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ZEITZEUGEN LINKS/014: Zufallsfrei - Parteilinien und Brüche ...    Georges Hallermayer im Gespräch (SB)


Grafik: copy; 2016 by Schattenblick

Gespräch mit Georges Hallermayer am 17. Januar 2017 in Saarbrücken - Teil 2

"Der Klassengegner ist der gleiche geblieben" - in der Rückschau auf die sogenannte Wende 1990 zeigt sich, wie absehbar die Entwicklung war, die auf die Implosion der sozialistischen Staatenwelt folgte. Seines ideologischen Konterparts entledigt fordert das übriggegebliebene kapitalistische Weltsystem mit der Brutalität unbeschränkter Verwertungslogik und der Verächtlichkeit, den Menschen wenn nicht gänzlich überflüssig, so doch zu einem auf fremden Nutzen und unumkehrbaren Verbrauch geeichten Marktsubjekt zu machen, tagtäglich dazu auf, seine angebliche Alternativlosigkeit zu widerlegen.

Georges Hallermayer läßt diese Zeit epochaler Weichenstellungen aus ganz persönlicher Sicht Revue passieren. Zwischen den Widrigkeiten des Berufs- wie Privatlebens und einer gesamtgesellschaftlichen Situation, in der die Linke sich weniger gezwungenermaßen denn aus bequemem Überlebenskalkül in die Defensive begibt, bleibt Handlungs- und Bewegungsmöglichkeiten zu erschließen eine Aufgabe, die den ganzen Menschen erfordert. Wer sich nicht damit zufrieden geben will, bloß in Ruhe gelassen zu werden, sondern sich weiterhin streitbar in die herrschenden Verhältnisse einmischt, findet denn auch einiges über diese heraus.

Georges Hallermayer hat an seinem Erkenntnisinteresse und der Unbescheidenheit kritischer Interventionen festgehalten. So setzt er sich im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung für die Bewahrung und Weitergabe internationalistischer und kommunistischer Errungenschaften ein. Zwischen Frankreich und Deutschland pendelnd, mit den Verhältnissen in der PCF wie der DKP vertraut, ist er zudem auf einem binationalen Terrain unterwegs, das vielleicht mehr Trennendes aufweist, als auf den ersten Blick ersichtlich. Gerade deshalb könnte es für Linke erstrebenswert sein, Verbindendes auszuloten und auf eine Weise kämpferisch zu entwickeln, die der Totalität globaler Aneignungsprozesse und dem Rückfall in nationalchauvinistische Ressentiments auf zukunftsweisende Art Paroli bietet.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Georges Hallermayer
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Im Jahr der sogenannten Wende 1990 kam es auch in der DKP zu großen Veränderungen? Inwiefern hatte diese Zäsur in ihrem politischen Umfeld Einfluß auf den Schritt, ihr Lebensumfeld zu verändern?

GH: Im Prinzip keinen. Meine Frau hatte sich 1987 von mir getrennt. Ich bin dann in den Iran gegangen. Damals war dort Krieg. Da wollte niemand hin, und ich habe gesagt, meine Frau ist weg, was soll's, ich gehe, da habe ich Abstand. Der Abstand war gut, es war eine sehr wichtige Reise für mich, ich habe dort vier Monate praktisch Tag und Nacht gearbeitet. An den zwei Tagen, die ich in der Woche frei hatte, habe ich das Land gut kennengelernt. Und das Reisen hat praktisch nicht viel gekostet, Flugreise für 50 Euro, 1500 Kilometer von Norden nach Süden. Und die Hotels waren damals noch staatlich, ich habe dann im Schah-Palast in Isfahan übernachtet für 5 Euro oder so.

