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STANDPUNKT/060: In Gottes Namen - die Politik der Päpste (Ingolf Bossenz)


In Gottes Namen - die Politik der Päpste

Von Kaiser Konstantin bis zu Castros Kuba: Die Romkirche mischte im Weltgeschehen kräftig mit.

von Ingolf Bossenz, November 2015


Im Anfang war das Wort. Und das Wort war - beim Kaiser. Nachdem der römische Imperator Konstantin I. im 4. Jahrhundert seine Vorliebe für das Christentum entdeckt hatte, begann der grandiose Aufstieg einer jüdischen Sekte zu einer religiösen Supermacht. Ein Aufstieg, der seinesgleichen sucht. Nach allen Auf- und Abspaltungen des numinosen Großunternehmens (vor allem Schisma von 1054 und Reformation) ist die in Rom zentralisierte »eine, heilige, katholische und apostolische Kirche« im 21. Jahrhundert lenkende und inspirierende Institution für Glauben, Denken, Leben und Handeln von über einer Milliarde Menschen.

Der in Tradition und Nachfolge des Römischen Imperiums stehende Gottes-Dienstleister ist zudem ein das globale politische Geschehen beeinflussender und bewegender Akteur. Diese Tatsache demonstrierte erst jüngst die im Dezember 2014 nach Jahrzehnten erbitterter Feindschaft erfolgte Wiederannäherung zwischen den USA und Kuba. Papst Franziskus hatte laut Medienberichten in diesem Prozess eine vermittelnde Rolle gespielt. Demzufolge trafen sich die Delegationen aus Washington und Havanna auch im Vatikan zu Gesprächen und der seit März 2013 als Papst Franziskus die römisch-katholische Kirche führende Jorge Mario Bergoglio schrieb Briefe an die Präsidenten Barack Obama und Raúl Castro. Dieses diplomatische Engagement besiegelte der Italo-Argentinier auf seiner Reise nach Kuba und in die USA im September dieses Jahres, auf der er die neue Öffnung beider Staaten zueinander einen »Sieg der Kultur der Begegnung« nannte.

Die Causa Kuba beschäftigte einen von Bergoglios Papst-Vorgängern noch weitaus drängender: Johannes XXIII. Die Raketenkrise im Herbst 1962 fiel in die Zeit, als der 1958 zum »Stellvertreter Christi« gewählte Angelo Giuseppe Roncalli versuchte, durch ein konzilianteres Verhältnis des Heiligen Stuhls zu den sozialistischen Staaten die immer stärker vereisenden Ost-West-Fronten aufzutauen. Damit durchbrach der lombardische Pontifex, der sich vor allem mit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) bleibende Verdienste erwarb, den notorischen Antikommunismus seines Vorgängers Pius XII. Doch die Weltpolitik konterkarierte diesen aus Rom kommenden Hoffnungsstrahl: Mit der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba und der daraufhin von Präsident John F. Kennedy verhängten Seeblockade sowie der Unnachgiebigkeit beider Seiten wurde die Welt an den Rand eines heißen, eines nuklearen Krieges getrieben. Johannes XXIII., inzwischen von den Großmächten ob seiner Integrität und humanistischen Fairness geachtet, konnte als neutrale Instanz für Gespräche zwischen Sowjetunion und USA wirken, die schließlich zur Beilegung dieser Weltkrise führten.

Päpste machen Politik. Im Vatikan. Vom Vatikan. Der Mons Vaticanus, eine eher unbedeutende geografische Erhebung an Roms rechtem Tiberufer, wurde zwar erst Ende des 14. Jahrhunderts Sitz von Papst und Kurie. Doch heute ist »Vatikan« Synonym und Inbegriff der zentralisierten Macht der römisch-katholischen Kirche nicht nur in der Aktualität, sondern auch rückblickend bis zur »Konstantinischen Wende«. Die Entwicklung und Entfaltung dieser Macht geschah seither sowohl im engen Zusammenwirken mit staatlichen Instanzen wie in der erbitterten Auseinandersetzung mit diesen.

Die gewaltige territoriale Ausdehnung des Kirchenstaats über weite Teile Italiens beruhte nicht zuletzt auf veritablen Fälschungen wie der »Konstantinischen Schenkung«. Dieses expansive Gebilde überlebte nicht die nationalstaatliche Einigung Italiens. 1870 nahmen italienische Truppen Rom ein, was das Ende selbstherrlich-weltlicher Anmaßung bedeutete. Der Summus Pontifex Ecclesiae Universalis (Oberster Priester der Weltkirche, einer von rund einem halben Dutzend Titeln des Papstes) gebot nun nur noch über eine römische Reste-Rampe, was der damals amtierende Pius IX. und der ihm nachgefolgte Leo XIII. mit apostolischer Abschottung beantworteten. Auch von jenseits der Alpen kam kalter Wind: Der von Bismarck in Deutschland ausgerufene »Kulturkampf« ließ den romhörigen politischen Katholizismus gegenüber dem Protestantismus an Kontur verlieren. Beförderte doch Letzterer, wie es Max Weber eindrucksvoll zur Theorie erhoben hatte, den unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen so notwendigen Geist des Kapitalismus.

