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STELLUNGNAHME/042: Öffentlichkeitsfahndung nach den Nürnberger Abschiebeprotesten im Mai 2017 verurteilt (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. - 12.01.2018

RAV verurteilt Öffentlichkeitsfahndung
nach den Nürnberger Abschiebeprotesten vom 31. Mai 2017


Mit einer Pressemitteilung vom 11. Januar 2018 hat die Nürnberger Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung im Zusammenhang mit den Protesten von Berufsschülerinnen und -schülern gegen die geplante Abschiebung eines jungen afghanischen Mitschülers von Ende Mai 2017 begonnen. Die damaligen Proteste und das harte Vorgehen der Polizei, die Pfefferspray, Schlagstöcke und Hunde gegen die Jugendlichen eingesetzt hatte, führten bundesweit zu Empörung; auch Oberbürgermeister Maly kritisierte den Polizeieinsatz damals scharf. Insgesamt lösten die Proteste eine Diskussion zur derzeitigen Abschiebepraxis aus.

Hintergrund der Fahndung ist ein angeblicher Wurf einer 0,5 l Weichplastikflasche. Dabei soll ein Polizist leicht verletzt worden sein, er blieb allerdings dienstfähig. Auf den veröffentlichten Fotos wird kein Flaschenwurf gezeigt, sondern lediglich drei Bilder einer jungen Frau in einer Menschenmenge. »Eine Öffentlichkeitsfahndung ist ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person«, so Rechtsanwalt Yunus Ziyal vom RAV. Eine zeitlich unbegrenzte und irreversible öffentliche Internet-Fahndung stellt eine massive Vorverurteilung dar. »So ein 'digitaler Pranger' kann zu drastischen persönlichen Einschnitten führen, ohne dass ein Rechtsverstoß überhaupt geklärt ist«, so Ziyal.

Es ist erst wenige Wochen her, dass die Hamburger Polizei unter großer medialer Begleitung eine Öffentlichkeitsfahndung gegen 100 Personen mit Fotos einleitete, die sie bei den Protesten gegen den G20-Gipfel aufgenommen haben will. Insbesondere Hamburger Boulevardmedien hatten die Fahndungsbilder weiterverbreitet und mit teilweise reißerischen Kommentaren ('Krawall-Barbie') versehen. Schon im Hamburger Fall kritisierten Juristinnen und Juristen, Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen die Maßnahme und wiesen auf die Prangerwirkung hin. Heribert Prantl schrieb in der Süddeutschen Zeitung: »Es handelt sich um die umfassende Aufforderung an die Bevölkerung, Hilfssheriff zur spielen. Es handelt sich um die Aufforderung, eine Vielzahl von Menschen zu jagen, deren Tat oder Tatbeitrag völlig ungeklärt ist«.

Offenkundig will die Staatsschutz-Abteilung der Nürnberger Polizei nun im Windschatten der Hamburger Öffentlichkeitsfahndung die Ausweitung dieser Fahndungsmethode durchsetzen. »Die angeordnete Öffentlichkeitsfahndung steht in keinem Verhältnis zu der damit einhergehenden Persönlichkeitsrechtsverletzung der betroffenen Person. Das Gesetz schreibt für das Veröffentlichen von Bildern Beschuldigter vor, dass das Gewicht der Straftat so groß sein muss, dass der intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen ist. Dies ist hier ganz offensichtlich nicht der Fall, so dass eine eklatante Missachtung der Unschuldsvermutung vorliegt«, so RAV-Anwalt Ziyal.

»Wenn nach protestierenden Schülerinnen per Zeitungs- und Internetfoto gefahndet wird, weil sie möglicherweise eine Plastikflasche geworfen hat, dann fehlt dem Verfolgungseifer der Polizei jegliches Gefühl für Verhältnismäßigkeit«, so Ziyal weiter.

Offensichtlich unternimmt die Nürnberger Polizei mit ihrem Vorgehen auch den Versuch, ihren damaligen völlig unverhältnismäßigen und eskalierenden Einsatz in Vergessenheit geraten zu lassen. Unter Preisgabe zentraler Beschuldigtenrechte will sie den Spieß nun umdrehen und ihr gewalttätiges Vorgehen gegen Demonstrierende sowie Schülerinnen und Schüler nachträglich rechtfertigen. Nicht zum ersten Mal entsteht so der Eindruck, dass die Polizei gegen vermeintliche Linke jedes Augenmaß verliert. Die Vergangenheit zeigt leider, dass dieses Vorgehen, sobald es einmal gegen bestimmte Beschuldigtengruppen etabliert ist, zum normalen Ermittlungswerkzeug gegen alle Bürgerinnen und Bürger wird.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 12. Januar 2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2018

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