Egal, nach der Zeit im Iran kam dann der große Umbruch, an dem ich wenig teilhatte. Ich war unheimlich aktiv in der Zeit mit der Gründung der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft e.V., ich habe das vielleicht überspielt. Natürlich habe ich mitgekriegt, was alles auch kaputtgegangen ist. Den Beitrag von Hans-Peter Brenner, in dem er mit der Politik der "Reformer" abrechnete, hab ich heute noch. Aber was in der Partei vorgegangen ist, habe ich gedacht, das sind Diskussionen, aber wir bleiben zusammen, wir halten zusammen. Ich habe es in der Tragweite erst nicht erkannt. Ich war persönlich im Umbruch und bin 1990 ganz woanders hingegangen. Ich kannte ja niemand im Saarland und Veränderungen dort konnte ich nicht einschätzen. Und außerdem war ich dann auch in der PCF, weil ich nach Frankreich gegangen bin. Daher hat es mich nicht direkt betroffen.

SB: Gab es nicht auch in der DKP eine Art von bürokratischem Opportunismus, wo Menschen auf die Karriere abgehoben haben, auch in Hinsicht darauf, daß man vielleicht doch siegen würde?

GH: Ich war in keinem höheren Gremium. Alle hatten meinen großen Respekt. Und die DDR war ja auch ein Sponsor, was ich damals in der Tragweite nicht wußte. Mein Bruder war ja auch Parteiarbeiter, er hat beim Unidoc-Verlag gearbeitet, und der mußte selbst wirtschaften. Er hat sich nach 90 neue Arbeit gesucht. Die finanzielle Unterstützung war kein Problem für mich, habe gedacht, die machen bei den niedrigen Gehältern, die sie hatten, ihren Gewinn und das geht dann ringsum. Ich habe das damals nicht gesehen, weil ich den Karrierismus bei der SPD verortete. Und das war auch eine andere Qualität. Aber jetzt im nachhinein, natürlich, aber auch bei den früheren Revolutionären auf der Mao-Linie, ja wo sind die denn alle hin, um Gotteswillen? Das wußte ich alles nicht, kümmerte mich nicht, das weiß ich erst heute. Ich hatte das alles aus den Augen verloren. Ich habe mir auch eine gewisse Naivität erhalten.

Aber ich habe eines gesehen, das Wesentliche: Der Klassengegner ist der gleiche geblieben. Die Parteilinie war für mich richtig. Ich habe damals schon überlegt, wie könnte man ein bißchen freier diskutieren. Ich probierte alternative Methoden in der Bildungsarbeit aus, nur bin ich stets überzeugter Anhänger des demokratischen Zentralismus geblieben. Ich halte es für das demokratischste Verfahren, was es überhaupt gibt. Die Amerikaner halten es, bürgerlich wie sie sind, bis heute ein in der Präsidentenwahl. Wenn die Mehrheit es in diesem Bundesstaat beschlossen hat, dann vertrittst du, ob du es willst oder nicht, die Position der Mehrheit. Das imperative Mandat war für mich eines der zentralen Dinge, um von unten nach oben, auch in der SPD, überhaupt etwas verändern zu können. Wenn ich nur meinem Gewissen unterworfen bin - das Gewissen ist bezahlbar, wie man allenthalben sehen kann. Das war das eine, mit dem ich d'accord gegangen bin. Und dieser Eurokommunismus - ich habe ja gesehen, wo der Gorbatschow hingeht, das habe ich relativ früh erkannt. Ich hatte mich nur gewundert, daß so wenige etwas Kritisches mitbekommen habe. Obwohl ich ihm auch auf den Leim gegangen bin. Ich habe heute noch das Buch über die Friedensfähigkeit des Kapitalismus aus der DDR. Friedensfähigkeit des Imperialismus? Man kann ja sehen, was der alles an Frieden anstellt in dieser Welt.

An kontroversen Debatten hatte ich nicht teil. 1990, als die Mauer fiel, habe ich im Saarland keine Wohnung gefunden, weil aus der DDR eine Umzugswelle rübergeschwappt ist. Im Saarland war der Wohnungsmarkt leer, Ich mußte eine Wohnung in Frankreich nehmen, weil ich drei Monate gesucht habe. Solange war ich schön in einem Appartement im Carl-Duisberg-Centrum in Saarbrücken untergekommen, drei Monate lang.

