Schattenblick → INFOPOOL → RECHT → FAKTEN


MELDUNG/578: Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner eingereicht (idw)


Universität zu Köln - 21.08.2018

Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner eingereicht

• FDP-Bundestagabgeordnete sowie ehemalige FDP-Minister und Ministerinnen erheben Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner
• Kölner Strafrechtler Nikolaos Gazeas ist der Prozessbevollmächtigte


Seit fast einem Jahr sind Staatstrojaner zu Strafverfolgungszwecken im Gesetz. Sie erlauben Online-Durchsuchungen von Computern und Smartphones und das Abhören und Auslesen verschlüsselter Nachrichten und Gespräche im Wege der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Nun klagen verschiedene Initiativen gegen dieses Gesetz. Die wohl prominenteste Verfassungsbeschwerde ist heute beim Bundesverfassungsgericht erhoben worden: Von dem Fraktionsvorsitzenden der FDP im Deutschen Bundestag, Christian Lindner, dem 1. Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Marco Buschmann, 11 weiteren Bundestagsabgeordneten sowie von der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum, und dem ehemaligen Bundestagsvizepräsident Dr. Burkhard Hirsch. Sie werden vertreten von dem Kölner Rechtsanwalt und Lehrbeauftragten der Universität zu Köln, Dr. Nikolaos Gazeas.

"Die Online-Durchsuchung stellt unter allen heimlichen Überwachungsmaßnahmen, die die Strafprozessordnung kennt, den schwersten Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dar", sagt Gazeas, "die Eingriffstiefe geht noch über den der Wohnraumüberwachung hinaus."

Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtlichen Vorgaben für solche Staatstrojaner 2008 in einem Grundsatzurteil aufgestellt und ihn nur unter strengen Auflagen zugelassen. "Diese Vorgaben hat der Gesetzgeber in einer Reihe von Punkten nicht beachtet", erklärt Strafrechtler Gazeas heute in der Bundespressekonferenz in Berlin, wo die Verfassungsbeschwerde mit den Beschwerdeführern vorgestellt wurde. "Die Strafprozessordnung ermächtigt zur Online-Durchsuchung in einer ganzen Reihe von Fällen, in denen dieser schwere Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt ist", so der Anwalt der FDP-Politiker. "Sie darf beispielsweise beim Verdacht verschiedener Arten des Bandendiebstahls, der Hehlerei, der Geldwäsche und bei Korruptionsdelikten zum Einsatz kommen. Das verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlangt, dass ein Eingriff in die Grundrechte eines Bürgers in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck steht", so Gazeas. "Wenn wir über Strafverfolgung sprechen, muss man bei der verfassungsrechtlichen Abwägung immer bedenken, dass damit ein Rechtsgut - anders als beim Polizeirecht - in aller Regel nicht mehr gerettet werden kann. Das Strafrecht kommt insoweit immer zu spät."

Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sei ebenso unzureichend geschützt. "Hier hätte der Gesetzgeber Schutzmaßnahmen wie bei der Wohnraumüberwachung vorsehen müssen. Das hat er nicht getan." Der Kernbereichsschutz besagt, dass es Gespräche und Verhaltensweisen eines Menschen gibt, die derart intim sind, dass sie dem staatlichen Zugriff absolut entzogen sind. Hierzu zählt auch das Gespräch eines Mandanten mit seinem Strafverteidiger oder eines Patienten mit seinem Psychologen. Sie zu überwachen, verletzt die Menschenwürdegarantie, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. "Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen treffen, dass dies nach Möglichkeit nicht geschieht. Dies hat er nicht in ausreichender Weise getan", so Gazeas. Ein weiteres großes Problem stelle die Kontrolle durch Gerichte dar. Derzeit würden Richterinnen und Richter keine Auskunft darüber bekommen können, was die eingesetzte Überwachungssoftware alles kann, rügt Gazeas in der Verfassungsbeschwerde. Zudem sei der Schutz von Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise eingeschränkt.

Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Köln und Partner der auf das Strafrecht spezialisierten Kanzlei GAZEAS. Er ist Lehrbeauftragter der Universität zu Köln und lehrt u.a. Recht der Nachrichtendienste an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Im Mai 2018 wurde er im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Aufklärung der Umstände des Terroranschlags am Berliner Breitscheidplatz als Sachverständiger angehört. Im Juni 2018 war er im Landtag Nordrhein-Westfalen Sachverständiger zu den geplanten Änderungen im Polizeigesetz NRW.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution19

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität zu Köln, 21.08.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang