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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/003: Krieg der Bäume - Demo, Stimmen und Proteste ...    O-Töne (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Begegnungen im Hambacher Forst

Auf dem langen Weg durch den Hambacher Forst zur ehemaligen Autobahn A 4, wo 1200 Menschen eine rote Linie gegen die weitere Abholzung des Waldes bildeten, hatte der Schattenblick Gelegenheit, mit einigen der Menschen zu sprechen, die an diesem Sonntag dafür sorgten, daß der Energiekonzern RWE Power sein zerstörerisches Geschäft nicht völlig unbeobachtet und ungestört verrichten kann.


Mann berührt einen Baumstumpf - Foto: © 2017 by Schattenblick

Gefällt, weil eine Hängematte in seinen Ästen hing ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Ein Motorradclub zu Fuß gegen Braunkohle unterwegs

Schattenblick (SB): Wie kommt ein Motorradclub dazu, sich hier im Hambacher Forst zu engagieren?

Helmut Nückel (HN): Das kommt aus der Geschichte des Verbands Motorradclub KuhleWampe, der vor knapp 40 Jahren gegründet worden ist und sich schon immer als ein Zusammenschluß von Menschen verstand, die nicht nur Motorrad fahren, sondern sich auch ganz allgemein um unsere Welt Gedanken machen. Wir sind ein politisch linker Motorradclub und haben eigentlich von Anfang an Position zur Energiepolitik bezogen. In der Vergangenheit betraf das eher die Atomkraft, da Braunkohle weniger im Fokus der Öffentlichkeit stand.

SB: Haben Sie eine direkte Beziehung zur Braunkohleregion?

HN: Ja, ich lebe schon seit fast 50 Jahren hier in der Gegend und kann mich noch gut erinnern, als mir ein guter Freund - das war so um 1980 herum - die Sophienhöhe zeigte. Da war ich das erste Mal in meinem Leben fassungslos, als ich vor diesem tiefen Loch stand, obwohl es damals noch gar nicht so gigantisch war wie heute. Trotzdem hat es mich sprachlos gemacht. Ich dachte, das kann irgendwie nicht gut sein, auch wenn man immer wieder zu hören bekam, daß wir den Braunkohleabbau brauchen, weil wir ja alle Strom wollen. Ich bin in der Folge immer wieder mal dahin gefahren. Eines Tages hatte ich ein sehr eindringliches Erlebnis. Ich war so alle halbe Jahre nach Inden gefahren und konnte live beobachten, wie der Ort nach und nach von der Erdoberfläche verschwand. Beim vorletzten Mal stand ich nur noch vor einer großen Trümmerfläche mit ein paar Asphaltstraßen und zwei Litfaßsäulen. Das war der Rest von Inden. Beim nächsten Mal war nicht einmal mehr das übriggeblieben. Das wirkte auf mich schon sehr bedrückend.


Mit Banner - Foto: © 2017 by Schattenblick

Helmut Nückel
Foto: © 2017 by Schattenblick

Ich kann mich noch an die große Windanlage GROWIAN erinnern, die im Auftrag der Bundesregierung an der Nordseeküste aufgestellt wurde. Viele Leute sagten seinerzeit, mit Windkraft könne man keinen Strom erzeugen. Mittlerweile haben wir, was die Energiegewinnung angeht, eine deutlich veränderte Welt. In Forschung und technischer Entwicklung hat sich inzwischen sehr viel getan. Heute sind wir an dem Punkt, daß wir die extrem schädliche Braunkohleverstromung nicht mehr brauchen. Jetzt ist es viel wichtiger, in Richtung Speichertechnologie zu entwickeln, statt das ganze Zeug aus dem Boden zu graben mit all diesen Folgen. Gegen Braunkohle spricht unheimlich viel. Das einzige positive Argument ist die Versorgungssicherheit, aber ich denke, auch das stimmt heute nicht mehr. Vor 30, 40 Jahren mag das noch anders gewesen sein. Natürlich will RWE als Konzern Geld machen. Die hatten allein sechs Jahre gegraben, bis sie hier in Hambach überhaupt auf Kohle stießen.

SB: Bei der Klimawandeldebatte geht es ja darum, Gas und Erdöl als Energieträger generell abzuschaffen. Müßten Sie als Mitglied eines Motorradclubs nicht eher ein Verteidiger der fossilistischen Lebens- und Fortbewegungsweise sein?

