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WIENER GESPRÄCHE/04: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 4 (SB)


Interview mit Hannes Hofbauer am 10. Juni 2009 in Wien


Hannes Hofbauer verfügt aufgrund seiner langjährigen journalistischen Tätigkeit in den Ländern Osteuropas über profunde Kennntnisse zur sozialökonomischen Entwicklung der sogenannten Transformationsstaaten. Der österreichische Wirtschafts- und Sozialhistoriker bringt seine in zahlreichen Zeitungsartikeln und diversen Büchern niedergelegten Erkundungen in das Programm des Wiener Promedia Verlages ein, dessen besondere Relevanz für die neuen EU-Staaten und den darüberhinausgehenden Expansionsraum der Europäischen Union nicht zuletzt seinem spezifischen Standort an der Peripherie Westeuropas geschuldet ist. Der kultur- und gesellschaftskritische Charakter des 1983 entstandenen Promedia Verlages sorgt unter der verlegerischen Aufsicht von Hannes Hofbauer und Erich Ertl insbesondere im Bereich des politischen Sachbuchs für wachsende Aufmerksamkeit unter dem an aufklärerischen Impulsen und produktiven Analysen interessierten Publikum.

Schattenblick: Herr Hofbauer, anläßlich jüngster Entwicklungen im deutschen Staatsschutzstrafrecht, bei denen die Kriminalisierung von Vorfeldhandlungen zur praktischen Aufhebung der Unschuldsvermutung führt, interessiert uns die entsprechende Entwicklung in Österreich. Hierzulande ist aus aktuellem Anlaß viel vom Organisationsstraftatbestand nach Paragraph 278 a, der sich gegen kriminelle Vereinigungen richtet, die Rede. Er wurde 2002 um weitere Artikel gegen terroristische Straftaten erweitert. In welchem Ausmaß findet der Paragraph Anwendung?

Hannes Hofbauer: Er ist meines Wissens bis jetzt dreimal im Einsatz gewesen, aber in der Hauptsache, wenn man so will, als Ermittlungshilfe, weniger als ein Paragraph, der bislang zu Verurteilungen geführt hat. Bei der sogenannten Operation Spring vor mehreren Jahren wurden hundert oder mehr Schwarzafrikaner angeblich wegen Drogenhandels in einer riesigen Polizeiaktion verhaftet. Dabei hat der Vorwurf der kriminellen Vereinigung dazu gedient, Ermittlungsmethoden wie den großen Lauschangriff und so weiter einzusetzen. Nachträglich hat sich dann herausgestellt, daß die damals Verhafteten nicht nach diesem Paragraphen verurteilt worden sind, sondern nur wegen Drogenbesitzes oder geringfügigerer Vergehen. Die Ermittlungen jedoch waren nur möglich wegen des Verdachts auf kriminelle Vereinigung.

SB: Das ist auch der hauptsächliche Verwendungszweck des deutschen Paragraphen 129 a und b. Er ist im Grunde genommen ein Ermittlungsparagraph, der ganz selten zur Anklage und noch seltener zur Verurteilung führt.

HH: Dann hat es eine Anklage gegeben, über die noch nicht endgültig entschieden wurde, weil die Verteidigung Einspruch eingelegt hat, gegen den Araber Mohamed M. und die Österreicherin Mona S.. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Art Al Kaida-Branche in Österreich aufgebaut zu haben. In Wirklichkeit bestand der Vorwurf darin, daß durch Übersetzungen und Ins-Netz-Stellen von Al Kaida-Aussendungen, die letztlich konstruiert wurden, ein Zusammenhang auch auf Basis dieses Paragraphen erstellt wurde. Zumindest in erster oder zweiter Instanz gibt es schon Verurteilungen, aber das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Anwalt hat schon wieder völlige Nichtigkeit eingelegt. Und die Frau, die eigentlich nur Übersetzungsarbeit geleistet hat, während der Mann irgendwie geartete Kontakte zu Al Kaida zugegeben hat, die er allerdings als Journalist zur Herstellung von Kontakten mit der bürgerlichen Presse nutzen wollte, wenn ich mich richtig erinnere. Er sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft, die Frau ist derzeit auf freiem Fuß, weil die bislang ausgesprochenen Strafen nicht rechtfertigen würden, daß sie noch länger in Untersuchungshaft bleibt.