Und ich konnte nichts vergleichen, weil ich nicht wußte, wie der Aktionsradius im Saarland vorher war. Ich wußte nur, daß meine Parteigruppe in Schwerte zusammengebrochen war, nachdem ich weg war. Als zwei alte Genossen aus der Friedensbewegung und aus der VVN, die dort alles mitbegründet hatten, gestorben waren, fiel es in sich zusammen. Nach einer Weile war mir das alles zu viel, habe ich gesagt, ich wohne in Frankreich, jetzt gehe ich nur noch zur PCF. Und wenn ihr mich einladet und ich Zeit habe, dann komme ich. Aber mich verpflichtet fühlen, auf jeden Fall zu kommen, bei jeder Aktion mitzumachen, das konnte und wollte ich nicht. In der Phase Mitte der 90er Jahre mußte ich sehr um meinen Job kämpfen.

SB: Weil Sie als Kommunist bekannt waren?

GH: Natürlich war ich in der Firma als Kommunist bekannt. Aber das war nicht der mir bekannte Grund. Ich habe einen Fehler gemacht, psychisch durch die Trennung belastet, aus Sturheit, mangelnder Flexibilität. und zwar hatte ich mich mit meinem Chef angelegt, was ich eigentlich gar nicht wollte. Ich habe gesagt, um den Kontakt zu unserem Produkt nicht zu verlieren, müssen auch der Chef und der Stellvertreter, ich auch, wir müssen auch unterrichten, um Kontakt mit unseren Kunden, postgraduierte Führungskräfte zu halten. Das waren ja alles Eierköpfe, die für die Karriere in ihren Ländern vorgesehen waren, die bei uns Deutsch lernten, um dann Praktika in der Industrie und an der Universität zu machen. Ich habe also meinen Chef, wozu ich als Fachleiter befugt war, für den Unterricht eingeteilt, doch der wollte nicht. Das war mein Todesurteil. Wenn ein Chef einen weghaben will, schafft er das. Das war mir auch klar (lacht).

Manchmal war ich etwas unflexibel, aber es war einfach auch so, daß ich durch die Trennung, durch die neuen Erfahrungen in Frankreich gehandikapt war. Ein Wochenende 400 Kilometer zur einen Tochter nach Schwerte oder zur großen nach Marburg, ein Wochenende zuhause Wäsche waschen. Viele Kilometer, etliche Unfälle in dieser Zeit. In der neuen Wohnung lebte ich wie im Kloster. Ich hatte ein Haus gemietet, durfte jeden Tag eine Dreiviertelstunde nach Saarbrücken fahren zur Arbeit und retour aufs Land. Eine Seite Apfelbäume, Rindvieh, andere Seite Apfelbäume ohne Rindvieh, vorne Straße, hinten Nachbarn (lacht). Und ich sprach kein französisch damals. Jedenfalls wurde ich in der Arbeit gemobbt, aber man hat mich als Dozent weiterbeschäftigt. Das Gehalt mußten sie mir weiterbezahlen (lacht). Obwohl ich dann nur noch Dozent war, aber Teilzeit konnte ich abbiegen. Allerdings habe ich mehrere Jahre von Quartal zu Quartal damit gerechnet, gekündigt zu werden. Ich war dann ewig auf dem Sprung, so etwas wie ein Paukstudio, Nachhilfestudio in Sarreguemines zu machen, aber der Kelch ging an mir vorüber. Man hat mich dann zwar immer noch schikaniert, zum Beispiel Berichte von mir verlangt, aber das ging alles. Das ging mir nicht mehr an die Existenz, weil ab 55 war ich in Frankreich abgesichert. Wenn du arbeitslos wurdest, bekamst du 75 Prozent bis zur Rente, bis zehn Jahre, das ist mittlerweile längst passé. Hollande hat das abgeschafft.

SB: Ging die Affinität zu Frankreich dem nicht voraus?

