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INTERNATIONAL/055: Mexiko - Menschenrechtler ohne Schutzschild, zahlreiche Aktivisten werden ermordet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Dezember 2011

Mexiko: Menschenrechtler ohne Schutzschild - Zahlreiche Aktivisten werden ermordet

von Daniela Pastrana


Mexiko-Stadt, 14. Dezember (IPS) - Bei friedlichen Studenten- und Bauernprotesten in Mexiko hat die Polizei zwei junge Männer erschossen, die sich an einer Straßenblockade im südlichen Bundesstaat Guerrero beteiligten. Gabriel Echeverría de Jesús und Jorge Alexis Herrera Pino demonstrierten für eine Erhöhung der staatlichen Zuwendungen für die Landwirtschaftsschule, an der sie studierten. Sie sind zwei von vielen Aktivisten in dem lateinamerikanischen Land, die ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten.

Wie Polizeichef Ramón Miguel Arreola gegenüber der Presse erklärte, geriet die Lage während der Straßenblockade am 12. Dezember "außer Kontrolle". Beobachtern zufolge schossen Polizisten mit großkalibrigen Waffen auf die Demonstranten, um sie auseinanderzutreiben. Verantwortung für die Todesfälle hat bisher jedoch niemand übernommen.

Guerrero ist einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos und wird von der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) regiert, während Staatspräsident Felipe Calderón dem konservativen Lager angehört.

Echeverría und Herrera, die 20 und 21 Jahre alt waren, studierten an der 'Escuela Normal Rural' in Ayotzinapa. Beide wollten Lehrer werden. Die 16 Landwirtschaftsschulen in Mexiko sind ein Relikt der sozialistischen Bildungsreform, die der damalige Präsident Lázaro Cárdenas in seiner Amtszeit von 1934 bis 1940 vorantrieb.


Schulen für Arme der Anstiftung zur Revolte bezichtigt

An diesen Bildungsinstitutionen werden nur Arme aufgenommen. In den vergangenen Jahrzehnten konnten die Schulen ihren Betrieb trotz rückläufiger staatlicher Zuschüsse und Repressalien durch die Behörden aufrechterhalten. Die Regierung wirft den Bildungseinrichtungen vor, Horte der Revolte zu sein. Bauern- und Studentenorganisationen reagierten alarmiert auf den Tod der beiden Männer.

In jüngster Zeit wurden in dem lateinamerikanischen Land zahlreiche Menschenrechtsaktivisten ermordet. Einen Tag vor den gewaltsamen Vorfällen in Guerrero hatte die von dem Lyriker Javier Sicilia angeführte Bewegung für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde in Mexiko-Stadt zu einer Kundgebung gerufen, um gegen die Entführung und Ermordung von sieben Mitgliedern zu protestieren. Sechs von ihnen 'verschwanden' in einem Zeitraum von knapp zwei Wochen.

"Wir Menschenrechtler haben kein Schutzschild", sagte der Soziologe Carlos Cruz Santiago IPS. Er leitet die unabhängige Organisation 'Cauce Ciudadano', die Projekte mit Jugendlichen aus Mexiko-Stadt und anderen Städten mit hohem Gewaltaufkommen durchführt.


Bedrohte Aktivisten nicht durch Behörden geschützt

Seit Dezember vergangenen Jahres wurden elf Menschenrechtsaktivisten getötet. Vor allem Sicilias Protestbewegung scheint ins Visier der Angreifer gerückt zu sein. Der Lyriker hatte die Bewegung gegründet, nachdem sein Sohn Juan Francisco ermordet worden war. Die von Calderón eingesetzte militärische Sicherheitspolizei versucht Sicilias Anhänger an weiteren Kundgebungen zu hindern.

Am 28. November wurde Nepomuceno Moreno, einer der Führer der Bewegung, im nordwestlichen Bundesstaat Sonora am helllichten Tag in der Nähe des Gouverneurssitzes ermordet. Im Oktober hatte er nach Drohungen der lokalen Behörden die Calderón-Regierung um Schutz gebeten. Sein Tod erinnerte die mexikanische Öffentlichkeit an das Schicksal von Marisela Escobedo, die im Dezember 2010 vor dem Regierungssitz erschossen worden war, als sie die Bestrafung der Mörder ihrer Tochter gefordert hatte.

Vier Tage nach dem Tod Morenos wurde ein Anschlag auf Norma Andrade verübt. Ihre Organisation 'Unsere Kinder kehren nach Hause zurück' sucht nach Jugendlichen, die in Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA verschwunden sind. Ebenfalls am 2. Dezember wurde die Leiche der Schauspielerin Julia Marichal gefunden, die seit dem 12. November vermisst wurde. Die genauen Umstände ihres Todes konnten bisher nicht geklärt werden.

Wenige Tage danach wurden die beiden Umweltschützer Eva Alarcón und Marcial Bautista aus Guerrero während einer Busfahrt zwei Mal festgenommen - zunächst vom Militär und dann von vermummten Männern. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Beide hatten die Behörden nach Morddrohungen um Schutz gebeten.


Überfall auf Konvoi von Menschenrechtlern

Am selben Tag überfielen Maskierte eine Fahrzeugkolonne der Bewegung für Frieden, die auf dem Weg zu einer Volksbefragung in einem Dorf im südwestlichen Bundesstaat Michoacán wan). Ein 73-jähriger Mann wurde in Anwesenheit von zwölf Mitreisenden misshandelt. Mehreren Journalisten wurden bei dem Überfall ihre Telefone abgenommen.

Die Fahrzeuge wurden dann dazu gezwungen, eine neue Route zu nehmen, auf der es in den nächsten drei Stunden keine Haltemöglichkeiten gab. Unter Todesdrohungen wurden sie davor gewarnt, auf ihrem Weg umzukehren.

Das Ureinwohnerdorf Santa Maria Ostuala, in dem die Befragung stattfand, hatte im Sommer 2009 mehr als 1.000 Hektar Gemeindeland zurückerhalten, das sich 40 Jahre zuvor Großbauern illegal angeeignet hatten. In dem Gebiet entstand ein neues Dorf, das als Tor zu der Region des Nahua-Volkes gilt. Bei der Befragung ging es um einen von den Behörden vorgeschlagenen 'Befriedungsplan'.


Interessen der Drogenmafia berührt

Das in der Nähe der Küste gelegene Territorium ist bei Unternehmern begehrt, die dort Straßen, Gebäude, Bergwerke und Tourismusanlagen errichten wollen. Unweit befindet sich außerdem der Hafen von Lázaro Cárdenas, der ein wichtiger Umschlagplatz für Drogen ist. Der Kampf der Indigenen um ihr Land hat 28 Ureinwohner binnen zwei Jahren das Leben gekostet. Vier weitere wurden verschleppt.

Die Ortschaft, in der rund 40 Familien leben, ist von bewaffneten Gruppen umzingelt, die Vertretern von Zivilbehörden, der Polizei und des Militärs den Zutritt verwehren. Ähnlich ist die Lage in San Juan Copala im südlichen Bundesstaat Oaxaca, wo im April 2010 ein Treck von Menschenrechtsaktivisten aus dem Hinterhalt überfallen wurde.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) stufte die Situation in Santa Maria Ostula als so gravierend ein, dass sie die mexikanische Regierung um Schutz für die Einwohner ersuchte. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://movimientoporlapaz.mx/
http://www.cauceciudadano.org.mx/
http://www.cidh.oas.org/DefaultE.htm
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99788

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Dezember 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011