Die Geburtsstunde erneuerter römischer Kirchenmacht war zugleich deren verhängnisvollster Geburtsfehler: Mit der Unterzeichnung der Lateran-Verträge am 11. Februar 1929 durch Italiens Regierungschef Benito Mussolini und Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri in Rom wurde zwar der Kirchenstaat für seine Gebietsverluste entschädigt und erhielt der Vatikan volle Souveränität. Zugleich wertete dieser Akt aber auch die faschistische Diktatur auf (wie vier Jahre später das Reichskonkordat das Hitler-Regime) und ließ Mussolini - unter Verweis auf eine Bemerkung von Pius XI. - als »Mann der Vorsehung« glorifizieren.

Als 1939 Eugenio Pacelli unter dem Namen Pius XII. das Papstamt antrat, war der mit rund 44 Hektar kleinste Staat der Welt zu einem veritablen politischen Faktor erstarkt, von dem eben deshalb ein strikteres, konsequenteres, beharrlicheres Wirken gegen »das radikal Böse«, gegen »das, was nicht hätte passieren dürfen« (Hannah Arendt), erwartet wurde. Der charismatische und diplomatisch hoch erfahrene, aber zugleich von klerikalem Kleinmut und politischen - vor allem antikommunistischen - Ressentiments blockierte Pacelli-Papst sorgte in seinem unmittelbaren Einflussbereich für Räum- und Möglichkeiten, um Tausende Juden vor dem NS-Vernichtungswahn zu retten. Allerdings wartete die Welt vergeblich auf ein unmissverständliches Wort des höchsten Repräsentanten der katholischen Christenheit gegen das Weltverbrechen des Holocaust.

Dass ausgerechnet der 1958 nach Pacellis Tod als Übergangspapst Johannes XXIII. gewählte Angelo Giuseppe Roncalli eine außenpolitische Offensive eröffnete, war so überraschend wie das von ihm einberufene Konzil. Es begann die Ostpolitik des Vatikans, die nach Roncallis Tod 1963 von Giovanni Battista Montini, dem vor allem durch seine »Pillen«-Enzyklika bekannt gewordenen Paul VI., fortgeführt wurde.

Mit der ersten Rede eines Papstes vor der UNO am 4. Oktober 1965 führte Paul VI. den Vatikan in das Geflecht moderner internationaler Organisationen ein. Und er setzte erstmals im 20. Jahrhundert Auslandsbesuche als Instrument der apostolischen Außenpolitik ein. Der bislang unübertroffene Virtuose auf diesem Instrument wurde der 1978 als erster Nichtitaliener seit 455 Jahren zum Papst gewählte Pole Karol Wojtyla. Hatte Vorgänger Paul VI. eine Ostpolitik kreiert, die Mauern zwischen den Systemen mit ein paar Öffnungen zu versehen, war Johannes Paul II. von der Vision und dem Ehrgeiz besessen, diese Mauern niederzureißen. Eine Strategie, die Kooperation mit dem US-Geheimdienst ebenso einschloss wie Gelder und Konterbande für die Untergrundarbeit in seiner polnischen Heimat.

Joseph Ratzinger als Wojtylas langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation führte nach seiner Wahl zum Papst dessen Kurs wider die Befreiungstheologie erwartungsgemäß fort, setzte aber kaum eigene außenpolitische Akzente. Insbesondere tat sich vor Benedikt XVI. das Konfliktfeld Islam auf.

Dieses steht auch in der Agenda von Papst Franziskus ganz vorn. Mit seiner Wahl ist »zum ersten Mal in der ganzen zweitausendjährigen Geschichte der Kirche die eigenartige, einzigartige und an sich unmögliche Konstellation einer Personalunion von Papst und Jesuit Wirklichkeit geworden«, wie der Vatikanexperte Hubertus Mynarek schreibt. Hartnäckigkeit, Eloquenz und Wendigkeit, mit denen sein Orden einst reüssierte und missionierte, haben sich jedenfalls als effektive Dreieinigkeit erwiesen, wie der Kuba-Coup zeigt.


Vom Autor gekürzte Fassung seines Beitrags in der Dezemberausgabe der Zeitschrift »WeltTrends« (76 S., 4,80 ); Bestellung per Tel.: 0331/721 20 35.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, November 2015
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 28./29.11.2015
https://www.neues-deutschland.de/artikel/992804.in-gottes-namen-die-politik-der-paepste.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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