GH: Ich hatte keine Affinität, nur Neugier. Das hat erst meine zweite Frau erreicht, die ich auf der Hochzeit eines Genossen kennenlernte.

SB: Fühlten Sie sich anfangs in Frankreich nicht sehr fremd?

GH: Und wie! Stellen Sie sich vor: Am Nationalfeiertag spazierenzugehen, vom "place Europe" ist bayerische Blasmusik zu hören. Im großen Zelt wird französisch gesprochen, die Kapelle singt mit Tiroler Akzent, ein arabisch Aussehender dreht das ganze Lamm am Spieß und brät Merguez. Ich fühlte mich wie auf einem anderen Stern.

Ich habe Lehrgeld bezahlt. In meiner Naivität habe ich die Wohnung in Frankreich am Abend besichtigt. Und wenn du in der Nacht Auto fährst, ist es nicht weit (lacht). Alles ist dunkel und bleibt im Gedächtnis nicht so haften. Jedenfalls war das ganz schön weit weg. Die Fahrt in die Arbeit dauerte fast eine Stunde, und das Finanzamt akzeptierte die Werbungskosten nicht. Damals mußte man auch alles umorganisieren, das Auto mußtest du ummelden, brauchtest andere Papiere. Die Bürokratie ist, wenn du kein französisch kannst, schwierig und teuer. Das Auto mußtest du umrüsten lassen, weil wir gelbe Scheinwerfer und einen eigenen TÜV brauchten, eine eigene Immatrikulation, einen eigenen Führerschein, das war eine Heidengeschichte. ich fühlte dort sehr einsam und nicht willkommen. Die örtliche Gendarmerie kam einmal mit 20 Mann ins Wohnzimmer, in Stiefeln und haben meinen Gehaltsnachweis verlangt. Ich wußte, daß es illegal ist, aber ich konnte mich nicht wehren.

SB: Hatte das politische Gründe?

GH: Glaube ich nicht. Nein, das war ganz simple Fremdenfeindlichkeit (lacht). Noch dazu war einer meiner Nachbarn bei den Gendarmen. Der hat sich zurückgehalten und hat sich wohl geniert. Der wollte einfach wissen, wer ich bin, wieviel Geld ich verdiene. Noch dazu hatte ich damals eine viel jüngere, hübsche Freundin. Lehrgeld mußte ich zahlen. Die haben mit mir nur Französisch gesprochen, weil Patois ist der deutsche Dialekt, den benutzen sie nur privat. Klar, den sprechen sie auch nur, wenn sie wollen und wenn es nicht anders geht. Aber formell ist erst einmal alles Französisch. Man muß sich dann auch umstellen. Der Straßenverkehr läuft anders. Da mußte ich auch viel Lehrgeld zahlen, das heißt viele Knöllchen, zum Beispiel das Haltegebot! Ich habe dreimal das Verkehrserziehungs-Seminar gemacht, um mein Punktekonto wieder aufzufüllen.

SB: Ist das heute anders, das Verhältnis zu Deutschen in Frankreich?

GH: Die Fremdenfeindlichkeit existiert unter der Oberfläche weiter. Das hat auch Gründe, weil zum Beispiel Deutsche die Grundstückspreise verderben, sie die ganzen Jahre verdorben haben. Mittlerweile sind sie in Sarreguemines, wo ich wohne, so hoch wie in Saarbrücken. Im Land draußen geht es noch. Da kommen auch noch Deutsche, aber mittlerweile gibt es einige Dörfer, wo ganze Straßenzeilen deutsch besiedelt sind. Das sehen die Franzosen nicht gerne. Es hat sich vieles angeglichen, es ist auch vieles näher geworden. Weniger kompliziert, aber die Grenze ist im Kopf, und die Grenze ist auch lokal. Es ist ein anderes Leben, weil das Leben in Frankreich schon einmal einem anderen Tagesrhythmus folgt. Wenn das Hauptfernsehprogramm viertel vor neun angeht, heißt das, daß du die Tagesschau nicht mitkriegst. Du kriegst auch die deutschen Vorabendserien und Reklame nicht mit. Da ißt du dein Abendessen.