HN: Grundsätzlich ist ein Motorrad im Vergleich zum Auto wesentlich umweltfreundlicher. Eben weil es kleiner und leichter ist, hat es einen geringeren Verbrauch. Tatsächlich weist das Motorrad in seiner Funktion, einen einzigen Menschen zu transportieren, eine schonende Ökobilanz auf. Insofern ist das Motorradfahren kein unbedingter Widerspruch. Natürlich liegt es an jedem selber, wie man das gestaltet. Ich persönlich habe einen Arbeitsweg von fünf Kilometern, und dafür benutzte ich schon seit vielen Jahren das Fahrrad. Das heißt, ich versuche Emissionen so gut es geht zu vermeiden.


Banner des Kuhle Wampe MC - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ein Name, der verpflichtet
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Ist der Motorradclub für Sie eher eine Form von Gemeinschaft oder politischer Organisation?

HN: Der Aachener Klub wird dieses Jahr 32 Jahre alt. Es sind noch eine ganze Reihe von Leuten vorhanden, die damals auch bei der Klubgründung mit dabei waren. Natürlich haben wir in der Zeit noch ein paar Leute dazugekriegt. Als Motorradclub ist es eher ein Freundeskreis. Als Verband von bundesweiten Clubs kenne ich sozusagen ganz Deutschland von der Kuhlen Wampe her.

Das heißt, wenn es irgendwo eine Veranstaltung gibt, fährt man hin und trifft Leute, die man lange schon nicht mehr gesehen hat: Schön, daß es dich noch gibt, wie ist es so. Irgendwann kamen dann Kinder, wußten wir vorher auch nicht. Wenn Zeltlager ist, kann man die kleinen Kinder ins Zelt legen und sitzt mit den Freundinnen am Lagerfeuer. Wenn ein Kind anfängt zu schreien, kommt einer vorbei und sagt, hey, dein Kind schreit, das ist eine ganz interessante Erfahrung. Mittlerweile sind die meisten Kinder schon so groß, daß sie keine besondere Betreuung brauchen.

SB: Kommt immer wieder Nachwuchs in den Klub oder haben die Mitglieder insgesamt einen hohem Altersdurchschnitt?

HN: Ja, wir sind schon älter geworden. Es ist nicht so wie in einem Sportverein, die sich intensiv um die Jugendarbeit kümmert und ständig junge Leute requiriert. Wie die Motorradindustrie haben auch wir das Problem, daß die Leute immer älter werden und die Jugend nicht mehr so richtig nachkommt. Es ist nicht mehr so wie vor 30 Jahren, als das Motorrad noch einen ganz anderen Stellenwert auch unter jungen Leuten hatte. Davon können wir uns nicht ganz abkoppeln.


Transparent 'Hambacher Forst bleibt!' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Nach fünf Jahren Waldbesetzung weltweit bekannt
Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktivist Amsel über Bündnisse und Allianzen

SB: Du bist schon seit langem bei der Besetzung des Hambacher Forstes dabei. Was hat dich dazu motiviert, aktiv um den Erhalt des Waldes und gegen den Braunkohleabbau zu kämpfen?

Amsel: Für mich sind viele Kämpfe miteinander verknüpft, Klimakämpfe lassen sich von Kämpfen gegen den Kapitalismus, Rassismus und Sexismus wie überhaupt alle Arten von Ausbeutung nicht trennen. Hier im Hambacher Forst ist dieser Punkt ganz offensichtlich. Da braucht man sich den Kontrast zwischen dem Wald und dem gewaltigen Loch mit den Abraumhalden nur anzuschauen. Das ist nicht zu übersehen. Deshalb bin ich hier. Was mich hier zudem sehr stark einnimmt, ist der respektvolle Umgang der Leute untereinander von der Besetzung bis zum Widerstand, daß versucht wird, aufeinander zu achten und sich gegenseitig zu unterstützen. Das hat mich motiviert, hier länger zu bleiben.

SB: Ist das ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen auch sonst zusammenleben könnten?

Amsel: Ein Anfang ist es auf jeden Fall. Sicherlich haben wir immer wieder Konflikte, aber wir versuchen, damit progressiv umzugehen.