Der dritte Fall, der mir bekannt ist, betrifft zehn Tierschützer, die vor einem Jahr im Mai 2008 in einer großen Aktion festgenommen wurden. Ihre Wohnungen und auch die Büros dieses Vereins gegen Tierfabriken wurden durchwühlt und durchsucht. Ermittelt wurde insbesondere wegen schwerer Nötigung. So wird ihnen zum Beispiel vorgeworfen, einer Konditoreikette angedroht zu haben, bei fortgesetzter Verwendung von Eiern aus Legebatterien dies öffentlich zu machen. Die Konditoreikette hat eingelenkt und dementsprechend nur mehr einwandfreie Eier verwendet. Im nachhinein hat die Polizei auch bei dieser Konditoreikette ermittelt und gefragt, wie groß der Verlust auf Basis dieser politischen Aktion des Vereins gegen Tierfabriken war. Das wurde dann auch bei mehreren anderen Geschäften wie Pelzgeschäften von der Polizei ermittelt. Letztlich ist es darum gegangen, eine politische Kampagne juristisch als schwere Nötigung darstellen zu können. Das ist das Problem. Und jetzt wurden für immerhin 40 Leute, auch ein paar aus Deutschland, so weit ich weiß, die polizeilichen Abschlußberichte vorgelegt, aber die Staatsanwaltschaft hat noch keine Anklage erhoben.

SB: War es nicht bei dem zweiten Fall, den Sie erwähnten, so, daß die Angeklagte ausgeschlossen werden sollte aus der Verhandlung, weil sie ein Kopftuch getragen hat?

HH: Sie wurde ausgeschlossen, weil sie eine Vollverschleierung getragen hat. Es ist juristisch um die Frage gegangen, die nach meinem Verständnis doch relativ klar ist, daß man natürlich die Mimik eines Zeugen sehen muß, wenn man im Zeugenstand ist, aber sie war ja nicht Zeugin, sie war Angeklagte. Und da gibt es eine Reihe juristischer Gutachten und Stellungnahmen, die besagen, daß es nicht korrekt ist, sie aufgrund der Gesichtsverschleierung auszuschließen, solange sie nicht in den Zeugenstand gerufen wird.

SB: Das ist interessant, denn immerhin gibt es ja auch von staatlicher Seite verdeckte Zeugen, die man auch nicht sehen kann.

HH: Die gibt es sogar im Zeugenstand, ja. Aber gut. So ist es.

SB: Sie haben kürzlich einen Artikel zu einem möglichen Projekt der EU verfaßt, bei dem es um die Strafbarkeit der, wenn ich mich recht erinnere, billigenden Leugnung von Völkermord geht, so daß bestimmte Aussagen etwa zum Thema Srebrenica nicht mehr getroffen werden könnten.

HH: Ich glaube nicht, daß es ein mögliches Projekt ist. Das ist ein Projekt, das eigentlich im großen und ganzen abgeschlossen ist. Es gibt einen EU-Rahmenbeschluß aus dem Jahr 2007, der hauptsächlich von der deutschen Justizministerin Zypries, SPD, vorangetrieben worden ist. Sie hatte schon Jahre zuvor in Deutschland versucht, eine Art Gesinnungsparagraphen einzuführen, mit Hilfe dessen man nach dem Muster der Leugnung des Holocausts auch andere Völkermorde oder rassistische Äußerungen unter Strafe stellen kann. Es geht natürlich gegen Rassismus, Antisemitismus und Völkermordleugnung, und es geht vordergründig nicht unbedingt gegen links, aber ich meine, es richtet sich auch sehr gegen kritische Stimmen. Die Einzigartigkeit des Holocausts wird gestärkt, wobei man nicht vergessen darf, daß in Deutschland und Österreich und in insgesamt neun EU-europäischen Ländern die Leugnung des Holocausts strafbar ist.

