jüngsten Zahlen des Südafrikanischen Polizeidienstes zufolge kommt es in dem Kapstaat alle elf Minuten zu einer Vergewaltigung. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. So geht aus einer Untersuchung des Medizinischen Forschungsrates hervor, dass nur jeder 25. Übergriff zur Anzeige kommt. Nach Erkenntnissen anderer Menschenrechtsorganisationen trifft dies bei jedem neunten Missbrauchsfall zu.

"Dass Betroffene Hemmungen haben, die Verbrechen anzuzeigen, ist Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber der Justiz und den Gesundheitsdiensten, die bei den Opfern häufig eine weitere Traumatisierung auslösen", schrieb Kantharuben Naidoo, Leiter der Abteilung für Familienmedzin der Universität von KwaZulu-Natal, unlängst in der Fachzeitschrift 'South African Medical Journal'.


Sondergerichte in der Warteschleife

Die internationale Gemeinschaft einschließlich Südafrika begeht noch bis zum 10. Dezember die diesjährigen 16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt, die ein Schlaglicht auf das weltweite Ausmaß der sexualisierten Gewalt werfen, denen Frauen ausgesetzt sind. Nach Ansicht von Justizminister Jeff Radebe könnten die seit 1993 geplanten 79 Sondergerichte für Sexualdelikte die jeweiligen Gerichtsverfahren und die Verurteilung der Täter erheblich beschleunigen.

Voraussetzung ist jedoch, dass jedes einzelne Sondergericht auch personell gut aufgestellt ist. Gebraucht werden speziell geschulte Staatsanwälte, Sozialarbeiter und Beamte, die den Vergewaltigungsopfern im Verlauf der Gerichtsverfahren zur Seite stehen. Jedes Tribunal müsste darüber hinaus mit einem getrennten Raum für Zeugen und Opfer ausgestattet sein und über die Technologien verfügen, die ein Zusammentreffen zwischen Tätern und Opfern verhindern.

Im August hatte Radebe erklärt, dass im Haushalt 2013/2014 die Mittel für die Einrichtung von 22 solcher Sondergerichte eingeplant worden seien. Die übrigen 57 Tribunale sollen demnach in den nächsten zwei Jahren einsatzbereit sein. Doch nach Angaben der Aktivistin Michelle Solomon, selbst ein Vergewaltigungsopfer, ist lediglich das im August eröffnete Butterworth-Tribunal in der Transkei voll funktionstüchtig.

"So wie die Dinge jetzt liegen, sind die auf Sexualstraftaten spezialisierten Gerichte ein Mythos", erklärte Solomon gegenüber IPS. Sie wies ferner darauf hin, dass die Nationale Strafverfolgungsbehörde (NPA) allein im laufenden Jahr mehr als 20 Millionen Dollar unterfinanziert ist. "Aufbau und Unterhalt der Sondergerichte sind extrem teuer. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum die Einrichtungspläne 1996 auf Eis gelegt worden waren."

Südafrikas erster Gerichtshof für Sexualstraftaten war 1993 an den Start gegangen. Das Pilotprojekt erwies sich als überaus vielversprechend. Die Verurteilungsrate lag bei bis zu 80 Prozent im Jahr und die Zeit zwischen Anklage und Abschluss der Fälle wurde erheblich verkürzt. Dies wiederum führte dazu, dass der Beschluss, 74 Sondergerichte einzurichten, noch vor Ablauf eines auf 1996 einberaumten Moratoriums getroffen wurde. Doch dann scheiterte das Projekt vor allem an dem Mangel finanzieller und personeller Ressourcen sowie an fehlenden Kontroll- und Evaluierungsmechanismen für die Gerichte.

"Solange die Mittel fehlen, sind die Vergewaltigungstribunale nur eine nette Idee", meint Lisa Vetten, Wissenschaftlerin am Wits-Institut für soziale und wirtschaftliche Forschung, gegenüber IPS. Die südafrikanische Regierung wäre ihrer Meinung nach durchaus in der Lage, die erforderlichen Gelder aufzubringen, "würde beispielsweise weniger Geld ins Präsidialamt fließen", meinte sie in Anspielung auf die 24 Millionen US-Dollar, die für eine Verbesserung der Sicherheitsanlage der Privatresidenz von Staatspräsident Jacob Zuma in Nkandla in KwaZulu-Natal ausgegeben worden waren.

Vetten zufolge sind die finanziellen Engpässe nicht das einzige Problem. "Um Vergewaltiger aburteilen zu können, brauchen wir erfahrene Staatsanwälte. Doch aufgrund der dünnen Personaldecke der NPA gibt es einfach nicht genügend Kandidaten", moniert sie. Ihrer Meinung nach können die Sondergerichte für Sexualdelikte nur dann wirksam arbeiten, wenn das gesamte Personal - von den Staatsanwälten bis zu den Polizisten - fortgebildet wird. Auch die Richter, die sich häufig weigerten, solche Klagen zuzulassen, und damit die mühevolle Arbeit von Polizei und Anklägern zunichtemachten, müssten geschult werden.


Schweigen brechen

Charlene Lau, die als Kind von ihrem Vater sexuell missbraucht worden war, dann im Alter von 14 Jahren und erneut mit 26 einer Gruppenvergewaltigung zum Opfer fiel, hat die Hilfsorganisation 'Joy Campaign' gegründet, die die Überlebenden von Sexualdelikten dazu ermutigt, sich zu wehren und die Tat publik zu machen.

Sie ist überzeugt: "Wenn diese Gerichte in der Lage wären, mehr als nur alte Fälle aufzuarbeiten, würde dies die Vergewaltigungsopfer ermutigen, ihr Schweigen zu brechen und ihre Peiniger hinter Gitter zu bringen." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://wiser.wits.ac.za/
http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/global_campaign/16_days/en/index1.html
http://www.mrc.ac.za/
http://rapecrisis.org.za/
http://www.ipsnews.net/2013/11/budget-constraints-delays-set-south-africas-rape-courts/

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IPS-Tagesdienst vom 2. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2013