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KIRCHE/1466: Serbien - Kirche gegen Kosovo-Abkommen, Orthodoxe Bischöfe halten Hassreden gegen Regierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Mai 2013

Serbien: Kirche gegen Kosovo-Abkommen - Orthodoxe Bischöfe halten Hassreden gegen Regierung

von Vesna Peric Simonjic



Belgrad, 17. Mai (IPS) - Die einflussreiche orthodoxe Kirche Serbiens hat kürzlich in aller Öffentlichkeit eine rote Linie überschritten, indem sie auf einer Demonstration in Belgrad Todesdrohungen gegen Regierungsvertreter aussprach.

Die Kundgebung am 10. Mai wurde von Gegnern des kürzlich geschlossenen und als historisch betrachteten Abkommens zwischen Serbien und dem Kosovo organisiert. Im Wesentlichen ist darin festgelegt, dass die serbische Bevölkerung des Kosovos künftig der Regierung in Pristina untersteht.

"Wir beten für die toten Seelen von Regierung und Parlament, mögen alle ihre Sünden vergeben werden", kommentierte Erzbischof Amfilohije das Abkommen vor etwa 3.000 Nationalisten, die sich auf dem zentralen Platz der Republik versammelt hatten. Und an die Adresse von Regierungschef Ivica Dacic gerichtet erklärte Bischof Atanasije: "Der Premierminister spricht über Realpolitik. So sprach auch Premier Zoran Djindjic, und wir alle wissen, wie sein Ende war." Djindjic wurde 2003 ermordet.


Serben im Kosovo wollen Hoheit Pristinas nicht akzeptieren

Die Einigung mit Pristina wurde im April unter den Auspizien der Europäischen Union unterzeichnet. Gefordert wird darin eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und seiner früheren Provinz. Das Abkommen sorgte für große Irritationen unter den rund 100.000 Serben im Kosovo, die trotz ihrer weitreichenden Autonomie die Hoheit Pristinas nicht anerkennen.

Das Kosovo, wo etwa 1,7 Millionen ethnische Albaner leben, war zu Zeiten des ehemaligen Jugoslawiens Teil von Serbien. Nach der Auflösung Jugoslawiens 1991 stand das Kosovo unter der direkten Herrschaft Belgrads. Eine serbische Minderheit blieb bis 1999 an der Macht.

In den neunziger Jahren löste ein bewaffneter Aufstand gegen Belgrad brutale Unterdrückungsmaßnahmen der Armee des früheren Diktators Slobodan Milosevic aus. Mehr als 13.000 ethnische Albaner kamen damals ums Leben. Das Blutvergießen wurde 1999 durch elfwöchige Bombenangriffe der NATO in Serbien gestoppt, die ehemalige serbische Provinz unter UN-Verwaltung gestellt.

Nach dem Aufbau der ersten demokratischen Institutionen erklärte das Kosovo 2008 seine Unabhängigkeit und wird bislang von 96 Nationen anerkannt. Das Kosovo ist für Millionen Serben die Wiege des serbischen Staates, die Geburtsstätte vieler serbischer Herrscher und der orthodoxen Christenheit. Einige der ältesten und bedeutsamsten Klöster liegen im Kosovo, obwohl ethnische Albaner dort inzwischen in der Mehrheit sind.

"Nichts kann das skandalöse Verhalten der beiden Bischöfe bei der Demonstration rechtfertigen", sagte der Religionsexperte Mirko Djordjevic. "Die Äußerungen der beiden Würdenträger sind beispiellos und werden sicherlich Auswirkungen auf die künftigen Beziehungen zwischen Regierung und Kirche haben."

"Es ist höchste Zeit, dass die Serbisch-Orthodoxe Kirche (SPC) aufhört, sich in weltliche Angelegenheiten zu mischen", kommentierte die Belgrader Tageszeitung 'Blic'. "Der Ruf der Institution ist nun endgültig dahin. Die Hassreden sollten bestraft werden."

Die Empörung der Öffentlichkeit machte sich auf den Websites vieler Medien Luft. Hunderte User, von denen sich einige als Gläubige bezeichneten, protestierten gegen die Worte der Geistlichen.

Die SPC gewann in Serbien an Einfluss, als das frühere Jugoslawien zusammenbrach und Milosevic auf der Suche nach Verbündeten während der Kriege der neunziger Jahr seine antiklerikal-kommunistische Haltung aufgab. Die Kirche folgte daraufhin der staatlichen Linie und sprach von der Notwendigkeit, "Serben zu verteidigen, die außerhalb ihres Mutterlandes leben". Damit waren die Serben in Kroatien und Bosnien gemeint. Während der von Milosevic geführten Kriege wurden mehr als 200.000 Nicht-Serben getötet. Der Ruf des Landes wurde dadurch aufs Schwerste beschädigt.


Kirche stärkte Position in Zeiten des Werteverfalls

2001 wurde in den Schulen der Religionsunterricht eingeführt. "Die Kirche nutzte das Vakuum, das durch den Verfall früherer und durch das Fehlen neuer Werte im Kriegschaos der neunziger Jahre entstanden war", erläutert der unabhängige politische Analyst Zivica Tucic. In politischen und wirtschaftlichen Übergangsphasen und Krisen sei die Kirche für die Menschen der einzige Zufluchtsort.

Nach einer Volkszählung von 2011 waren 94 Prozent der rund 7,3 Millionen Serben orthodoxe Christen. Beobachtern zufolge wiegen Religion und Nationalgefühl gleich stark. Der Belgrader Soziologe Milan Vukomanovic meint dazu: "Die Kirche hat in den vergangenen zwei Jahren ihren Platz eingenommen, und man kann kaum erwarten, dass sie ihn wieder aufgibt." Das Phänomen sei nach der Mobilisierung der Ethnien in den Kriegen der Neunziger entstanden, meint er. Diese Kriege wurden demnach entlang ethno-religiöser Linien ausgefochten. Beteiligt waren katholische Kroaten, orthodoxe Serben und muslimische Bosnier.

"Trotz der Tatsache, dass der Krieg lange vorbei ist, sehen wir immer noch nicht, dass sich die SPC für die Versöhnung und die Hilfe für die Armen engagiert", kritisiert Vukomanovic. Orthodoxe Geistliche hatten sich auf breiter Ebene an den Kriegen in Kroatien und Bosnien beteiligt. Einige besuchten die Front und segneten Soldaten, die in der ostbosnischen Stadt Srebrenica Kriegsverbrechen begingen. 1995 wurden dort etwa 8.000 bosnische Muslime ermordet. (Ende/IPS/ck/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013