SB: Ist in Frankreich Fernsehen als kollektives Medium immer noch so präsent, daß sich der Lebensrhythmus danach richtet?

GH: Der Lebensrhythmus richtet sich danach, die Nachrichten am Abend. Bei uns ja auch. Auch die Eßkultur, abends gibt´s auch ein Menü, aber das schafft die junge Generation langsam ab.

SB: Man hat ja den Eindruck, daß sich vieles aufgelöst und auseinanderdividiert hat, seit die Leute Internet-affin sind.

GH: Ja schon, in Deutschland auch, aber trotzdem, der Lebensrhythmus bleibt, gegessen wird von halb acht bis halb neun. Und wenn du um sieben anfängst, ist auch recht. Da ist einfach Abendessen, basta. Und für die Kinder ist gouter am Nachmittag um vier. Dann kriegen sie alle ihr Gebäck oder sonst etwas. Damit es so weit reicht, weil wir in Deutschland um sechs essen. Das kann ich gar nicht mehr, um vier habe ich Hunger (lacht). Ganz verrückt. Der Tagesrhythmus ist ein anderer. Es ist vieles anders. Ich konnte mich zum Beispiel nie daran gewöhnen, daß der Mittwoch Nachmittag schulfrei war für die verschiedenen Freizeitaktivitäten der Kinder wie Sporttraining und Musikschule.

SB: Wie sieht es aus in der französischen Linken, die zuletzt die großen Proteste gegen das Loi Travail geführt hat, bei denen die CGT sehr stark war, und trotzdem wurde das Gesetz durchgebracht. Was ist von der früher sehr starken Linken überhaupt noch übriggeblieben?

GH: Die Linke ist erstens kleiner, schwächer geworden, zweitens zersplitterter. Die klassische Linke gibt es nicht mehr. Warum? Weil die PS nicht mehr links ist. Links und rechts ist eine Kategorie, die durch Klasseninteressen definiert wird, überall, international. Und wenn Leute in der AfD wie auch der Macron links und rechts auflösen wollen, auch selbst die Begrifflichkeiten, dann wissen die schon warum. Die PS ist heute Mitte. Es gibt dort einen linken Flügel, aber das ist wie in der Linkspartei bei uns, wo die Kommunistische Plattform eine kleine Minderheit ist, auch dort so. Jedenfalls gab es einige Verschiebungen im Verhältnis links und rechts. Erstens bedingt durch die Mitte und durch die Rechte, die sich dem Rechtsextremismus geöffnet hat, also der klassischen krypto-faschistischen Linie. Wie das damals der Generalsekretär der alten UMP, Copé, genannt hat - "décomplexer". Mit Le Pen und diesen Rechtsaußen nichts zu tun haben zu wollen, ist ein Komplex - "den Komplex verlieren". Eine beeindruckende propadandistische Masche, hat die Presse groß weiterverbreitet.

Le Pen hat mittlerweile ein großes Pech, der Fillon ist besser, der kann mehr integrieren. Mittlerweile ist er so weit rechts, daß die Le Pen gar nicht weiß, wo sie sich positionieren soll. In all den Fragen, die klassisch sind für Le Pen, das ist nationale Identität, Fremdenfeindlichkeit, Immigration, all das hat Fillon besetzt, und zwar in den Positionen rechtaußen, hat noch zusätzlich den Gewerkschaften den Krieg erklärt dadurch, daß er die Sozialversicherung abschaffen will, Wahnsinn, fünf Millionen aus dem öffentlichen Dienst entlassen will, das heißt also, er müßte alles privatisieren, was bisher staatlich ist. Das ist die Krankenversorgung, dort arbeiten viele als Beamte in dem Status, Ärzte, Krankenschwestern, die Bildung müßte er privatisieren, dann schafft er es, weil allein aus der öffentlichen Verwaltung heraus kriegt er fünf Millionen nicht los. Die müßten all das privatisieren, und das ist ein Wahnsinnsprojekt.

