Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

KIRCHE/1077: Kommt das Panorthodoxe Konzil? (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 11/2010

Kommt das Panorthodoxe Konzil?
Alte Konflikte und neue Konstellationen in der Orthodoxen Kirche

Von Johannes Oeldemann


Seit Jahrzehnten läuft der Vorbereitungsprozess für ein "Panorthodoxes Konzil". Entscheidend für das Zustandekommen einer solchen Versammlung ist ein gedeihliches Verhältnis zwischen den Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau. Konstantinopel hat historisch und kanonisch eine Vorrangstellung, gleichzeitig ist das Moskauer Patriarchat die mitgliederstärkste und einflussreichste orthodoxe Kirche.


Für die Orthodoxe Kirche in Deutschland war der 27. Februar 2010 ein historischer Tag. Die in Nürnberg versammelten orthodoxen Bischöfe gaben die Gründung einer Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland bekannt. Damit wurde ein von vielen Orthodoxen, die seit Jahrzehnten in der westlichen Diaspora leben, lang gehegter Traum Realität: Die Einheit der Orthodoxen Kirche, zu der sich alle Orthodoxen trotz der jurisdiktionellen Aufteilung in verschiedene Patriarchate beziehungsweise autokephale (selbstständige) Ortskirchen im Grundsatz bekennen, findet nun auch sichtbaren Ausdruck in einer gemeinsamen Bischofskonferenz.

Die "Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland" (kurz: KOKiD), ein 1994 auf Betreiben des Münsteraner orthodoxen Theologen Anastasios Kallis gegründetes Gremium zur Förderung der Kooperation zwischen den Orthodoxen in Deutschland, bleibt als Arbeitsstruktur der Orthodoxen Bischofskonferenz erhalten. Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz ist ex officio der ranghöchste Vertreter des Ökumenischen Patriarchats in Deutschland, Metropolit Augoustinos, der seit 1980 der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland vorsteht.


Die Orthodoxen in Deutschland waren mit ihrem Nürnberger Beschluss die ersten, die auf diese Weise die entsprechenden Empfehlungen einer gesamtorthodoxen Versammlung, der IV. Präkonziliaren Panorthodoxen Konferenz, die im Juni 2009 im Orthodoxen Zentrum in Chambésy (in der Nähe von Genf) getagt hatte, umgesetzt haben. Mit dieser Präkonziliaren Konferenz ist der Prozess der Vorbereitung auf ein Panorthodoxes Konzil wieder in Gang gekommen, der bereits in den sechziger Jahren begonnen hatte, jedoch seit Mitte der neunziger Jahre ins Stocken geraten war. Die Orthodoxe Kirche hatte im gesamten zweiten Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung aufgrund ihrer schwierigen äußeren Lage - zunächst in den Kreuzfahrer-Staaten (11.-13. Jahrhundert), dann im Osmanischen Reich (15.-19. Jahrhundert), schließlich unter kommunistischer Herrschaft (20. Jahrhundert) - kein einziges gemeinsames Konzil abhalten können.

Auf dem Panorthodoxen Konzil wollen die autokephalen orthodoxen Kirchen daher die theologischen, pastoralen und kanonischen Fragen diskutieren, die aus der veränderten Lage ihrer Kirchen an der Wende vom zweiten zum dritten Millennium resultieren. Denn verändert hat sich vieles, nicht nur der gesellschaftliche Kontext, in dem die Orthodoxen leben (kurz gefasst: Demokratie statt Monarchie, Pluralismus statt Staatskirchentum), sondern auch ihre innere Verfasstheit, seit die Orthodoxen nicht mehr nur im östlichen Europa, Kleinasien und Nordafrika beheimatet sind, sondern sich durch Migration zu einer weltweit verbreiteten Kirche entwickelt haben. Die Orthodoxie ist mithin nicht mehr überall die bestimmende Mehrheitsreligion, sondern befindet sich vielerorts in einer Diasporasituation.


