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INTERNATIONAL/136: Pakistan - Helfer zu Freiwild (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2013

Pakistan: Helfer zu Freiwild

von Zofeen Ebrahim


Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Weder Polizei noch Paramilitärs können Mordanschläge in Karachi verhindern
Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Karachi, 26. März (IPS) - Perween Rehman widmete ihr Leben der humanitären Arbeit. Als Leiterin des 'Orangi Pilot Project's Research and Training Institute' (OPP-RTI) engagierte sie sich viele Jahre für die Verbesserung der Sanitärversorgung in einer der größten informellen Siedlungen der pakistanischen Hafenstadt Karachi.

Rehman erhielt großen Zuspruch für ihren Einsatz im 1,5 Millionen Einwohner zählenden Slum Orangi. Das Projekt wurde inzwischen sogar nach Südafrika, Zentralasien, Nepal und Sri Lanka exportiert. Doch offensichtlich gab es Personen, denen die 58-jährige Helferin im Wege stand. Am 13. März fiel sie in Karachi einem Mordanschlag zum Opfer. Zu der Tat hat sich bisher niemand bekannt.

Während die 18 Millionen Einwohner der Hafenstadt nur mit Mühe in einem Klima von Gewalt, Extremismus und Anschlägen überleben, bildet sich ein neues, erschreckendes Muster heraus: Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden immer häufiger zu Freiwild bewaffneter Gruppen.

Nach Angaben der Behörden wurde der Hauptverdächtige im Mordfall Rehman bei einer Schießerei mit der Polizei getötet. Doch dieser Version schenken die dem Opfer nahestehende Kreise keinen Glauben. Vielmehr sind sie der Meinung, dass hinter dem Verbrechen eine der zahlreichen einflussreichen Gruppen illegaler Landnehmer steckt, die sich Teile des Slums unter den Nagel reißen wollen.

Dem Friedensaktivisten Pervez Hoodbhoy zufolge, der Physik an der Quaid-e-Azam-Universität in Islamabad lehrt, war Rehman "unermüdlich und still" ihrer Arbeit nachgegangen und hatte die Slumbewohner in Karachi "vor den Banditen geschützt, die deren Land haben wollen".


'Land-Mafia' von Politikern protegiert

Vor dem Verbrechen hatte Rehman Morddrohungen erhalten, weil sie die Machenschaften der 'Land-Mafia' dokumentieren wollte. Die Gruppen, die oft von politischen Parteien unterstützt werden, verkaufen die Grundstücke an Menschen weiter, die in Karachi in millionenfacher Zahl eine Bleibe suchen. Damit sichern sie den Parteien eine Wählerschaft.

Hoodbhoy zufolge war Rehman eine "wahre Heldin". Er befürchtet, dass in Pakistan, wo es vor Waffen nur so wimmelt und die staatlichen Institutionen schwach sind, die illegale Aneignung von Land weitere Verbrechen nach sich ziehen wird. Fast 60 Prozent des Stadtgebiets von Karachi besteht aus informellen Siedlungen, in denen nicht einmal die grundlegende Versorgung gewährleistet ist.

Auch die Journalistin Najma Sadeque ist der Meinung, dass Rehman mächtigen Kriminellen auf die Füße getreten ist. "Überall dort, wo es wie in der Immobilienbranche um viel Geld geht, lauert Gefahr", warnt sie. "Ich war überrascht, dass sie offen über das Problem sprach. Vielleicht hat sie sich selbst nie als Bedrohung für andere gesehen." Laut Sadeque ist die Lage sehr unübersichtlich, da zahlreiche Gruppen in diese Machenschaften verstrickt seien.

Im Dezember erschossen Extremisten fünf Frauen, die sich an einer Polio-Immunisierungskampagne für Kinder beteiligt hatten. Die Regierung sah sich gezwungen, die Impfaktion abzubrechen. Nach Angaben der pakistanischen Polizei wurden im vergangenen Jahr die bisher meisten Gewaltopfer in Karachi gezählt. Etwa 2.000 Menschen starben bei Mord- und Bombenanschlägen in der Hafenstadt.

Auch in anderen Teilen des Landes geraten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sowie Lehrer zunehmend ins Visier von Killern. Anfang des Jahres wurden sieben Lehrer und Gesundheitsarbeiter im Distrikt Swabi in der nordwestpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa gezielt getötet. Sechs von ihnen waren Frauen.

"Einerseits sind es religiöse Fundamentalisten, die von Mullahs über Lautsprecher in den Moscheen und über das Fernsehen aufgehetzt werden", sagt Hoodbhoy. "Sie töten Frauen, die Kinder gegen Polio impfen und Schülerinnen, weil sie etwas lernen wollen. Auf der anderen Seite steht der ebenso teuflische Mord an Perween Rehman."


Pakistan unter den fünf gefährlichsten Ländern

Pakistan zählt zu den weltweit fünf Ländern, die für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen besonders gefährlich sind, wie eine 2012 veröffentlichte Untersuchung der Organisation 'Humanitarian Outcomes' feststellt. Viele Beobachter befürchten deshalb, dass immer mehr Helfer wegbleiben werden.

Weltweit nahm die Zahl der Angriffe auf diesen Personenkreis von 129 im Jahr 2010 auf 150 im vergangenen Jahr zu. 308 Helfer wurden dabei getötet. Mehr als 70 Prozent der Angriffe ereigneten sich in Afghanistan, Somalia, Sudan, Südsudan und Pakistan. Im letzten Jahr setzte das Rote Kreuz die meisten Aktivitäten in Pakistan aus, nachdem ein britischer Arzt in der im Westen gelegenen Stadt Quetta entführt und geköpft worden war.

Um die Gewalt in Karachi einzudämmen, hatte das Oberste Gericht Pakistans bereits 2011 striktere Waffenkontrollgesetze gefordert. Nach Kenntnis der Richter hatten die Behörden mehr als 180.000 Waffenscheine ausgestellt. In ganz Pakistan sind zudem schätzungsweise 20 Millionen nicht registrierte Waffen im Umlauf, die größtenteils aus Afghanistan eingeschmuggelt werden.

"Der Gedanke, dass ich immer mehr Menschen aus meinem Telefonbuch streichen muss, macht mich krank", twitterte Cyril Almeida von der Tageszeitung 'Daw' nach der Ermordung von Rehman. Und die Entwicklungsexpertin Nuzhat Lotia warnte vor dem Verlust wichtiger Vorbilder für die Jugend des südasiatischen Landes, in dem Gewalt inzwischen als Norm betrachtet wird. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.humanitarianoutcomes.org/sites/default/files/resources/AidWorkerSecurityReport20126.pdf
https://twitter.com/search/%23ParveenRehman
http://www.ipsnews.net/2013/03/who-will-aid-the-aid-workers/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2013