SB: Ein grundlegendes Problem vieler Initiativen, die anders zu leben versuchen, ist, daß sie in der kapitalistischen Gesellschaft ständig mit Verwertungszwängen konfrontiert werden. Hältst du es überhaupt für denkbar, daß Menschen unterhalb der Schwelle einer radikalen Gesellschaftsveränderung allein auf der Basis gemeinsamer Interessen den herrschenden Zwängen die Stirn bieten könnten?

Amsel: Von Adorno stammt der Satz: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Nun ist es nicht damit getan, darauf zu warten oder zu hoffen, daß irgendwann die Revolution kommt und alles richtet. Für mich heißt Veränderung, daß wir auch ohne ein programmatisches Ziel dort anfangen, wo wir etwas machen können; und je nachdem, wie wir das anstellen, kann sich daraus etwas entwickeln und größer werden.

SB: Hier im Hambacher Forst wird im wesentlichen vegan gelebt. Ist das für dich eine grundsätzliche Maxime oder hältst du es nicht für unbedingt erforderlich?

Amsel: Zugegebenermaßen halte ich das nicht für zwingend erforderlich. Es ist eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe, und so gesehen ist sie auch richtig. Hier im Camp wird ganz viel containert. Die Leute stehen im Container bis zur Hüfte in eßbaren Lebensmitteln. Eine vegane Lebensweise ist dagegen eine privilegierte Entscheidung, die ganz viele Leute, schlicht, weil sie das Geld dazu nicht haben, nicht treffen können. Wenn jemand Tierprodukte, die viele als Lebensmittel ansehen, ißt, läßt sich dagegen nichts sagen, aber wenn wir mindestens einmal am Tag für die Gemeinschaft kochen, ist es immer vegan, weil das jeder essen kann.

SB: Findest du es sinnvoll, den politischen Kampf auf breitere Füße innerhalb der Linken als der fortschrittlichsten Kraft in dieser Gesellschaft zu stellen oder hat die radikalökologische, eher libertär-anarchistische Szene aus deiner Sicht kein großes Interesse an einem Bündnis dieser Art?

Amsel: Da gibt es ganz unterschiedliche Interessen. Ich selbst halte es auf jeden Fall für sinnvoll. Grundsätzlich halten viele aus dem anarchistischen Spektrum die Linke einfach für zu reformistisch. Wenn Leute sehr radikal leben und handeln, dann tun sie es ein Stück weit allein, aber ich glaube dennoch, daß Bündnisse eine Sache sind, die man weiter im Kopf behalten sollte. Es bringt nichts, wenn man sich auf Erfolgen ausruht oder auf das Individuelle zurückzieht, denn ohne die anderen Bewegungen würden wir jetzt nicht da sein, wo wir heute stehen.

SB: Hast du ein Problem damit, mit großen NGOs zu kooperieren, die eine Politik machen, die oftmals eine Mittlerfunktion zu gesellschaftlichen Kräften ausüben, die eher kritikwürdig sind?

Amsel: Ich arbeite auf jeden Fall gerne mit Einzelpersonen aus diesen NGOs zusammen, solange sie das Banner ihrer Organisation nicht groß vor sich hertragen. Es hat praktische Vorteile und ist auch notwendig, aber ich würde den Kampf nicht nur darauf abstellen. Prinzipiell ist es richtig, die Braunkohle und den Kapitalismus auf allen Wegen anzugreifen. Dennoch habe ich persönlich Schwierigkeiten mit Hierarchien innerhalb von Parteien. Ungeachtet meiner Kritik daran sehe ich in einer Kooperation dennoch eine Möglichkeit, bestimmte Ziele zu erreichen, und sei es nur, um an interne Informationen über neue Gesetze heranzukommen. Es ist auch gut, wenn Die Linke oder die Piraten in den Parlamenten auf Bundes- oder Landesebene Anfragen stellen. Ich glaube zwar nicht, daß dadurch große Veränderungen zustande kommen, aber es ist trotzdem eine praktische und nützliche Sache, wenn sich Leute im weitesten Sinne antikapitalistisch engagieren.

SB: Du ziehst es offenbar vor, deine bürgerliche Identität hier nicht zu erkennen zu geben. Hast du dafür konkrete Gründe?

