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STANDPUNKT/119: Neue Verfassung im Vatikan verabschiedet - nur ein Reformversprechen? (Gerhard Feldbauer)


Vatikan verabschiedet neue Verfassung

Es sind Verkündungen - was daraus wird, bleibt abzuwarten

von Gerhard Feldbauer, 21. März 2022


Als Papst Franziskus vor neun Jahren sein Amt antrat, hatten seine Vorgänger, der polnische Papst Johannes Paul II. und nach ihm der deutsche Ratzinger alias Benedikt XVI., mit ihrer erzreaktionären, menschenfeindlichen Politik die katholische Kirche in eine tiefe Krise gestürzt. Scharenweise traten die Gläubigen aus. Franziskus versuchte, den Absturz aufzuhalten und versprach tiefgehende Reformen. Als erstes berief er einen Kardinalsrat ein, auch als K-9 bezeichnet, weil er zu Beginn neun Mitglieder zählte. Nachdem sich seine Bemühungen, deren Ernsthaftigkeit immer wieder angezweifelt wurden, neun Jahre hinschleppten, scheint er jetzt mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung des Vatikans einen Durchbruch anzeigen zu wollen.

Das am Samstag, dem Jahrestag seines Amtsantritts, im Nachrichtenportel Vatican News veröffentliche Grundgesetz des Kirchenstaates trägt die Bezeichnung "Praedicate Evangelium" (Predigt das Evangelium) und soll am 5. Juni, dem Pfingstsonntag, in Kraft treten. Es tritt an die Stelle der von Johannes Paul II. 1988 erlassenen apostolischen Konstitution "Pastor Bonus" (Der gute Hirte).

Das auf 54 Seiten 250 Paragrafen umfassende Dokument sieht vor, den Verwaltungsapparats des Vatikans - die Dikasterien (Ministerien), Justiz- und Wirtschaftsorgane sowie das Sekretariat des Heiligen Stuhls, das von Kritikern "Wasserkopf" genannt wird, zu verkleinern und den unteren Ebenen der Kirchenhierarchie mehr Mitsprache und Befugnisse einräumen. Danach soll, wie es heißt, das "Potenzial" der Ortsbischöfe gestärkt werden, sie sollen nicht immer nur auf Antwort aus Rom warten, sondern eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Die Stärkung der Ortskirchen solle, so Franziskus in der Präambel, "eine effektivere Verbreitung des Glaubens fördern und einen konstruktiveren Dialog anregen". Offensichtlich geht es hier darum, dem Mitgliederschwund der katholischen Kirche aufzuhalten.

Dazu werden mehrere Behörden zu einem neuen Dikasterium für Evangelisierung zusammengelegt, das - ausgenommen das Staatssekretariat - in der Reihenfolge der Dikasterien ganz oben, noch vor der bisherigen Glaubenskongregation steht. Die Kirche müsse sich "missionarisch bekehren", heißt es. Und der Papst macht das zur Chefsache: Er wird dem neuen Dikasterium persönlich als Präfekt vorstehen. Auch das Almosenamt (der päpstliche Wohltätigkeitsdienst) wird zu einem Dikasterium für den Dienst der Nächstenliebe aufgewertet. Hier bringt sich die katholische Kirche in die Linderung der Not der wachsenden Millionen der Armen - nicht nur in Italien - ein, was ihr Ansehen erhöht.

Das brisante Thema des sexuellen Missbrauchs wird nicht näher thematisiert, aber eine bestehende Kommission für den Schutz Minderjähriger als unabhängige Einrichtung mit einem eigenem Präsidenten und Sekretär bleibt erhalten, wird jedoch dem Dikasterium für die Glaubenslehre zugeordnet.

Gestärkt werden soll auch die Rolle der nationalen Bischofskonferenzen gegenüber Rom. "Die römische Kurie steht nicht zwischen dem Papst und den Bischöfen, sondern stellt sich in den Dienst beider", sagte Franziskus bei der Vorstellung. Vor allem aber sollen künftig Frauen und Laien verantwortliche Funktionen in den Behörden übernehmen können. Wörtlich ist im Text von der "Beteiligung von Laien und Frauen auch in leitenden und verantwortlichen Funktionen" die Rede. Ob das auch die "Chefsessel" des Vatikan betrifft, wird schon jetzt bezweifelt. Es dürfte sich wohl auf Posten in den neu sortierten Dikasterien (Ministerien) reduzieren, meinen Vatikan-Experten.

Zu sehen ist, dass es sich, wie übrigens auch in bürgerlichen Verfassungen üblich, um Verkündungen handelt, also um keine gesetzlich verbindlichen Festlegungen. Es bleibt abzuwarten, was davon Wirklichkeit werden wird.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. April 2022

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