Also ist das Leugnen von Naziverbrechen kein Gesinnungsdelikt, sondern ein Verbrechen. Das ist zu akzeptieren, das finde ich als Österreicher sowieso in Ordnung, auch als Deutscher würde ich das in Ordnung finden. Doch in dem Moment, in dem man beginnt, für andere Völkermorde, die unvergleichlich im Prinzip sind mit dieser industriellen Vernichtungsmaschine der Nazis, dieselben Paragraphen einzusetzen, kommt es zu einer Verwässerung und einer Inflation, die ziemlich gefährlich ist. Insofern müßten sich mehr oder minder alle Liberalen und Linksliberalen oder auch Rechtsliberalen dagegen wenden, und interessanterweise ist das bei den Historikern im großen und ganzen so. Es gibt sehr viele italienische, französische oder auch deutsche Historiker jeder Couleur, die sozusagen aufschreien, da sie genau wissen, daß es jetzt um die staatliche Verordnung historischer Wahrheiten geht. Das zielt ja auch in ihr Metier, wenn der Staat sagt, die Vertreibung der Armenier ist Völkermord gewesen, die Morde von Srebrenica sind Völkermord gewesen, Darfur ist Völkermord gewesen. Da braucht man über all das gar nicht mehr forschen, oder im Gegenteil, wenn man dort zu forschen beginnt und auf differenzierte Bilder stößt, also beispielsweise die zaristisch-russische Allianz mit den Armeniern oder die muslimischen Attacken gegen serbische Dörfer Jahre zuvor mit Tausenden Toten, die ja andere Morde nicht rechtfertigen, begibt man sich mehr oder minder schon in juristisch heikles Fahrwasser.

SB: Sie haben das Buch von Germinal Civikov über Srebrenica veröffentlicht und auch eine Veranstaltung dazu abgehalten. Halten Sie es für möglich, daß es nach dieser Regelung ein Straftatbestand wäre, sich wie Civikov auf einen Fall zu konzentrieren und nach dessen dezidierter Untersuchung ganz bestimmte Widersprüche aufzuzeigen?

HH: Das kann ich nicht sagen. Dazu bin ich zu wenig Jurist. Allerdings kann ich zu dem Buch "Sebrenica der Kronzeuge" von Germinal Civikov sagen, daß die Hauptstoßrichtung darauf abzielt, daß der Kronzeuge Drazen Erdemovic immer bei wichtigen Prozessen auftritt, um gegen Milosovic und demnächst gegen Karadzic eingesetzt zu werden. Dazu hat er zugegeben, zusammen mit sechs oder sieben anderen Tätern zwölfhundert Leute erschossen zu haben. Dennoch ist die Staatsanwaltschaft am Den Haager Jugoslawien-Tribunal seit 1996 nicht in der Lage, diese Menschen vorzuführen. Die interessiert nicht, wer damals an 1200 Erschießungen beteiligt war. Ich habe den Eindruck, daß die offizielle bosnische Politik nicht daran interessiert ist, an diesem Fall zu rühren, weil dies offensichtlich komplizierter wäre, als die Morde nur einer serbisch-bosnischen Einheit zuzuschreiben. Da waren mehrere andere Kräfte dahinter, aber soweit geht es gar nicht in der Untersuchung Civikovs. Sie behandelt eigentlich nur die Zweifel an der Anzahl der Opfer und die Zweifel an der alleinigen Täterschaft einer der bosnisch-serbischen Armee zugehörigen Truppe.

SB: Hatten Sie schon Reaktionen politischer Art auf das Buch?

HH: Ja, in Bosnien. Was man in den Medien ein wenig mitbekommen hat, waren sehr negative Reaktionen. Auf der anderen Seite wird es gerade, wenn ich das richtig sehe, ins Englische und ins Serbische übersetzt und möglicherweise ins Niederländische. Das sind positive Reaktionen, zumindest als Verleger freut man sich.

SB: Das könnte ja vielleicht doch etwas in Bewegung setzen, denn der Sachverhalt, den Herr Civikov geschildert hat, sollte die Leute schon ein wenig irritieren. Er hat ja vorher ein Buch über den Prozeß gegen Slobodan Milosovic in Den Haag geschrieben. Kam es darauf zu größeren Reaktionen? Es ist schließlich eines der wenigen Bücher, das überhaupt zu dem Prozeß erschienen ist und die dort aufgekommenen Widersprüche exponiert hat.