Amsel: Ich versuche schon, mich mittlerweile mehr zivil oder bürgerlich zu kleiden, vielleicht auch, weil ich nicht mehr so viel Spaß daran habe, mit bunten Haaren durch die Gegend zu laufen. Dahinter steckt natürlich auch ein gewisser Selbstschutz, denn seit ich bürgerlichere Klamotten trage und eben keinen Irokesen mehr auf dem Kopf habe, werde ich auf der Straße nicht mehr so explizit von der Polizei kontrolliert. Dadurch kann ich viele Sache machen, die sonst nicht möglich gewesen wären. Ich trage immer noch gerne selbstbestickte bzw. -benähte Klamotten, aber ich sehe in einer bürgerlich normalen Tracht inzwischen auch ein Agitationsmittel. Indem ich mich im Erscheinungsbild nicht mehr derart konsum- und kulturverweigernd gebe, stoße ich die Leute nicht von vornherein vor den Kopf oder schrecke sie davon ab, mich anzusprechen.


Im Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dalton Alexander aus den USA, wohnt in Belgien, in UK aktiv, protestiert im Hambacher Forst
Foto: © 2017 by Schattenblick

Gegen Grenzen wo auch immer

SB: Donald Trump hat einen Umweltminister ernannt, der vor allem die Interessen der fossilistischen Industrien im Sinn hat. Was sagst du dazu?

Dalton Alexander (DA): Es ist wieder einer dieser Geschäftsleute, die sich nur für Geld interessieren. Scott Pruitt wurde gestern vom Senat in seinem Amt bestätigt. Er glaubt nicht an den Klimawandel. Als es vor einigen Wochen in den USA richtig eisig wurde, meinte er, daß das Klima ja nicht wärmer, sondern kälter werde. Doch diese Extreme geschehen immer öfter, und das macht den Klimawandel aus.

SB: Bist du der Ansicht, daß die Obama-Administration größere Fortschritte in ökologischen Angelegenheiten gemacht hat, oder war es eher ein Oberflächenphänomen?

DA: Um ehrlich zu sein, war es eher oberflächlich. Wir haben als Land nicht annähernd genug getan und sind viel zu abhängig von Öl. Um populär zu wirken, unterbrach er den Bau der Keystone und der Dakota Access Pipeline, aber natürlich gibt es noch viele weitere Pipelines, die sich im Bau befinden und in den Medien nicht erwähnt werden.

SB: Wie weit reicht die Aufmerksamkeit des Kampfes gegen den Bau der Dakota Access Pipeline? Wird den Gegnern viel Solidarität zuteil?

DA: Das ist wahrscheinlich einer der größten ökologischen Kämpfe dieser Zeit, sogar noch größer als der Widerstand gegen die Keystone Pipeline. Er erhält nicht nur in den USA, sondern weltweit sehr viel Aufmerksamkeit und Unterstützung. Ich gehöre einem UK Solidarity Network an, und viele Leute beschäftigen sich damit. Es ist zu einer Art von Symbol geworden, das für all die anderen Pipelines und Teersandabbaustätten und Kohleminen steht, gegen die wir kämpfen.


Transparent 'We Stand With Standing Rock' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Solidarität für den Widerstand gegen die Dakota Access Pipeline
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Wie würdest du die Beteiligung an sozialökologischen Kämpfen in den USA im Vergleich zu Europa beurteilen?

DA: Aus meiner begrenzten Kenntnis über den Aktivismus in den USA heraus würde ich sagen, daß er nicht so entwickelt ist wie in Europa, wo ich aktiv bin. Die Menschen beteiligen sich nicht ohne weiteres an neu entstehenden Bewegungen. Ich glaube allerdings, daß sich jetzt, wo sich das politische und soziale Klima stark ändert, mehr Menschen in derartige Auseinandersetzungen einmischen werden. Die letzte Regierung hat zumindest Menschen unterstützt, die ihre Stimme in solchen Angelegenheiten erhoben haben, was die jetzige Regierung ganz und gar nicht tut. Aber das fordert die Menschen nur noch mehr heraus, sich zu mobilisieren.

SB: Du bist vor allem im Vereinigten Königreich (UK) aktiv. Wo liegt dein hauptsächliches Interesse?