Macron ist der klassisch neoliberale Chicago-Boy. Bei der Frage, wer gewinnt, geht es meines Erachtens nicht mehr um Le Pen oder die Sozialisten. Auf der einen Seite die klassische Linie Neoliberalismus, auf der anderen - ich will nicht sagen Faschismus, weil das der offene Terror ist, um Dimitroff zu folgen, aber die Tendenz in diese Richtung. Und die Linke ist gehandikapt dadurch, daß die PS mutiert ist in das offen bürgerliche Lager nach dem Beispiel Schröders, unter Hollande. Sie hätten ja ohne weiteres dieses Gesetz El Khomri verhindern und dem Valls die rote Karte zeigen können. Wollten sie aber nicht. Einige sind der Abstimmung ferngeblieben, andere haben dann gegen ihn unterschrieben, aber nicht mehr im Parlament gegen ihn gestimmt. All diese Scheiße, die in dieser sogenannten Linken da passiert ist, all die Legitimationsprobleme, die bei diesen sogenannten Frondeuren vorgekommen sind, alle Schattierungen.

SB: Folgt Hollande nicht da der gleichen neoliberalen Logik, die in Deutschland, wie behauptet wird, sogar erfolgreich vorgemacht wurde?

GH: Natürlich folgt er dieser Logik, nur er ist nicht dafür angetreten, und er ist auch nicht dafür gewählt worden. Gewählt worden ist er eher dafür, was in Großbritannien auch von den Bürgerlichen mit dem Brexit gefordert wurde.

SB: Eine Art nationale Selbstbehauptung.

GH: Bei den Franzosen ist es ja nicht minder entwickelt wie bei den Briten, nur die Briten hat man in dem Fall gefragt. Die Franzosen fragt man nicht, weil die wären sonst auch dafür. Die haben schon einmal mit Nein gestimmt. Das ist das eine Problem. In der PS ist die Linke auf einen kleinen Flügel der Partei geschmolzen. Die Kommunistische Partei ist in sich gespalten in einen Mehrheitsflügel, der etwa auf Linie, wenn ich es ganz bösartig sagen will, der südafrikanischen Kommunistischen Partei liegt, der man auf Englisch nachsagt: talk left, walk right. Die Europahörigkeit der PCF ist mittlerweile etwas gebrochen, scheint aber immer noch sehr stark zu sein. Nicht umsonst hat Pierre Laurent den Vorsitz in der Europäischen Linkspartei aufgegeben. Der Widerstand in der Partei ist schon gewachsen, aber die französische Kommunistische Partei ist im Unterschied zu 1970 eine mutierte, eine eurokommunistische KP. Und wenn der Weg so weitergeht, geht sie den Weg der italienischen Partei. Und für mich scheint er auch so vorgezeichnet zu sein. Die Orientierung "links" hat sich von der Kommunistischen Partei weg in einzelne Flügel innerhalb der Kommunistischen Partei und außerhalb der Kommunistischen Partei verschoben.

SB: Sind linke Politiker wie Mélenchon glaubwürdige Nachfolger, oder tendieren sie noch mehr zur politischen Mitte?

GH: Mélenchon kommt wie ich aus dem sozialistischen Lager, hat die Linkspartei mitbegründet, auch kritisch antikapitalistisch. Er ist besonders kritisch mit seinen ehemaligen Genossen, so lehnte er bei den letzten Regionalwahlen Bündnisse mit dem PS ab, im Gegensatz zur PCF. Mélenchon hat viele Anhänger auch in der PCF. Ich habe mal gefragt, in wieweit dort marxistische Schulung, Theorie betrieben wird. Ich bin seit 20 Jahren Abonnent der L'Humanité, aber auch der Theorie-Zeitschriften und so weiter. Von Marxismus ist da kaum mehr die Rede, und Lenin kommt nicht mehr vor. Indem man auf Stalin schlägt, schlägt man Lenin. Das passiert in der PCF ebenso. Deshalb behauptet eine Gruppierung aus ehemaligen PCF-Leuten, die im "Pôle de Renaissance Communiste en France" (PRCF) sind, die PCF sei nicht mehr in der Lage, sich als kommunistische Partei zu erneuern, wie es die DKP geschafft hat. Die DKP hat es ja als winzige Partei geschafft. Aber die denken, die PCF geht den Weg in den italienischen Abgrund. Ich wünsche es mir nicht, aber ich befürchte es auch.

