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INTERNATIONAL/066: Irak - Bedrohte Religionsgruppe, Mandäer konvertieren oder fliehen ins Ausland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Januar 2012

Irak: Bedrohte Religionsgruppe - Mandäer konvertieren oder fliehen ins Ausland

von Karlos Zurutuza

Mazin Rahim Naif, der geistige Führer der Mandäer in Basra - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Mazin Rahim Naif, der geistige Führer der Mandäer in Basra
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Basra, Irak, 30. Januar (IPS) - Im Irak droht der religiösen Minderheit der Mandäer der Untergang. "Derzeit sind wir im ganzen Land noch etwa 5.000, nächste Woche können es aber schon weniger als 3.000 sein", sagt Saad Atiah Majid, der Vorsitzende des Mandäer-Rates in der südirakischen Stadt Basra.

Von den Portugiesen, die im 17. Jahrhundert in Basra ankamen, wurden sie 'Johannes-Christen' genannt. Denn die Mandäer folgen den Lehren von Johannes dem Täufer. Ihr zentrales Ritual ist die Taufe, die sie im Laufe der Jahrtausende in Mesopotamien an den Ufern von Euphrat und Tigris begangen haben.

Während der Herrschaft von Saddam Hussein hätten die Mandäer viel Leid ertragen müssen, so Majid. Nach dessen Sturz 2003 seien sie nach brutalen Übergriffen durch Islamisten in Scharen nach Kurdistan, Syrien und Europa geflohen. Die meisten Anhänger hätten das Land allerdings aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

Majid steht vor einem Holzkreuz, an dem ein kleines weißes Tuch und ein Olivenzweig hängen. Die 'Drabsa' ist so etwas wie die Flagge der Mandäer. In dem Versammlungsort der Glaubensgemeinschaft in Basra sieht man überall an den Wänden Fotos von bärtigen Männern in weißen Gewändern, die kollektive Taufen im Fluss zelebrieren.

Laut einem Bericht der Organisation 'Human Rights Watch' vom Februar 2011 sind seit der Invasion der US-geführten Truppen 2003 etwa 90 Prozent der Mandäer entweder gestorben oder haben den Irak verlassen. Die Führer der Gruppe haben ihre Anhänger wiederholt dazu aufgerufen, aus dem Land fortzugehen.


Führer der Gemeinschaft lebt in Australien

An der Spitze der Bewegung steht Sheikh Sattar Jabbar al-Hulu, der zurzeit in Australien lebt. In Basra vertritt ihn Mazin Rahim Naif, ein junger Mann Ende 20. "Bis 1991 tauften wir unsere Anhänger im Fluss. Die schwierige Sicherheitslage und die Umweltverschmutzung haben uns aber dazu gezwungen, das Ritual in kleinen Becken in unseren Gotteshäusern zu vollziehen", sagt er IPS.

Der Lokalrat habe ihm mehrmals den Zugang zum Fluss verwehrt. Dies sei vor einem wichtigen religiösen Ereignis besonders schmerzhaft gewesen, beklagt Rahim. Am 17. März beginnt jedes Jahr das fünftägige 'Pronaya'-Fest, das dem Entstehen des Lichtes gewidmet ist.

Rahim zeigt auch den 'Schatz Gottes', das in aramäischer Sprache verfasste heilige Buch der Mandäer. "Wir haben es auf Arabisch übersetzt, weil sich unter dem Muslimen Gerüchte verbreitet hatten, wir würden sie zum Glaubensabfall anstiften. Wir wollten allen zeigen, dass auch wir an einen einzigen Gott glauben, dass wir beten und dass wir uns für unsere Nächsten einsetzen."

Diese Anstrengungen haben offensichtlich aber nicht ausgereicht, um der zunehmenden Diskriminierung Einhalt zu gebieten. "Mein Sohn hat an der Universität so gute Noten bekommen, dass er eigentlich leicht eine Stelle als Ingenieur in der petrochemischen Industrie in Basra finden sollte. Seit seinem Abschluss vor drei Jahren hat er jedoch keine Arbeit gefunden", sagt Tahseen, der auch dem Mandäer-Glauben angehört. "Die besten Jobs gehen an Familien, die einen Angehörigen im Krieg gegen den Iran oder durch die Unterdrückung während der Saddam-Diktatur verloren haben", kritisiert er. "Privilegien genießen nur diejenigen, die 'Märtyrer' unter ihren Angehörigen haben. Wir zählen für sie nicht."

Auf der fünfstündigen Autofahrt von Basra nach Bagdad herrscht auf den Straßen oft dichter Verkehr. Öltransporter drängen sich neben Fahrzeugen, die Särge auf ihren Dächern festgeschnallt haben. Letztere sind auf dem Weg nach Najaf, wo jeder schiitische Moslem begraben werden will.


Zentrum von Soldaten bewacht

In der Hauptstadt müssen mehrere Kontrollpunkte passiert werden, bevor das Qadisiyah-Viertel am Westufer des Tigris erreicht ist. Dort befindet sich das Zentrum der Mandäer in Bagdad. Das von Betonmauern umgebene Gebäude wird von Soldaten des Innenministeriums bewacht. "Es geht nicht nur um die Verfolgung als Religionsgruppe", erklärt Toma Zekhi, der örtliche Führer der Mandäer. Viele Anhänger seien seit Generationen Silber- und Goldschmiede. Während der vergangenen Jahre lebten sie wegen der steigenden Kriminalität in ständiger Angst.

Ein Bericht der Organisation Amnesty International über die Gefahren für Juweliere im Irak nach dem Sturz Saddams belegt Zekhis Erklärungen. Viele seiner Gefährten seien geflohen, nachdem sie wegen ihres Glaubens mit dem Tode bedroht worden seien, sagt er. Obwohl die Übergriffe in den letzten drei Jahren abgenommen hätten, sei der Weg zu einer friedlichen Koexistenz der Völker im Irak nach wie vor voller Hindernisse.

"Religion und ethnische Zugehörigkeit gehen im Irak Hand in Hand. Leider spiegelt sich das auch in der Staatsverfassung wider", sagt der Wissenschaftler Saad Salloum. Er ist der Herausgeber von 'Masarat', dem einzige Magazin, das sich im Irak mit Minderheitsfragen befasst. "Die Mandäer werden oft der Kategorie 'Christen und andere ethnische Gruppen zugerechnet", erklärt er. Sie hätten keine Vorrechte auf eine bestimmte Anzahl von Vertretern im Parlament und in lokalen Räten.


Silberschmiede bewahren Tradition

Nicht weit entfernt betreibt Hassam Sapty Zaroon einen kleinen Laden im Viertel Karrada im Südosten von Bagdad. Auf ein Silbermedaillon graviert er sorgfältig eine Biene, einen Löwen, einen Skorpion und eine Schlange ein. Nach der mandäischen Tradition soll dieses Amulett gegen böse Geister schützen.

Sein Großvater verzierte sogar ein silbernes Zigarrenetui mit dem Porträt des ehemaligen britischen Premierministers Winston Churchill. Der Enkel bewahrt stolz das vergilbte Dankesschreiben aus London auf. Der Gold- und Silberschmied benutzt noch dieselben Werkzeuge wie der Großvater, dennoch gibt es zwischen ihnen einen großen Unterschied: Bereits vor etlichen Jahren ist Hassam Sapty Zaroon zum Islam konvertiert. Seine Silbergravuren gehören inzwischen zu den letzten Spuren einer fast 2.000 Jahre alten Kultur, von der bald kaum noch etwas übrig geblieben sein dürfte. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2012