DA: Ich habe hauptsächlich mit Bridges not Walls gearbeitet, wo ich mit logistischen Fragen, die diese Bewegung betreffen, beschäftigt war. Wir hatten auch noch Initiativen wie Art Not Oil, Divest London oder Lesbians and Gays Support the Migrants. Es geht darum, all diese Gruppen zusammenzubringen. Derzeit bin ich an einer Kampagne in UK gegen den Bau der Mauer, der die USA von Mexiko abschotten soll, beteiligt. Wir wollen uns solidarisch mit den Migrantinnen und Migranten zeigen und darauf hinweisen, daß so etwas auch in Europa geschieht. Auch in Calais gibt es eine Mauer. Ich finde es wichtig, Aufmerksamkeit für all die kleinen Kämpfe, die überall auf der Welt geführt werden, zu entwickeln und Menschen und Organisationen zusammenzubringen, weil wir alle die gleichen Werte und Ziele haben.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktivist Pim aus den Niederlanden
Foto: © 2017 by Schattenblick

Gegen Kohlestrom in den Niederlanden und Deutschland

SB: Pim, du bist aus den Niederlanden in den Hambacher Forst gekommen, um dich an der Rote-Linie-Aktion zu beteiligen. Sind in eurem Reisebus vor allem Aktivistinnen und Aktivisten unterwegs oder auch andere Menschen?

Pim: Heute sind Menschen aus verschiedenen Städten und mit verschiedenen Hintergründen in den Hambacher Forst gekommen, die gegen die Kohleverstromung aktiv werden wollen.

SB: Welche sozialökologischen Fragen sind in den Niederlanden besonders wichtig?

Pim: In Amsterdam gibt es einen großen Kohlehafen, gegen den wir kämpfen. Zur Zeit besonders wichtig ist die Gasproduktion im Norden Hollands in Groningen. In der ganzen Region kommt es zu Erdbeben, und so entstehen viele Schäden an den Häusern, wofür die Menschen kein Geld erhalten, um sie wieder zu beseitigen. Es wurden einige Dokumentationen dazu gedreht, und das Problem wird eines der Hauptthemen in der anstehenden Parlamentswahl sein.

SB: Kann man mit der niederländischen Regierung ansonsten zufrieden sein, wenn es um sozialökologische Probleme geht?

Pim: Nein, natürlich tun sie nicht genug. Die Regierung wird die Probleme nie lösen. Wir, die Menschen, müssen die Probleme angehen, indem wir die Unternehmen mit den Schäden konfrontieren, die sie verursachen. Weder die Wirtschaft noch die Politik werden irgend etwas verändern.

SB: Wie geht die starke Rechte in den Niederlanden mit ökologischen Fragen um?

Pim: Der Klimawandel wird zwar nicht gerade geleugnet, aber die rechten Parteien kümmern sich in keiner Weise um diese Frage. Sie richten ihren Fokus in jeder Debatte, in der es um Klimawandel geht, auf wirtschaftliche Fragen.

SB: Die Bundesrepublik exportiert Elektrizität in die Niederlande. Ihr seid also direkt mit dem Rheinischen Braunkohlerevier verbunden.

Pim: Ja, und die Kohlezüge kommen direkt nach Amsterdam.

SB: Die Niederlande haben eine große Agroindustrie. Ist das auch Thema unter sozialökologischen Aktivisten?

Pim: Ja, zum Beispiel befassen sich einige Organisationen mit den von Bayer und Monsanto ausgehenden Gefahren.


Bei einer Ansage mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Michael Zobel - Waldpädagoge und Aktivist
Foto: © 2017 by Schattenblick

Michael Zobel nach der Rote-Linie-Aktion

SB: Herr Zobel, sind Sie mit dem heutigen Ergebnis der Aktion zufrieden oder sehen Sie darin gar eine Steigerung?

Zobel: Höher, weiter, besser, größer, das ist nicht so mein Kriterium, aber die Gefühlslage jetzt am Ende der Aktion ist ganz schwer zu beschreiben. Ich bin beglückt, kriege Gänsehaut, werde traurig und dann wieder wütend, wenn ich sehe, was hier passiert. Ich werde stolz, wenn ich sehe, was manche Leute bewegen können und daß ich dazugehöre. Es ist alles zusammen, und tatsächlich war es eine ganz unglaubliche Steigerung: Wir haben diese zwei Kilometer Autobahntrasse komplett mit dieser Kette aufgefüllt. Das wäre vor kurzem noch undenkbar gewesen. Wir haben mit 50 Leuten angefangen, und heute waren es schon 1200. Das ist verrückt, und es scheinen immer mehr zu werden. In diesem Jahr werden wir noch viele, sehr große Aktionen erleben. Das heute war ein kleiner Auftakt.

