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INTERNATIONAL/117: Ägypten - Brutale Sicherheitskräfte selbst Opfer staatlicher Gewalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2012

Ägypten: Brutale Sicherheitskräfte selbst Opfer staatlicher Gewalt

von Mel Frykberg



Kairo, 29. November (IPS) - In Ägypten sind bei den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen den Gegnern der Machterweiterung von Präsident Mohammed Mursi einerseits und Bruderschaft-Anhängern und Sicherheitskräften andererseits drei Menschen getötet und mindestens 400 verletzt worden. Doch die für die Niederschlagung von Protesten zuständige paramilitärische Einsatztruppe CSF wird häufig selbst Zielscheibe von Übergriffen und Gewalt.

Seit der Revolution im letzten Jahr kommt es in der ägyptischen Hauptstadt regelmäßig zu Protesten. Doch das, was sich im Mai auf den Straßen des Kairoer Stadtteils Obour abspielte, fiel aus dem Rahmen. Aufgebrachte Angehörige der für ihre Brutalität berüchtigten Zentralen Sicherheitskräfte (CSF) lieferten sich heftige Gefechte mit ägyptischen Soldaten.

Die Angehörigen der rund 300.000 Mitglieder starken CSF protestierten gegen den Tod eines Kameraden, der von Vorgesetzten totgeschlagen worden war. Zwei Stunden lang blockierten die Demonstranten den Verkehr von Obour, bis die Armee anrückte.

Alle ägyptischen Männer mit Ausnahme der einzigen Söhne müssen einen dreijährigen Militärdienst ableisten. CSF-Anwärter sind in der Regel junge Männer aus den armen ländlichen Gebieten des nordafrikanischen Landes. Diejenigen von ihnen, die keine Berufsausbildung durchlaufen haben, werden gleich zu Anfang ihres Wehrdienstes von den übrigen Soldaten getrennt, die wiederum in die reguläre Armee aufgenommen werden.


Zwei-Klassen-Sicherheitskräfte

"CSF-Rekruten werden von dem System sehr schlecht behandelt. Ihr Sold liegt bei unter 40 US-Dollar im Monat. Sie werden unzureichend genährt und müssen über viele Stunden pausenlos arbeiten. Und sie werden von ihren Kommandanten als entbehrlich betrachtet", meint Sherif Etman von der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation, die sich für eine Verbesserung von Ausbildung und Ansehen der CSF einsetzt.

"Ihr Leben ist ständig in Gefahr. Sie werden in den Sinai geschickt, wo sie gegen die militärisch besser ausgerüsteten Islamistenmilizen kämpfen müssen. Die schlechte Qualität ihrer Waffen macht sie extrem verletzbar", berichtet Etman. Vor einigen Monaten hatten militante Kämpfer im Sinai 16 ägyptische Sicherheitskräfte getötet.

Der 20-jährige Ahmed aus Luxor im Süden Ägyptens ist ein Mitglied der CSF. Er bewacht im Kairoer Reichenviertel Maadi Banken. "Wir sind zwölf Stunden lang pausenlos im Einsatz", berichtet er. "Und wir arbeiten 20 Tage am Stück. Dann bekommen wir frei und dürfen heim zu unseren Familien. Die Arbeit ist langweilig und ermüdend. Im Sommer ist es sehr heiß und im Winter frieren wir in unseren dünnen Uniformen."

Wie der Rekrut weiter betont, ist auch die Nahrungsmittelversorgung nicht berauschend, "und manchmal reicht's einfach nicht. Wir bekommen Saubohnen, Brot, Käse und Tee gestellt." Für viele Menschen seien die Paramilizionäre der letzte Dreck. "Ich sollte lieber mit dem Klagen aufhören, denn ich könnte Probleme bekommen", sagt der junge Mann, der seinen Nachnamen nicht nennen will.


Proteste

Der Mai-Protest war nicht der erste Akt der Auflehnung von CSF, so wie der Tod des CSF-Kameraden nicht der erste Tötungsfall war. Während der Januar-Revolution 2011 legten viele aus Angst vor der Gewalt feindlicher Demonstranten ihre Militäruniform ab. Andere schlossen sich aus Zorn über die Brutalität, mit der sie von ihren Vorgesetzten behandelt wurden, den Aufständischen an.

Ebenfalls im Mai protestierten etwa 1.000 CSF-Angehörige in einem anderen Militärlager gegen die Bedingungen, unter denen sie gehalten wurden. Sie forderten ihre Vorgesetzten auf, den Drill zu verringern, ihre Pausen zu verlängern und überfällige Boni zu bezahlen. Im Juli protestierten CSF in einem Lager in Alexandria gegen den Angriff eines Offiziers auf einen Kameraden.

2008 hatten etwa 600 Soldaten die Fensterscheiben einer Basis aus Protest gegen die Behandlung eines Kameraden durch Vorgesetzte zerschlagen. Die wohl schlimmste Rebellion von CSF-Mitgliedern hatte sich im Februar 1986 ereignet, als Hunderte von CSF-Angehörigen in Giza und Kairo zwei Tage lang randalierten. Erst der Einsatz einer Militäreinheit führte zu einem Ende der Ausschreitungen.

Bevor der Aufstand niedergeschlagen werden konnte, war er bereits auf sechs andere Gouvernements übergesprungen und führte dazu, dass über Kairo eine Ausgehsperre verhängt werden musste. Im Verlauf der Proteste wurden mindestens 100 CSF-Mitglieder getötet. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2012