SB: Ist der PRCF vergleichbar mit der DKP?

GH: Nein, der Pôle ist keine Partei, sondern eine Gruppierung, die die kommunistischen Kräfte drumherum sammeln will und zur Zeit große Schwierigkeiten hat, weil sich eine winzige Gruppierung von Kommunisten so nennt wie der Pôle. Und die wollen jetzt auch zu den Wahlen antreten, und von daher gibt es noch eine zusätzliche Splitterung innerhalb der marxistischen Linken. Das ist sehr schwierig. Und ich weiß es nicht, die CGT übernimmt ja praktisch eine Führungsrolle in den aktuellen Bewegungen. Im Widerstand gegen das Gesetz El Khomri hat die CGT gekämpft und die Argumente gebracht. Die PCF hat im Parlament ihre Arbeit gemacht, aber hat kaum Einfluß mit ihren paar Hanseln. Die PCF hat im Senat erneut beantragt, daß man dieses Gesetz zurücknimmt. Natürlich wird so ein Antrag abgeschmettert. Aber die Straße entscheidet. Nicht umsonst werden zur Zeit alle militanten CGTler, deren die Polizei und Gendarmerie habhaft werden konnte, verknastet, Schritt für Schritt. Die ganzen Monate hinweg wurden Gewerkschafter nicht nur bei Goodyear und Air France, die national große Bedeutung und Informationsgewicht haben, mit Haft- und Geldstrafen, wenn auch zum großen Teil mit Bewährung, belegt. Jetzt wird abgestraft.

Meines Erachtens wird die Wahl wird zwischen Macron und Fillon entschieden, wenn nicht doch noch Le Pen medial aufgepäppelt wird. (Das Interview fand noch vor der Aufdeckung der Beschäftigungsskandale von Fillon statt). Das ist die klassische Entscheidung wie Clinton und Trump in den USA. Und ich meine, Fillon wird gewinnen, so wie Trump auch. Macron sagt, tut was, werdet Millionäre, das hat er wirklich gesagt. Diese Masche ist tot, die zieht nicht mehr so sehr, auch wenn die Medien ihn hochjubeln. Der Rothschild-Zögling tritt ohne Programm an, als Heilsbringer, der an die Emotionen rührt, die Fremdenfeindlichkeit mobilisiert, und dann das Nationalbewußtsein - es ist schlimm, und die Linke hat meines Erachtens dem kaum was entgegenzusetzen. Man muß sich ja nur mal diesen Zickzackkurs vor Augen halten, den die PCF in dieser Wahlfrage vollzogen hat. Das ist eine Schande, von Führungsqualität ist da nicht mehr viel zu sehen.

SB: Weil sie Mélenchon nicht unterstützt?

GH: Nein, weil sie keine Führungsqualitäten gezeigt, sondern einen Zickzackkurs eingeschlagen haben. Auf dem Parteitag gab es den Antrag A "Wir unterstützen Mélenchon", Antrag B "Wir wollen eine Eigenkandidatur". Nein, Antrag C wurde beschlossen: "Wir entscheiden gar nichts, sondern wir vertagen uns auf den Parteitag im November". Dann entschließt sich dieser Funktionärsparteitag zu einer eigenen Kandidatur, obwohl tags zuvor sich der erste Vorsitzende noch für Mélenchon ausgesprochen hatte. Jetzt kommt eine sogenannte Mitgliederbefragung, ich wurde ja auch gefragt. Und diese Mitgliederbefragung entscheidet: Wir wollen Mélenchon unterstützen.

(wird fortgesetzt)

10. Mai 2017


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