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STANDPUNKT/049: Franziskus feierte triumphalen Empfang in Lateinamerika (Gerhard Feldbauer)


Franziskus feierte triumphalen Empfang in Lateinamerika

Als erster Papst entschuldigte er sich für die schweren Verbrechen seiner Kirche bei der kolonialen Eroberung

Von Gerhard Feldbauer, 14.07.2015


Am Montag kehrte Papst Franziskus von Paraguay, der letzten Station seiner achttägigen Lateinamerikareise zurück. An der Messe vor über einer Million Menschen in Asuncion nahm auch die Präsidentin seines Heimatlandes Argentinien, Cristina Fernández, teil. Dass Jorge Mario Bergoglio in Südamerika ein Heimspiel haben würde, war erwartet worden. Aber dass er auf seiner Reise, die ihn nach Ecuador und Bolivien in links regierte Länder führte, von deren Präsidenten er offiziell eingeladen worden war, einen derart triumphalen Empfang erleben würde, überraschte selbst Vatikankenner. In Bolivien umarmte ihn der indigene sozialistische Präsident Evo Morales herzlich und überreichte ihm ein aus Hammer und Sichel geformtes Kruzifix. Unter Morales, der seit 2005 amtiert und im vergangenen Oktober zum dritten Mal wieder gewählt wurde, hat der Andenstaat nach Verstaatlichungen im Erdgassektor wirtschaftliche und soziale Fortschritte gemacht, so in der Infrastruktur, der Gesundheitsversorgung sowie der sozialen Lage der Bevölkerung und weist zuletzt ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent auf.

Franziskus sprach in den drei Staaten, in denen 90 Prozent der Bevölkerung Katholiken sind, auf fünf Predigten, traf sich mit Koka-Bauern, besuchte Sträflinge in Gefängnissen und wurde auf den Strassen jubelnd begrüßt. Er demonstrierte, dass er, auch wenn er die Meinung seiner Gesprächspartner nicht immer teilt, keine Berührungsängste hat und den Dialog, den er fordert, auch persönlich führt. In seiner scharfen Kritik an den menschenfeindlichen Auswüchsen des Kapitalismus, die er mit seiner vor einem Monat erlassenen ersten Enzyklika "Laudatio si" als offizielle Linie seines Pontifikats bekräftigte, legte er statt der ihm in Rom nahegelegten Zurückhaltung eher noch einen Zahn zu und forderte "ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung". In der Kathedrale von La Paz erklärte er: "Wenn sich die Politik von der Finanzspekulation beherrschen lässt oder die Wirtschaft sich nur nach dem technokratischen und utilitaristischen Paradigma der maximalen Produktion richtet", werde man die großen Probleme der Menschheit "nicht lösen können." Das gegenwärtige System sei "weder für landlose Bauern noch für Arbeiter, weder für indigene Gemeinschaften noch für die Mehrheitsbevölkerungen in den Staaten Lateinamerikas noch für die Erde selbst länger zu ertragen." Er verurteilte die Militärdiktaturen der Vergangenheit auf dem Kontinent und ihre Verbrechen am Volk, warnte vor heutigen gefährlichen kriegerischen Auseinandersetzungen, und der ihnen entspringenden Gefahr von Weltkriegsauseinandersetzungen. Er betonte, auch das ein Novum, die Kirche müsse die "örtlichen Volkstraditionen", die zur Kultur gehörten, aus der die Menschen hervorgegangen sind, in ihre Haltung zu ihnen einbeziehen und verlangte "eine ethische und moralische Bildung, die zu einer Haltung der Solidarität und der Mitverantwortung unter den Menschen erzieht."

Präsident Morales, der eine "Erneuerte Katholisch-Apostolische Kirche des plurinationalen Staates" fördert, die im Vatikan abgelehnt wird, würdigte den Papst als "Verbündeten im Kampf gegen Armut und Ausgrenzung", zu dem man "Vertrauen haben könne". Er nannte ihn "meinen Bruder", so wie das Oberhaupt der katholischen Kirche den Staatschef in seiner Ansprache als "Bruder Präsident" anredete. Solche Szenen veranlassten die New York Times zu der Frage, ob Franziskus eine "soziale Revolution" unterstütze.

Den Gipfel erklomm diese Papstreise, als Franziskus die barbarischen Verbrechen der Kolonisatoren bei der Eroberung des lateinamerikanischen Kontinents an den Ureinwohnern verurteilte. Auf dem "Zweiten Welttreffen der Volksbewegungen" erklärte er unter nicht enden wollendem Jubel vor den indigenen Gruppen und Aktivisten im bolivianischen Santa Cruz, an dem auch Präsident Morales teilnahm: "Im Namen Gottes sind viele schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden" für die "wir uns niemals entschuldigt haben". Er bat "demütig um Vergebung" für Straftaten, die während der sogenannten Eroberung von Amerika verübt wurden". Ausdrücklich würdigte er "die Männer, die die einheimischen Völker verteidigten." Laut Angaben von Radio Vatikan schrieb er die Rede komplett selbst.

Damit komme es zum "starken Kontrast" zum Kurs" "seines Vorgängers Benedikt XVI." schrieb die "Neue Zürcher Zeitung". Klarer ausgedrückt, wie Insider vermerken, bricht Franziskus hier mit der reaktionären Linie seines Vorgängers, dem deutschen Ratzinger-Papst, der ihn vor Reiseantritt laut einem Bericht der Nachrichtenagentur ANSA mahnte, nicht den radikalen Kurs des II. Vatikanischen Konzils Johannes XXIII. einzuschlagen, der "nicht als Bruch mit der Tradition verstanden werden dürfe". Was er unter Tradition versteht, hatte Benedikt 2007 in Brasilien demonstriert, als er die barbarischen Verbrechen der katholischen Kolonisatoren leugnete und behauptete, die Völker Südamerikas hätten ihre Missionierung "still herbeigesehnt" und ihre Bekehrung sei "ganz friedlich" verlaufen. Erst Massenproteste und das Fernbleiben Hunderttausender von seinen Predigten, veranlassten ihn, zu bedauern, dass es dabei zu Gewalttaten gekommen sei. Mit keinem Wort verurteilte Benedikt - wie jetzt Franziskus - die Massenmorde und die Versklavung der Indios.

Die Lateinamerika-Reise macht Franziskus erneut zum Hoffnungsträger für Reformen auch bei den Dogmen seiner Kirche. Ob er hier bereit ist, Korrekturen vorzunehmen, wird sich im Herbst zeigen, wenn eine Bischofssynode zu Fragen der Moral in Ehe und Familie ansteht.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2015

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