Textvorlagen für ein Konzil

Es war der charismatischen Persönlichkeit des damaligen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras I., zu verdanken, dass zu Beginn der sechziger Jahre ein gesamtorthodoxer Beratungsprozess in Gang kam, um sich mit dieser gewandelten Situation auseinanderzusetzen. Auf vier "Panorthodoxen Konferenzen" (1961 bis 1968) beriet man einerseits über innerorthodoxe Fragestellungen, andererseits über das Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen. Bei der ersten Panorthodoxen Konferenz in Rhodos 1961 wurde eine umfangreiche Themenliste für das angestrebte Konzil aller Orthodoxen erstellt, die acht Themenbereiche mit jeweils zahlreichen Unterthemen enthielt.

Schon bei der vierten Panorthodoxen Konferenz in Chambésy 1968 erkannte man die Notwendigkeit einer Reduktion der zu bearbeitenden Themen. Außerdem verständigte man sich bei dieser Gelegenheit, dass das in Aussicht genommene Konzil offiziell "Heiliges und Großes Konzil der Orthodoxen Kirche" genannt werden solle. Der endgültige Themenkatalog wurde von der I. Präkonziliaren Panorthodoxen Konferenz 1976 in Chambésy festgelegt. Er umfasst zehn Punkte, von denen die ersten vier (Diaspora, Autokephalie, Autonomie und Diptychen, also die Rangordnung der Patriarchate) aus der Entwicklung der Orthodoxen Kirche zu einer Weltkirche resultieren, weitere drei mit der veränderten gesellschaftlichen Situation zu tun haben (Kalenderfrage, Ehehindernisse, Fastenvorschriften), während sich die letzten drei mit ökumenischen Fragestellungen befassen (Verhältnis zu den anderen Kirchen, Beziehungen mit dem ÖRK und sozialethische Fragen).


In der Folgezeit begann man Textvorlagen für das Konzil zu erarbeiten, um den Konzilsvätern eine Beratungsgrundlage zu bieten, aber auch um bereits im Vorfeld eine Verständigung in besonders umstrittenen Fragen anzustreben. Auf diese Weise entstand eine ganze Reihe bemerkenswerter, auch für den Außenstehenden lesenswerter Dokumente, die Aufschluss über das Selbstverständnis der Orthodoxen Kirche in heutiger Zeit geben. Die II. Präkonziliare Panorthodoxe Konferenz (Chambésy 1982) verabschiedete Beschlussvorlagen über "Ehehindernisse" (mit Überlegungen zu konfessionsverschiedenen Ehen), "Anpassung der kirchlichen Fastenvorschriften an die Forderungen der heutigen Zeit" und zur Kalenderfrage.

Auf der III. Präkonziliaren Panorthodoxen Konferenz (Chambésy 1986) widmeten sich die Delegierten erneut der Bedeutung des Fastens und legten eigene Dokumente über "Die Beziehungen der Orthodoxen Kirche zur gesamten christlichen Welt" (mit jeweils spezifischen Aussagen über die Dialoge mit Anglikanern, Altkatholiken, Altorientalen, römischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten) sowie zum Thema "Orthodoxe Kirche und ökumenische Bewegung" vor. Außerdem wurde eine Stellungnahme zu verschiedenen sozialethischen Fragestellungen verabschiedet, die den umständlichen Titel "Der Beitrag der Orthodoxen Kirche zur Verwirklichung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Liebe zwischen den Völkern sowie zur Beseitigung der Rassen- und anderer Diskriminierungen" trägt.


Wiederbelebung nationalen Gedankenguts

Motor und zentrale Schaltstelle der Beratungsprozesse war das vom Ökumenischen Patriarchat getragene Orthodoxe Zentrum in Chambésy unter der Leitung des ebenso kommunikativen wie intelligenten Metropoliten Damaskinos (Papandreou). Vieles, was in den siebziger und achtziger Jahren im Blick auf die innerorthodoxe Verständigung erreicht wurde, ist seinen Fähigkeiten zur "Mediation", wie man es heute ausdrücken würde, zu verdanken. Und so ist es wohl kein Zufall, dass der Prozess der Vorbereitung auf das Panorthodoxe Konzil nicht nur, aber auch wegen seiner schweren Erkrankung nach einem Schlaganfall im Jahr 2001 für einige Jahre zum Erliegen kam.

