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MELDUNG/373: Geschichte wiederholt sich immer zweimal, als Tragödie und als Farce ... (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. - 03.06.2015

Geschichte wiederholt sich immer zweimal, als Tragödie und als Farce

2007 Heiligendamm - 2015 Schloss Elmau


Der G7-Gipfel auf Schloss Elmau rückt näher und so auch die Medienmaschine der Polizei. Legitimer Protest wird im Vorfeld kriminalisiert - von der Anreise gewaltbereiter Personen ist die Rede. 20.000 Polizisten, 5.000 mehr als in Heiligendamm, sind mobilisiert, 200 Polizeigewahrsamplätze eingerichtet, 100 Richter und 15 Staatsanwälte abgestellt. Die Polizeipressestellen sind Teil des Versuchs, Demonstrierende im Vorfeld einzuschüchtern. Ein Blick zurück zeigt, wie die Demontage von Bürger- und Menschenrechten funktioniert.

Nach dem G8-Gipfel 2007 wurde klar: Die Mehrheit der Ingewahrsamnahmen war rechtswidrig, Ermittlungsverfahren wurden ohne Verdacht geführt, die Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaft verlief vielfach am Rande der Rechtstaatlichkeit, und 'unverhältnismäßig' war noch das höflichste Wort.

Zur Erinnerung einige Zahlen:

»Von den ca. 1.600 Ermittlungsverfahren, die wegen der Proteste im Juni 2007 eingeleitet worden waren, waren am 15.11.2007 bereits 1.086 eingestellt. Von 176 Verfahren, die bis Ende Mai 2008 gerichtsanhängig waren, führten 84 Fälle zu einem Urteil: eine Urteilsrate von rund fünf Prozent«. »Von den gut 1.000 Freiheitsentziehungen im Juni 2007 waren 586 Gegenstand gerichtlicher Überprüfungsverfahren. Lediglich 158 von der Polizei gestellte Anträge auf Gewahrsamsverlängerung wurden angenommen. Gegen 102 genehmigte Gewahrsamsverlängerungen wurde Beschwerde eingelegt, in 45 Fällen wurden die Gefangenen danach entlassen, lediglich 15mal ein Gewahrsam bestätigt«. (1)


Ein Fazit aus Heiligendamm: Menschenrechtsverstöße

Kaum ein Ermittlungsverfahren führte zu einer Anklage, gerichtlich überprüfte Ingewahrsamnahmen führten zu Freilassungen, Schadensersatzklagen hatten Erfolg. »Die Polizei sollte aus solchen Statistiken lernen«, so Verina Speckin, Rechtsanwältin und Mitglied des RAV und Legal Teams in Elmau, »sonst ist es wieder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der, wie in seiner Heiligendamm-Entscheidung von 2011, im Nachhinein Menschenrechtsverstöße der Polizei feststellt«. Der Gerichtshof hatte vier Jahre nach Heiligendamm geurteilt, dass G8-Freiheitsentziehungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen - und Berlin zu Geldstrafen verurteilt.(2)

Die Stimmungsmache etwa des DPolG-Vorsitzenden Rainer Wendt spricht gegen jeden Lernprozess: Man werde gegen gewaltbereite Personen »konsequent und mit niedriger Einschreitschwelle vorgehen«, lässt der sich zitieren.(3) »Mein Eindruck ist, ein Ereignis wie der G7-Gipfel wird gern genutzt, um Bürgerrechte einzuschränken«, so Speckin. »Dabei muss sich der Rechtsstaat gerade in diesen besonderen Situationen als Rechtsstaat bewähren«.


Anmerkungen:

(1) Vgl. Prozessbeobachtungsgruppe Rostock,
http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/2008/06/05/g8-auswertung-der-bisherigen-g8-verfahren-durch-die-prozessbeobachtungsgruppe-rostock/
sowie die Zahlen in Neue Justiz, 12/07: 529ff.

(2) 2007 mussten zwei junge Männern sechs Tage im Gefängnis verbringen, weil die Polizei zwei Transparente ('Freedom for all Prisoners'/Freiheit für alle Gefangenen und 'Free all now'/Befreit alle jetzt) als Aufforderung zur Gefangenenbefreiung bewertete, vgl. EGMR, 01.12.2011 (8080/08, 8577/08),
http://www.bmj.de/SharedDocs/EGMR/DE/20110201_8080_08_8577_08.html.

(3) VGl. http://web.de/magazine/politik/g7-gipfel/g7-gipfel-schloss-elmau-schlimmste-befuerchten-30674156

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Quelle:
Pressemitteilung vom 3. Juni 2015
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2015

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