HH: Ich würde sagen, in der deutschsprachigen Linken war die Reaktion einheitlich und auch gut, ansonsten ist sie sehr unterschiedlich. Es gibt eine bulgarische Ausgabe, es gibt eine serbische Ausgabe, die polnische Ausgabe ist, glaube ich, noch nicht herausgekommen. Also im sogenannten slawischen Bereich wird das interessiert verfolgt, Civikov hat auch auf größeren Konferenzen in mehreren dieser Länder und dann auch in Moskau gesprochen. Aber die bürgerlichen Medien, die in dem Buch "Der Milosovic-Prozess" hauptsächlich attackiert werden, da sie den Prozeß am Anfang als Spektakel dargestellt haben und dann, als sich herausstellte, daß Milosovic keine wirklichen Strafmandate nachgewiesen werden konnten, nicht mehr darüber berichteten, haben diese Kritik damit beantwortet, daß sie das Buch praktisch verschwiegen haben. Das ist aber auch irgendwie logisch.

SB: Sie haben viel zum Thema Osteuropa publiziert. Ihr Buch "EU-OSTERWEITERUNG. Historische Basis - ökonomische Triebkräfte - soziale Folgen" ist schon in der zweiten, umfassend erweiterten Auflage erschienen. Darin haben Sie unter anderem erwähnt, daß die Beitrittskandidaten den sogenannten Acquis communautaire der EU zu erfüllen habe. Wie weitgehend, würden Sie sagen, ist der Eingriff nicht nur in die Vokswirtschaften, sondern auch in die Gesellschaften der Länder, die sich auf diese Weise auf einen EU-Beitritt vorbereiten müssen. Wie tiefgreifend ist der Strukturwandel?

HH: Der war vollständig. Man braucht nur daran denken, daß diese Länder keinen Markt gekannt haben, also weder einen Absatzmarkt noch einen Arbeitsmarkt oder einen Wohnungsmarkt, so daß diese Märkte erst hergestellt werden mußten. Oder auch die Art des Steuersystems. Steuern mußten überhaupt erst in die Volkswirtschaften eingeführt werden. Gar nicht zu sprechen davon, daß es letztlich in den allermeisten Ländern - ich nehme Slowenien aus bestimmten nachvollziehbaren Gründen immer aus - einen vollständigen Eigentumswandel gegeben hat. In den osteuropäischen Länder - das sieht in Rußland, der Ukraine und Belarus wieder ein bißchen anders aus - war es so, daß im Bankensektor, im produktiven Sektor, im Dienstleistungssektor im großen und ganzen nur westeuropäische Konzerne zum Zuge gekommen sind. Das Ganze fand vor dem Hintergrund eines, wie ich das einschätzen würde, Versuchs statt, die Krise, die eine Verwertungskrise im kapitalistischen System ist, durch Expansion, Stichwort osteuropäische Märkte, zu überwinden, und jetzt ist sie wieder auf ihr Plafond gestoßen.

SB: Sehen Sie da eigentlich einen spezifischen Charakter der Finanzmarktaktivitäten im Osten, wenn man bedenkt, daß es einen Sprung vom realsozialistischen Volkseigentum hin zu einer kapitalistischen Verwertungskette gegeben hat, so daß es auf einem sehr niedrigen Niveau finanzmarkttechnisch sehr viel aufzukaufen und zu entwickeln gab?

HH: Ich würde da gerne das Beispiel Slowenien beschreiben, um darzustellen, wie das Kapitalisieren hat gelingen können, ohne diese sozialen Verwerfungen und regionalen Disparitäten, die extremen Unterschiede, die im Zuge dieser Transformation gewachsen sind, erleiden zu müssen. Dies war dort bedingt durch die Tatsache, daß sich das meiste Eigentum nicht in Staatshand befand, sondern von Arbeitern selbst verwalteten Betrieben gehörte. Das war natürlich ein völlig anderer Zugang. So konnte man nicht unmittelbar dazu übergehen, das Eigentum dieser Arbeiterkollektive, das nicht dem Staat gehört hat, an irgendwelche westlichen oder sonstigen privaten Investoren zu verkaufen. Tudjman hat in Kroatien als erstes, nachdem er an die Macht gekommen ist, ein Gesetz zur gesamten Verstaatlichung dieser Arbeiterselbstverwaltungsstrukturen erlassen, um diese genau so privatisieren zu können, wie es alle anderen gemacht haben und wie es dann auch geschehen ist.

In Slowenien hat man das aber so gemacht, daß man den Arbeitern und den Pensionisten der jeweiligen Betriebe Vorkaufsrechte und Preisnachlässe für die zu kapitalisierenden Unternehmungen eingeräumt hat. Man hat sie schon in Akteingesellschaften oder ähnliches umgewandelt. Bei jeder dieser Privatisierung hat der Staat, das war eigentlich ziemlich genial, noch zwei Fonds mit je fünf oder zehn Prozent dieser Privatisierungssumme bedient, einen Renten- und einen Sozialfonds. Das heißt aus dieser Privatisierung sind auch noch Staatsgelder herausgekommen. Das hat diese titoistische Mittelklasse in eine bürgerlich-kapitalistische Mittelklasse umgewandelt, weil die alle zugegriffen haben. So hat man zum Beispiel im Bankensektor in Osteuropa an der Bilanzsumme gemessen in fast allen Ländern - in Polen ist es nicht ganz so schlimm - 80 bis 100 Prozent ausländisches Eigentum. In Slowenien sind es 35 Prozent. Und das ist in vielen derartigen Bereichen so, weil die nationale bürgerliche Mittelklasse dort diesen Wert erkannt hat. Fast in allen anderen osteuropäischen Ländern hat diese Chance nicht bestanden, weil die Privatisierungen gänzlich anders gelaufen sind, weil sich da einerseits ein paar bereichert haben, aber auf der anderen Seite vor allem westeuropäische Investoren bedient wurden.

SB: Und wie steht Slowenien zur Zeit da, im Rahmen der Wirtschaftskrise?

HH: Slowenien hat immer ein bißchen weniger Probleme, das liegt auch daran, daß es ein kleines Land ist, das bereits in der Eurozone ist, was auch ein wenig hilft. Andererseits gibt es Länder außerhalb der Eurozone, die durch Abwertungsmöglichkeiten eigene Politik machen können, was Länder in der Eurozone de facto nicht mehr machen können. Ich würde sagen, Slowenien steht so da wie die anderen, nicht extrem viel besser, aber sicher nicht schlechter.

SB: Wie beurteilen Sie die Dominanz westlicher Medienkonzerne in Osteuropa? Ist es zutreffend, daß deutsche Verlagskonzerne wie WAZ, Springer oder die Verlagsgruppe Passau große Teile der wichtigen Zeitschriften und Zeitungen dort übernommen haben? Hat dies auch politische Auswirkungen im Sinne einer Aussteuerung der öffentlichen Meinung über den westlichen Einfluß, oder ist in Ihren Augen doch redaktionelle Unabhängigkeit gegeben?

HH: Ich würde sagen, weder noch. Wenn zum Beispiel die WAZ die Politika in Belgrad übernommen hat, dann ist es nicht so, daß die plötzlich das schreiben, was in Deutschland die WAZ-Blätter oder die Frankfurter Allgemeine schreiben. Das würde nicht funktionieren, weil dort völlig andere gesellschaftliche Konsense existieren, zum Beispiel zum Krieg der NATO in Jugoslawien oder zu anderen Fragen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Druck in den wesentlichen wirtschaftlichen Fragen, sich nicht in irgendeiner Form gegen die sogenannten neoliberalen Vorwärtsstrategien des westeuropäischen Kapitals zu stellen, das ist sicher, da gibt es wahrscheinlich in den Medien wenig.

SB: Laut einem Kommentar in deutschen Medien hätten die Bevölkerungen der neuen EU-Staaten Osteuropas zu hohe Erwartung gehegt an die Errungenschaften der Demokratie und deswegen nicht in größeren Zahlen oder, wie in Polen, zu sehr geringer Zahl an der EU-Wahl teilgenommen. Hat die Wahlbeteiligung wirklich etwas damit zu tun, daß Versprechungen nicht eingelöst wurden?

HH: Schon 2004 lag die Wahlbeteiligung in der Slowakei und Polen unter 20 Prozent. Dieses Mal ist es nur die Slowakei, die unter 20 Prozent Wahlbeteiligung liegt, Polen ein wenig darüber. Ich glaube nicht, daß es in Osteuropa ein großes Interesse gibt an den Vorgängen, außer daß die Mehrheit der Leute die negativen Auswirkungen am eigenen Leib verspürt, sonst wär das ja nicht erklärbar.

SB: Hat sich die Abkehr vom Realsozialismus für die Masse der Bevölkerung überhaupt ausgezahlt, oder ist der Systemwandel im Sinne der politischen Beteiligung letztlich unerheblich geblieben?

HH: Ich habe da eine Statistik von einer angeblich repräsentativen Befragung aus dem Jahr 1998, durchgeführt von der in Wien ansässigen Paul Lazarsfeld-Gesellschaft für Sozialforschung, ein eher der Sozialdemokratie zugehöriges Umfrageinstitut. Gefragt wurde 1998 nach der Einstellung zum Kommunismus. Die Skala verlief von minus 100 bis plus 100, also ganz dramatisch schlecht oder ziemlich gut. Da hat man zum Beispiel in Ungarn eine positive Einstellung zum Kommunismus 1998, also nach knapp 10 Jahren Erfahrung, von 58 Prozent, in Slowenien von 42 Prozent, in der Slowakei von 46 Prozent und selbst in Polen, sozusagen das Paradebeispiel des vollverankerten antikommunistischen Konsenses, 30 Prozent. Das heißt, es gibt weite Teile der Bevölkerung, die auf diese einfache Frage auch sagen: Ja, so schlecht war es nicht.

SB: Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Serbien? Bewegt sich die Bevölkerung dort auf eine Integration zu, obwohl sie das Problem hat, zum einen wirtschaftlich stark abgehängt zu sein und zum anderen immer noch den NATO-Krieg 1999 im Rücken zu haben?

HH: Integration und abgehängt sein sind ja kein Widerspruch. Deshalb spreche ich auch eher von peripherer Integration, weil Integration nicht unbedingt heißt, daß das Niveau angehoben wird, und schon gar nicht geht es um einen sozialen oder regionalen Ausgleich. Das wird auch nirgends angekündigt. Abgesehen davon nähert sich das Durchschnittsniveau im Lebensstandard nicht in dem Sinne an die Zentrumsländer an. Mit Ausnahme von Slowenien und, so glaube ich, Ungarn, wenn ich jetzt die neuen Zahlen vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) nehme, die Aufholprozesse immer sehr schön beschreiben, sind Länder wie Bulgarien oder Rumänien zum Beispiel in der Industrieproduktion noch nicht einmal auf dem Niveau von 1989, obwohl 1989 der Zusammenbruch des ganzen Systems stattfand. Andere Länder haben zwar dieses Niveau erreicht - wobei Industrieproduktion eine hinterfragenswerte Größe ist, mit der man aber jetzt einmal hantiert -, sind aber im Verhältnis zu den Steigungsraten im Westen nicht entsprechend aufgestiegen. Der Vergleich mit der Türkei kann einen da ziemlich sicher machen in dieser sehr eingeschränkten wirtschaftsstatistischen Sichtweise, muß man dazu sagen. Letztere waren dann in den letzten 20 Jahren immer aufholender gegenüber allen anderen osteuropäischen Ländern.

Zurück zur Integration Serbiens. Das letzte Angebot der Europäischen Union vor den Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen hat zwei Anker gehabt. Der eine Anker war Reisefreiheit, sprich Aufhebung der Visarestriktionen, und der zweite Anker war, die Automobilproduktion in Kragujevac mit einer riesen FIAT-Investition auf neue Beine zu stellen.

SB: Das Werk, das 1999 zerbombt wurde?

HH: Genau. Das ja ohnehin immer mit FIAT zusammengearbeitet hat, weil es die längsten Jahre in Lizenz produziert hat. Beides ist nicht passiert, und das ist auch schon wieder zwei Jahre her, und das wissen die Leute. Wenn man in Serbien heute fragt, dann sagen die, sie hätten damals den Tadic gewählt, weil unter Anwesenheit diverser EU-Kommissare Versprechungen gemacht wurden. Und jetzt sind sie angefressen. Was das jetzt für unmittelbare Konsequenzen hat, weiß ich nicht, vor der nächsten Wahl werden wieder irgendwelche Angebote gemacht, nehme ich an, aber derzeit passiert in diese Richtung nichts. Es ist relativer Stillstand.