Entscheidender als der Ausfall des wichtigsten Promotors des Konzils waren jedoch die politischen Umbrüche in Ost- und Südosteuropa, die nicht nur zum Zerfall der Sowjetunion, sondern auch zu grundlegenden Veränderungen der kirchlichen Landschaft in den ehemals kommunistisch beherrschten Staaten führten. In der Ukraine und in Rumänien konnten die nach dem Zweiten Weltkrieg verbotenen und in den Untergrund verdrängten griechisch-katholischen Kirchen wieder legale Kirchenstrukturen aufbauen, was nicht nur zu Konflikten mit den Orthodoxen in beiden Ländern führte, sondern auch den orthodox-katholischen Dialog in der Folgezeit belastete. In Bulgarien entstand ein innerorthodoxes Schisma, weil ein Teil des Klerus die Autorität des noch unter kommunistischer Herrschaft gewählten Patriarchen Maxim in Frage stellte.

In der Ukraine konkurrieren nun schon seit vielen Jahren drei - zeitweise waren es sogar vier - orthodoxe "Kirchen" um die Gunst der Gläubigen: Neben der Ukrainischen Orthodoxen Kirche unter Führung von Metropolit Volodymyr, die zum Patriarchat von Moskau gehört und die einzige kanonisch anerkannte, also auch von den anderen Orthodoxen als legitim erachtete Orthodoxe Kirche in der Ukraine ist, gibt es noch die von "Patriarch" Filaret (einem ehemaligen Metropoliten des Moskauer Patriarchats, der von diesem inzwischen laisiert wurde) geleitete Ukrainische Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats und die von Exilukrainern begründete Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche.

Im Hintergrund der konkurrierenden orthodoxen Jurisdiktionen in der Ukraine steht neben innerkirchlichem Machtstreben vor allem eine "Los-von-Moskau"-Bewegung, die als Gegenreaktion zur sowjetischen Hegemonialpolitik, die auch in den kirchlichen Bereich hineinreichte, zwar verständlich ist, aber dennoch zu einer Überbetonung des Nationalgedankens führt, der dem Selbstverständnis der Orthodoxie eigentlich zuwiderläuft.


Die Wiederbelebung nationalen, teils nationalistisch eingefärbten Gedankenguts und das Streben, sich aus der Umklammerung Moskaus zu lösen, beförderten auch das Entstehen neuer, vom Moskauer Patriarchat unabhängiger Kirchenstrukturen in Moldawien und Estland. In der Republik Moldau suchte ein Teil der Gläubigen Anschluss an die Rumänische Orthodoxe Kirche, der sie sich aufgrund der sprachlichen Nähe stärker verbunden fühlten als dem fernen Moskau. In Estland kam es, befördert von den auf Unabhängigkeit bedachten staatlichen Stellen, zur Wiederbelebung der Estnischen Autonomen Orthodoxen Kirche, die in der unabhängigen Republik Estland in der Zeit zwischen den Weltkriegen vom Ökumenischen Patriarchat im Jahr 1923 den Status einer autonomen (sich selbst verwaltenden, aber weiterhin dem Patriarchat von Konstantinopel unterstehenden) Kirche erhalten hatte.

Mit der Wiedererrichtung dieser Kirche unter Leitung eines griechisch-orthodoxen Metropoliten entstand 1996 eine Paralleljurisdiktion zu der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden orthodoxen Metropolie von Tallinn und ganz Estland. Für wie schwerwiegend dieser Schritt in Moskau erachtet wurde, zeigt die Tatsache, dass es für einige Monate zur Aufkündigung der Kommuniongemeinschaft - also zum Schisma - zwischen Moskau und Konstantinopel kam.


