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INTERNATIONAL/133: Nach Niedergang der Shuhada-Straße in Hebron - Palästinenser fordern Öffnung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. März 2013

Nahost: Nach Niedergang der Shuhada-Straße in Hebron - Palästinenser fordern Öffnung

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS)

Ein palästinensischer Junge, der an einer Kampagne zur Öffnung der Schuhada-Straße teilnimmt
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Hebron, Westjordanland, 1. März (IPS) - Palästinenser fordern im Rahmen einer Kampagne die Öffnung der Shuhada-Straße in Hebron im israelisch besetzten Westjordanland. Seit fast 20 Jahren dürfen sie die ehemalige Geschäftsader in der Altstadt von Hebron nicht betreten. Auch palästinensischen Autos und Motorrädern ist die Zu- und Durchfahrt verwehrt.

Die Kampagne ist am 22. Februar mit einer Reihe von Kundgebungen angelaufen, die von Israelis und internationalen Aktivisten unterstützt wurden. Auch diesmal kam es zum Einsatz von Molotow-Cocktails, Munition und Gummigeschossen. Die Demonstranten wurden von Tränengaswolken eingeschlossen, Verletzte in Krankenwagen abtransportiert.

Nach dem Massaker im Jahre 1994, das der israelisch-US-amerikanische Siedler Baruch Goldstein an 29 Muslimen in der Ibrahimi-Moschee in der Altstadt von Hebron angerichtet hatte, wurde die Shuhada-Straße für palästinensische Auto- und Motorradfahrer gesperrt. Die palästinensische Bevölkerung lebte Monate lang unter einem Belagerungszustand, während sich schwer bewaffnete israelische Siedler frei durch die Straßen bewegen konnten.

Nach dem Beginn der Zweiten Intifada im Jahr 2000 wurde die Straße schließlich auch für palästinensische Fußgänger gesperrt. Als Begründung hieß es, die Maßnahme diene dem Schutz der 800 israelischen Siedler, sie sich illegal in der von rund 200.000 Palästinensern bewohnten Stadt niedergelassen hatten.


Altstadt verwaist

Die israelischen Behörden schlossen zudem 500 palästinensische Geschäfte und bluteten die palästinensische Bevölkerung damit wirtschaftlich aus. Ein jahrelanger Belagerungszustand, der durch die Kontrollen an den israelischen Checkpoints, die Gewalt von Seiten der Siedler und die gewaltsamen Auseinandersetzungen verschlimmert wurde, zwang weitere 15.000 Palästinenser zum Verlassen der Stadt und hunderte Ladenbesitzer zur Aufgabe ihrer Geschäfte.

Heute gleicht die einst umtriebige Altstadt von Hebron mit ihren verlassenen Straßen, verrammelten Türen und Stacheldrahtumzäunungen, Absperrungen und israelischen Kontrollposten einer Geisterstadt. Immer wieder führen die Spannungen zwischen den verbliebenen Einwohnern und den israelischen Sicherheitskräften zu Festnahmen, Schussverletzungen und Todesfällen.

Der 22-jährige Muhamad Mohtaseb hat ein Souvenirgeschäft in der Shuhada-Straße. Sein Laden steht verlassen da, überwacht von israelischen Soldaten. Hin und wieder gehen israelische Siedler vorbei. Mohtaseb ist einer der wenigen Palästinenser, die dem politischen und wirtschaftlichen Druck standgehalten haben und geblieben sind. Doch das Geschäft läuft schlecht.

"Vor der Zweiten Intifada gab es hier viele Touristen. Sie waren unsere wichtigste Einnahmequelle", sagt der Familienvater gegenüber IPS. "Doch inzwischen haben die Touristen Angst, hierher zu kommen und sich in Gefahr zu bringen. Unseren anderen ehemaligen Kunden, den Palästinensern, hat man ja verboten, die Straße zu betreten."

Mohtaseb zufolge hatte das Geschäft einst 300 Euro am Tag abgeworfen. Heute sind es bestenfalls 20 bis 30 Euro. Um Frau, Sohn, Geschwister und Eltern weiterhin unterstützen zu können, will der 22-Jährige ein Reisebüro eröffnen. Er hofft auf Alternativtouristen, die härter im Nehmen sind und sich von der Lage vor Ort ein Bild machen wollen.

Mohtasebs Probleme sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Als einer der wenigen Palästinenser, die sich geweigert haben, ihren Laden aufzugeben, wird er nach eigenen Angaben häufig Zielscheibe von Übergriffen israelischer Siedler. "Es kommt vor, dass sie mich anspucken, bedrohen und manchmal attackieren", berichtet er.

Um die Ecke führt Izahk Kahsha einen kleinen Lebensmittelladen. Der 45-jährige Vater von drei Kindern lebt von den wenigen palästinensischen Kunden, die es auf sich nehmen, mehrere israelische Kontrollposten zu passieren, um bei ihm einzukaufen. "Einst fuhren die Menschen mit dem Auto vor. Jetzt muss sich mich mit den wenigen Kunden zufriedengeben, die nur das kaufen, was sie selbst tragen können."

Zlikhah Mohtaseb und ihre 75-jährige Mutter sahen sich 2006 aus finanziellen Gründen gezwungen, in eines der Häuser umzuziehen, von denen aus man die Shuhada-Straße überblicken und sich somit ein Bild von dem Käfig machen kann, der die Straße und Zlikhahs Haus umgibt. "Da die Siedler immer wieder unsere Fenster mit Steinen bewerfen, habe ich mich an das Hebron-Rehabilitationskomitee gewandt, damit es mir hilft, die Seite zur Straße mit Abdeckgittern zu sichern", berichtet die Endvierzigerin. "Doch die Übergriffe gehen weiter."


Umwege und Kontrollen

Wie die israelische Menschenrechtsorganisation 'B'tselem' berichtet, können Zlikhah und viele andere Palästinenser ihre Häuser nur über Seiten- oder Notausgänge verlassen. Weil sie die Shuhada-Straße nicht betreten dürfen, müssen sie manchmal erhebliche Umwege in Kauf nehmen. Bis zur nächsten Moschee müssen sie zwei Kontrollposten passieren.

Im April 2007 sah sich Israels Zivilverwaltung nach Berichten in israelischen Medien dazu gezwungen, einigen Palästinensern befristete Genehmigungen für den Aufenthalt auf der Straße auszustellen. 2005 reichten die Stadtverwaltung von Hebron und die Vereinigung für Bürgerrechte in Israel beim Obersten Gerichtshof Israels eine Petition mit der Forderung nach einer Öffnung der Straße für Palästinenser ein.

Von Seiten des israelischen Staates hieß es daraufhin, dass die Straße aufgrund eines Versehens geschlossen worden sei und man den Palästinensern die Benutzung der Straße erlauben werde. Für Geschäfte und Fahrzeuge werde sie auch weiterhin geschlossen bleiben. Doch bis heute haben Palästinenser keinen Zutritt. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.acri.org.il/en/
http://www.btselem.org/
http://www.ipsnews.net/2013/03/to-walk-down-the-street/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013