SB: Haben die Pro-EU-Politiker in Serbien nicht das Problem, wie sie das Ganze ideologisch unterfüttern sollen? Wenn zum Beispiel Serbien sich praktisch von Montenegro hat trennen müssen und für den EU-Beitritt der Verzicht auf Kosovo verlangt wird?

HH: Ja. Politisch gibt es eigentlich keinen Konsens über die Vorgaben der Europäischen Union. Sie behauptet, die NATO-Bombardements von 1999 waren der erste Schritt zur Befreiung, während die serbische Bevölkerung und eigentlich die Eliten fast aller Couleur mit der Ausnahme einer ultraliberal kleinen Partei erklären, das war ein Angriff auf die jugoslawische Souveränität ohne UN-Mandat. Da gibt es keinen Kompromiß. Die Frage des Kosovo ist ja selbst in der EU umstritten, da gibt es fünf Länder, die den Kosovo nicht anerkennen, Slowakei, Griechenland, Spanien, Rumänien und Zypern. In Serbien ist derjenige Teil der Bevölkerung, der der Ansicht ist, die Unabhängigkeit des Kosovo sollte von Belgrad anerkannt werden, so klein, daß er nicht in Prozenten zu messen ist.

Da hat es allerdings einen ersten Schritt seitens der Europäischen Union gegeben. Aus dem britischen Außenministerium heraus wurde vor ein paar Monaten eine Stellungnahme abgegeben, daß es für Serbien keine Bedingung wäre, den Kosovo anzuerkennen, sie könnten trotzdem in die Europäische Union. Was ja auch irgendwie logisch ist, denn wenn Spanien Kosovo nicht anerkennt, warum soll dann Serbien Kosovo anerkennen. Das ist jetzt kein riesengroßes Entgegenkommen, weil die EU sich selbst nicht einig ist. Aber es ist völlig richtig, daß die Wahrnehmungen völlig unterschiedlich sind zwischen Brüssel und Belgrad. Gerade in der Frage der NATO sind sehr viele Versuche unternommen worden in Jugoslawien. Ich habe selbst einiges am Rande miterlebt über die Wissenschaft. So wurden viele Seminare von US-amerikanischer Seite und von EU-europäischer Seite ausgerichtet, in denen man vor allem Historiker mehr oder minder dazu bringt, die NATO-Aggressionen als Befreiungsschritt gegen Milosovic und gegen den Kommunismus und so weiter darzustellen, aber das hat im großen und ganzen nicht funktioniert.

SB: Eine Frage noch zu Jugoslawien als föderales Modell. Der Niedergang Jugoslawiens ist in gewisser Weise direkt mit dem Aufstieg der EU verknüpft. Könnten Sie sich vorstellen, daß es sich dabei auch um ein Konkurrenzverhältnis gehandelt hat, weil Jugoslawien zumindest die Erinnerung an ein alternatives Modell zur EU als Staatenbund von Nationalstaaten beinhaltet hat, ging doch das Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen in Jugoslawien eine ganze Weile recht gut?

HH: Ja, alle drei multiethnischen Einheiten zerfielen zuerst oder wurden zerschlagen - es gibt immer innere und äußere Faktoren -, bevor dann Teile derselben der Europäischen Union beigetreten sind. Wenn man die drei baltischen Republiken, die Slowakei, Tschechien und Slowenien nimmt, dann hat man sechs Länder von den zehn, die nicht als territorial langfristig gültige Einheiten in die Europäische Union aufgenommen worden sind. Wenn man dann noch Zypern dazu nimmt, dann ist die absolute Mehrheit dieser zwölf neuen Beitrittsländer territorial nicht wirklich historisch langfristig gefestigt. Und das zeigt doch schon, was die Europäische Union wollte, nämlich kleine Portionen zur peripheren Integration und natürlich mit entsprechenden politischen Schwächen, weil dort Eliten kurzfristig an die Macht gelangten, die dieses Land kurz zuvor noch nicht vertreten haben, weil es noch gar nicht existierte.

SB: Herr Hofbauer, vielen Dank für das Interview.

23. Juni 2009