Keine katholisch-orthodoxe Verständigung über die Rolle des Papstes

In dieser konfliktträchtigen Lage kam nicht nur der Prozess der Vorbereitung auf das Panorthodoxe Konzil zum Erliegen. Auch der orthodox-katholische Dialog litt zunehmend unter den innerorthodoxen Auseinandersetzungen. Die achte Vollversammlung der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission im amerikanischen Baltimore scheiterte im Juli 2000 vor allem aufgrund der Konflikte innerhalb der orthodoxen Delegation. Nachdem der Dialog nach einer längeren Unterbrechung im September 2006 in Belgrad wiederaufgenommen worden war, kam es bereits bei der nächsten Vollversammlung in Ravenna im Oktober 2007 zu einem Eklat: Die Delegation des Patriarchats von Moskau unter Leitung des damals noch in Wien residierenden Bischofs Hilarion (Alfeyev) verließ gleich am ersten Tag unter Protest die Sitzung, weil auch Vertreter der Estnischen Autonomen Orthodoxen Kirche anwesend waren, die nur von Konstantinopel, nicht aber von Moskau als legitim anerkannt ist.

Das in Ravenna verabschiedete Dialogdokument trägt dementsprechend auch nicht die Unterschriften der Repräsentanten der Russischen Orthodoxen Kirche, was seine Rezeption bis heute belastet. Die von russischer Seite gegenüber dem Dokument von Ravenna geäußerten Vorbehalte sind jedoch nicht nur formeller Art, sondern beziehen sich auch auf den Inhalt des Dokuments. Im Mittelpunkt der russischen Kritik steht ein Abschnitt, in dem die Rolle des Ökumenischen Patriarchats innerhalb der Orthodoxie nach der Trennung von Ost- und Westkirche in einer gewissen Parallelität zur Rolle des Papstes innerhalb der Katholischen Kirche beschrieben wird. Eine solche "primatiale Funktion" des Ökumenischen Patriarchats innerhalb der Orthodoxen Kirche - "wenn auch in anderer Weise (als der römische Primat, J.O.) verstanden", wie es im Dokument von Ravenna heißt - will die Russische Orthodoxe Kirche nicht anerkennen.


Aufgrund der innerorthodoxen Verwerfungen nach dem Eklat von Ravenna entstand auch das als Arbeitsgrundlage für die nächste Phase des internationalen orthodox-katholischen Dialogs erstellte "Dokument von Kreta" ohne russische Beteiligung. Es wurde vom Koordinierungskomitee der Kommission im Herbst 2008 bei einer Sitzung auf Kreta erarbeitet und stellt den ersten Versuch einer gemeinsamen Darstellung der Rolle des Bischofs von Rom im ersten Jahrtausend dar.

An den Beratungen über diese Textvorlage im Rahmen der beiden jüngsten Vollversammlungen der Kommission auf Zypern 2009 und in Wien im September 2010 beteiligte sich die russische Kirche zwar wieder, nachdem das Problem mit der Orthodoxen Kirche in Estland dadurch gelöst worden war, dass man sich darauf verständigte, künftig nur noch autokephale Kirchen an den Beratungen der Internationalen Dialogkommission zu beteiligen. Dennoch gelang es weder auf Zypern noch jetzt in Wien, zu einer Verständigung über die Rolle des Papstes im ersten Jahrtausend zu gelangen, was nicht allein dadurch bedingt sein dürfte, dass das "Dokument von Kreta" zu sehr von der römischen Sichtweise geprägt ist, wie von orthodoxen Kommissionsmitgliedern nach der Wiener Tagung in der Presse kolportiert wurde, sondern mindestens ebenso stark mit den Vorbehalten der russischen Seite gegenüber diesem Text zusammenhängt, der von "den Griechen" zusammen mit den Katholiken verfasst wurde.


Für den orthodox-katholischen Dialog stellt die Tatsache, dass die Russen innerhalb der internationalen Dialogkommission relativ isoliert dastehen, ein großes Problem dar. Die Dialogkommission wird eindeutig von griechischen Vertretern dominiert, weil nicht nur die Vertreter des Ökumenischen Patriarchats, sondern auch der Patriarchate von Alexandrien und Jerusalem sowie der Orthodoxen Kirchen von Zypern und Griechenland aus der griechischsprachigen Orthodoxie stammen.