SB: Die hier gesammelten Gelder sollen vollständig der Verteidigung des Waldes zugute kommen, wie Sie eben in Ihrer abschließenden Rede erklärt haben. Nun gibt es Leute, die Ihnen unterstellen, die Spenden eigennützig zu verwenden.

Zobel: Ich will dieses Thema jetzt nicht so breittreten, aber es beschäftigt mich in den letzten Tagen schon sehr, daß der Vorwurf, ich und manche andere Leute würden sich finanziell an diesen Führungen bereichern, leider aus dem eigenen Lager kam. Es trifft mich sehr. Ich kenne die Motivation nicht und will mich da auch nicht weiter äußern, aber es ist eine grobe und bösartige Unterstellung, gegen die ich vorgehen möchte, so gut es geht. Wenn es von der anderen Seite gekommen wäre, würde es niemanden wundern, aber so ist es ungeheuerlich. Wir werden der Sache jetzt mit einigen Leuten auf den Grund gehen und das Gespräch mit denen suchen, weil der Vorwurf aus der Welt muß.


Transparent 'Wald statt Kohle' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Abschlußkundgebung am Ausgangspunkt des Waldspaziergangs
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Peter Wohllebens Buch "Das geheime Leben der Bäume" hat eine Auflage von einer halben Million Exemplaren. So viele Menschen scheinen zumindest bereit zu sein, Bäume als lebendige Wesen anzuerkennen. Was halten Sie von den Thesen von Herrn Wohlleben, deckt sich das mit Ihrer Einstellung?

Zobel: Ich habe ihn schon mehrfach eingeladen, hierherzukommen, aber es kam immer dieselbe Standardantwort. Es ist schon verrückt, so viele Leute lesen das Buch, es steht über Monate auf Platz 1 der Bestsellerliste, aber trotzdem passiert hier so etwas, das paßt nicht zusammen. Die Erkenntnis, daß dieser Wald zu uns und zu unserem Leben gehört und daß die Bäume Wesen sind und miteinander kommunizieren, setzt sich immer mehr durch, und auch ich kann einen Teil dazu beitragen. Ich hoffe, daß es nicht nur ein kommerzieller Erfolg ist, dieses Buch zu verkaufen, sondern daß auch Konsequenzen gezogen werden. In diesem Sinne ist das Buch von Wohlleben ein Schritt dazu, und vielleicht kommt er irgendwann hierhin. Ich würde ihn hier gerne einmal sehen.

SB: Sie haben in Ihrer Rede auch auf politische Parteien abgehoben, ohne jemanden beim Namen zu nennen. Hier in NRW sind die Grünen in der Landesregierung. Könnten sie nicht mehr für die Verteidigung des Waldes tun?

Zobel: Sie können eine ganze Menge tun. Wir stehen kurz vor den Wahlen, und den Grünen geht es gerade nicht gut in der Diskussion, ihre Umfragewerte gehen herunter, unter anderem, weil sie für viele Menschen nicht mehr glaubwürdig sind. Gerade hier fokussiert sich das Gefühl, daß viele der alten grünen Ideale im Zuge der Regierungsverantwortung verraten werden. Das wäre noch einmal ein Punkt, sich wieder an alte grüne Wurzeln zu erinnern und damit auch Leute zurückzuholen, die die Grünen nicht mehr wählen. Es würde sich für die Grünen sehr positiv auswirken, hier einmal genauer hinzuschauen und sich nicht rauszuhalten, nur weil man in der Regierung ist.

SB: Herr Zobel, vielen Dank für das Gespräch.


Versammlung und Marsch durch den Wald - Foto: © 2017 by Schattenblick Versammlung und Marsch durch den Wald - Foto: © 2017 by Schattenblick

An einem regnerischen Sonntag im Hambacher Forst ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick


1. März 2017


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