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INTERNATIONAL/098: Südsudan - Entwaffnungsprozess in Jonglei, Soldaten misshandeln Zivilisten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2012

Südsudan: Entwaffnungsprozess in Jonglei - Soldaten misshandeln Zivilisten

von Jared Ferrie

Ethnische Murle warten nach einem Angriff von Seiten einer rivalisierenden Ethnie auf Nahrungsmittelhilfe - Bild: © Jared Ferrie/IPS

Ethnische Murle warten nach einem Angriff von Seiten einer rivalisierenden Ethnie auf Nahrungsmittelhilfe
Bild: © Jared Ferrie /IPS

Juba, 27. August (IPS) - Im südsudanesischen Bundesstaat Jonglei misshandeln und foltern Soldaten im Zuge der laufenden Entwaffnungskampagne Zivilisten. Diesen Vorwurf erheben die Vereinten Nationen und die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW). Sie kritisieren zudem, dass viele Opfer keine Gerechtigkeit erfahren, weil Staatsanwälte und Richter vor Ort fehlen.

"Gerechtigkeit und Haftbarkeit bleiben in der Jonglei auf der Strecke", so Daniel Bekele, Leiter des HRW-Afrika-Büros, in einer Mitteilung an den südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir. "Die Behörden müssen den Kreislauf der Gewalt im Verlauf der Entwaffnung untersuchen, unverzüglich unterbrechen und sicherstellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden."

Die Übergriffe werden aus dem Landkreis Pibor, 273 Kilometer von der Hauptstadt Juba entfernt, gemeldet. Die Region ist die Heimat der ethnischen Murle. Die Volksgruppe war letztes Jahr und Anfang 2012 in Kämpfe gegen die Lou Nuer verstrickt. Nach UN-Angaben kamen 2011 in Jonglei mehr als 1.000 Menschen ums Leben. Weitere 900 Personen, mehrheitlich Murle, wurden zwischen Dezember 2011 und Februar 2012 bei Angriffen und Gegenangriffen getötet, wie einem Bericht der UN-Beobachtermission zu entnehmen ist.

Eine Koalition aus zivilgesellschaftlichen Gruppen berichtete am 30. April, dass es bereits in der Phase, in der die Waffenabgabe freiwillig war, zu Übergriffen gekommen sei. Somit müsse mit einem Anstieg der Gewalt gerechnet werden, wenn die Entwaffnung durchgesetzt werde. Dies ist seit Anfang Mai der Fall.

Der HRW-Wissenschaftlerin Elizabeth Ashamu zufolge ist der Zugang zur Justiz in weiten Teilen des Südsudans ein Problem. Dennoch müssten Anstrengungen unternommen werden, um Zivilisten gerade vor dem Hintergrund des Entwaffnungsprogramms die Möglichkeit zu geben, die Gerichte anzurufen. Die Armee sei für Übergriffe auf die Bevölkerung berüchtigt.


Bis zur Gerechtigkeit ist es ein weiter Weg

Ashamu zufolge gibt es im Landkreis Pibor, auf den sich HRW bei seinen Untersuchungen konzentriert, keinen einzigen zivilen Staatsanwalt. Die Opfer von Gewalt könnten sich zwar an die Polizei wenden. Doch da es weit und breit keinen Staatsanwalt gebe, könne der Fall nicht vor einem lokalen Gericht verhandelt werden. Theoretisch könnten die Opfer auf dem Landweg in die Jonglei-Hauptstadt Bor reisen, wo es einen Staatsanwalt gibt. Doch Bor ist in der Regenzeit, in denen die Straßen unter Wasser stehen, nicht erreichbar.

HRW-Mitarbeiter hatten zwischen dem 19. und 26. Juli Opfer und Zeugen der Gewalt befragt. Diese berichteten, dass Soldaten auf Zivilisten geschossen und diese verprügelt hätten. Eine Frau erzählte, von fünf Soldaten geschlagen worden zu sein, während sie ihr Baby auf dem Rücken trug. Ein Mann schilderte, wie er mit sechs anderen Leidensgenossen der Foltermethode des Water Boarding ausgesetzt wurde.

"Sie brachten uns zu einem Pool und drückten unsere Köpfe unter Wasser. Dann stellten sie uns auf die Beine, schlugen uns und fragten nach Waffen. Dann drückten sie unsere Köpfe erneut unter Wasser", berichtete er HRW.

Auch eine Mitteilung der UN-Friedensmission (UNMISS) vom 24. August erhebt Vorwürfe gegen die Soldaten. Darin ist von Vergewaltigungen, Entführungen und simuliertem Ertränken die Rede. "Die meisten Opfer waren Frauen, in einigen Fällen Kinder", hieß es in dem Papier. Die Behörden müssten dafür sorgen, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen würden.

Laut Friedensmission hat die Armee erste Schritte unternommen, um die Vergewaltigungsfälle zu untersuchen. So habe man hochrangige Offiziere mit den Untersuchungen betraut und einzelne in Verruf geratene Patrouillen zurückgeordert.


Spitze des Eisbergs

Die Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte werden auch durch Aussagen der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) untermauert. So erklärte MSF gegenüber IPS, vom 20. März bis 20. August in der Stadt Pibor und den umliegenden Dörfern 90 Verletzte medizinisch versorgt zu haben. Drei der Personen seien an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben. Das medizinische Team der Organisation betreute im gleichen Zeitraum 16 Vergewaltigungsopfer und acht Überlebende einer versuchten Vergewaltigung.

"Und das sind nur die Menschen, die bei MSF um Hilfe angesucht haben. Es besteht somit berechtigter Anlass zur Sorge, dass es noch weit mehr Opfer gibt", meinte Stefano Zannini, der Chef der MSF-Mission.

Auch wenn die UNMISS am 24. August erklärte, dass sich die Sicherheitssituation im Bundesstaat Jonglei in den letzten Monaten verbessert habe, so brachte sie zugleich ihre Sorge über eine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen zum Ausdruck, "die auf das Konto von undisziplinierten Elementen innerhalb der Südsudanesischen Armee (SPLA) im Landkreis Pibor County gehen".

Der Mission zufolge haben die Untersuchungsteams im Zeitraum 15. Juli bis 20. August einen tödlichen Zwischenfall, 27 Folter- und Misshandlungen, zwölf Vergewaltigungen, sechs versuchte Vergewaltigungen und acht Entführungen dokumentiert.

Auch HRW hat nach eigenen Angaben glaubwürdige Informationen über Vergewaltigungen erhalten. Zudem sei man von lokalen Behördenvertretern informiert worden, dass in der Ortschaft Likuangole sechs Menschen getötet wurden, nachdem am 16. August ein Soldat gewaltsam ums Leben gekommen war. Diese Berichte, so Bekele in seinem Brief an Präsident Kiir, gäben keinen Aufschluss über das wirkliche Ausmaß der Gewalt. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.hrw.org/node/109626
http://www.hrw.org/news/2012/08/23/south-sudan-end-abuses-disarmament-forces-jonglei
http://www.ipsnews.net/2012/08/justice-fallen-to-the-wayside-in-south-sudanese-county/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2012