Zudem kann die Russische Orthodoxe Kirche derzeit nicht auf die Unterstützung der anderen slawischsprachigen Kirchen zählen, weil die serbischen Vertreter aufgrund ihrer theologischen Ausbildung enge Verbindungen zu Griechenland haben und die Bulgarische Orthodoxe Kirche aufgrund ihrer nach wie vor schwierigen inneren Lage bei den letzten Kommissionssitzungen nicht vertreten war.

Mit diesen Überlegungen soll keineswegs einer "Blockbildung" innerhalb der Orthodoxen Kirche - Slawen hier, Griechen dort - das Wort geredet werden. Doch die isolierte Position der Vertreter des Moskauer Patriarchats "kränkt" nicht nur ihr Selbstbewusstsein als Repräsentanten der weitaus größten orthodoxen Kirche (das Moskauer Patriarchat umfasst mehr Gläubige als alle anderen autokephalen orthodoxen Kirchen zusammen), sondern wird auch dem in den beiden letzten Jahrzehnten deutlich gestiegenen Niveau der russischen Theologie nicht hinreichend gerecht.


Ein weiteres Problem, das die innerorthodoxen Beziehungen belastet, stellen die verschiedenen Exilgemeinden in Westeuropa dar, die sich während der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa von ihren Mutterkirchen (die sie - ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt - unter kommunistischem Einfluss vermuteten) losgesagt und sich dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellt hatten. Sowohl die Russische als auch die Rumänische Orthodoxe Kirche versuchen seit einigen Jahren, diese Gemeinden wieder unter ihre Jurisdiktion zurückzuholen - teils freundschaftlich werbend und einladend, teils nachdrücklich fordernd, wobei auch juristische Mittel eingesetzt werden, um zum Beispiel bestimmte Kirchengebäude wieder dem Patriarchat zu unterstellen.

Wie der Streit um die russische Kathedrale in Nizza beispielhaft zeigt, droht den Exilgemeinden auf diese Weise ihre Existenzgrundlage genommen zu werden, womit das Modell einer in die westliche Gesellschaft integrierten Orthodoxie in Gefahr gerät. Zudem offenbaren diese Auseinandersetzungen, dass trotz gegenteiliger Beteuerungen bei vielen orthodoxen Hierarchen das Denken in nationalen Kategorien nach wie vor dominiert.


Die Patriarchen Bartholomaios und Kirill pflegen gute Kontakte

Dass trotz der genannten Schwierigkeiten in letzter Zeit wieder Bewegung in den Prozess der Vorbereitung des Panorthodoxen Konzils gekommen ist, dürfte nicht nur mit der Erkenntnis der Dringlichkeit der zu beratenden Fragen zu tun haben, sondern auch damit, dass es in mehreren orthodoxen Patriarchaten zu einem Wechsel auf der Führungsebene gekommen ist. Mit Patriarch Daniel (geb. 1951, seit September 2007 im Amt) in Rumänien und Patriarch Kirill (geb. 1946, seit Februar 2009 im Amt) in Russland sind zwei Patriarchen an die Spitze ihrer Kirchen gerückt, die nicht nur einer jüngeren Generation angehören, sondern auch über jahrelange Erfahrungen im internationalen Bereich verfügen. Beide waren als Repräsentanten ihrer Kirche zeitweise beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf beziehungsweise Bossey tätig und wissen sich daher auch im ökumenischen Kontext zu bewegen.

Der jüngste Wechsel im Patriarchenamt in Serbien führte zwar nicht zu einem Generationenwechsel - der neue Patriarch ist bereits 80 Jahre alt -, wohl aber zu einem Mentalitätswechsel: Patriarch Irinej (geb. 1930, seit Januar 2010 im Amt) zeigt sich ökumenischen Kontakten gegenüber sehr aufgeschlossen. Mehrfach plädierte er bereits für einen Papstbesuch in Serbien. Im August 2010 eröffnete er persönlich die Tagung der "Societas Oecumenica", der Europäischen Gesellschaft für ökumenische Forschung, an der Theologischen Fakultät in Belgrad. Und während seines Österreich-Besuches im September betonte Patriarch Irinej ausdrücklich die Bereitschaft seiner Kirche zum ökumenischen Dialog.


Entscheidender für die Verbesserung der innerorthodoxen Beziehungen wird jedoch die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen Konstantinopel und Moskau sein. Nach einer konfliktträchtigen Dekade setzte hier die "Synaxis" (Versammlung) der orthodoxen Patriarchen im Oktober 2008 erstmals wieder positive Signale. Sie machte den Weg frei zur Einberufung der IV. Präkonziliaren Panorthodoxen Konferenz, die - wie schon erwähnt - im Juni 2009 wiederum in Chambésy tagte. Das bei dieser Konferenz auf der Basis früherer Vorarbeiten verabschiedete Dokument über "Die orthodoxe Diaspora" legt die Grundlage für eine geregelte Zusammenarbeit der verschiedenen Patriarchaten angehörenden orthodoxen Bischöfe in der westeuropäischen und amerikanischen Diaspora.

Die Konferenz beschloss zugleich eine Mustersatzung für orthodoxe Bischofskonferenzen in der Diaspora, die auch die Grundlage für die Gründung der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland bildete. Eine Folgekonferenz im Dezember 2009 unterbreitete konkrete Vorschläge, wie die Verfahren zur Anerkennung der Autokephalie beziehungsweise Autonomie einer orthodoxen Ortskirche aussehen könnten, so dass vom vorgesehenen Themenkatalog des Panorthodoxen Konzils nur noch hinsichtlich der Frage der "Diptychen", in denen die Rangfolge der autokephalen Kirchen festgelegt ist, bislang kein Lösungsvorschlag vorliegt.


Die genannten Fortschritte bei der Vorbereitung des Panorthodoxen Konzils wurden vermutlich auch dadurch ermöglicht, dass Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel und Patriarch Kirill von Moskau gute persönliche Beziehungen pflegen. Dass die erste Auslandsreise Patriarch Kirills an den Sitz des Ökumenischen Patriarchen in Istanbul führte, mag noch der kanonischen Ordnung innerhalb der Orthodoxen Kirche geschuldet sein. Aber dass Patriarch Bartholomaios diese Antrittsvisite im Mai 2010 mit einem 10-tägigen Russland-Besuch erwiderte, war außergewöhnlich.

Und so war es zwar keine Sensation, aber doch eine Überraschung für viele Beobachter, als Patriarch Bartholomaios am Schluss seiner Russlandvisite davon sprach, dass das Panorthodoxe Konzil innerhalb der nächsten zwei Jahre einberufen werden solle.

Damit dieser ehrgeizige Plan in die Tat umgesetzt werden kann, bedarf es neben dem guten Willen der beiden Ersthierarchen in Moskau und Konstantinopel aber sicher noch weiterer Anstrengungen. Denn es reicht nicht, wenn das innerhalb der Orthodoxie historisch und kanonisch an erster Stelle stehende Patriarchat (Konstantinopel) und das heute mächtigste und einflussreichste Patriarchat (Moskau) sich einig sind. Denn für die Einberufung eines Panorthodoxen Konzils bedarf es der Zustimmung aller autokephalen orthodoxen Kirchen. Daher ist der Weg bis zur Eröffnung des Panorthodoxen Konzils vielleicht doch noch länger, als es die optimistischen Meldungen aus Moskau und Konstantinopel erwarten lassen.


Johannes Oeldemann (geb. 1964) ist Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und Mitglied der Gemeinsamen orthodox-katholischen Kommission in Deutschland. Jüngste Veröffentlichungen: Die Kirchen des christlichen Ostens (2008), Einheit der Christen - Wunsch oder Wirklichkeit? Kleine Einführung in die Ökumene (2009).


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 11, November 2010, S. 553-337
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,29 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011