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INTERNATIONAL/168: Irak - Kurdische Religionsgruppe Kakai in Bedrängnis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. September 2013

Irak: Wo ein Schnurrbart über Leben und Tod entscheidet - Kurdische Religionsgruppe Kakai in Bedrängnis

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Bewohner des halbzerstörten irakischen Dorfes Ali Saray
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Ali Saray, Irak, 13. September (IPS) - "Die Seele muss tausend Mal wiedergeboren werden, bevor sie eins wird mit Gott", sagt Rajab Assy Karim aus dem winzigen irakischen Dorf Ali Saray, 190 Kilometer nördlich von Bagdad. Um in die Hauptstadt zu kommen, kann man viele Abkürzungen nehmen, von denen einige durch die Ortschaft führen.

Die wenigen Hundert Menschen, die in den Lehmsteinhäusern von Ali Saray wohnen, sind Kakai, Anhänger einer alten vorislamischen Glaubensrichtung, deren Fortbestand im 21. Jahrhundert an ein Wunder grenzt. Karim weiß das und sucht daher in seiner Freizeit Bücher für die einzige Bibliothek der zwölf Kakai-Dörfer, die über die Region verteilt sind.


Zielscheiben von Terroristen

"Wir befinden uns auf halbem Weg nach Tigris, Saddam Husseins Geburtsstadt, eine Hochburg seiner Anhänger und der autonomen Kurdenregion des Iraks", sagt Karim. "In der Gegend wimmelt es von Terroristen. Wir sind Zielscheiben, die sie leicht treffen können."

Die Trümmer von 13 zerstörten Häusern in dem Dorf zeigen, welchem Ausmaß von Gewalt die Menschen in Ali Saray ausgesetzt sind. Das ist der Preis, den sie in einer der explosivsten Regionen des Landes für ihre kurdische und 'heidnische' Herkunft zahlen müssen.

Gemeinsam mit den Yeziden, deren Glaube ebenfalls auf die Zeit vor dem Islam zurückgeht, haben die Kakai eine ursprüngliche Religion beibehalten. Ihr Name leitet sich offenbar aus dem kurdischen Wort 'Kaka' (älterer Bruder) her.

Über ihren Glauben sprechen die Kakai nur selten in der Öffentlichkeit. "Man wirft uns oft vor, keine Einzelheiten preiszugeben, aber das nur ist eine Schutzmaßnahme in einer feindlichen Umgebung", sagt Jassim Rashim Shawzan, der einzige Richter unter den Kakai im Irak. "Wir leben in Nahost, wo es keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit und auch sonst keine Rechte gibt."


Heimat Iran

Ursprünglich komme sein Volk aus einer kurdischen Bergregion im Iran nahe der Stadt Kermansha, 400 Kilometer südwestlich von Teheran. Über dieses Gebiet sind viele heilige Schreine der Kakai verteilt. Dort wird auch das einzige Exemplar ihrer heiligen Schrift 'Zanur' aufbewahrt.

In jahrhundertelanger Nachbarschaft zu Muslimen haben sich die Kakai das islamische Gebot zu Eigen gemacht, kein Schweinefleisch zu essen. Auch die Kakai fasten, allerdings nur für drei Tage, während der Ramadan der Muslime einen ganzen Monat dauert. Ihr auffälligstes Unterscheidungsmerkmal sind nach wie vor die oft riesigen Schnurrbärte der Männer. Der Islam hingegen schreibt vor, dass solche Bärte kurz gehalten werden müssen.

Shawzan kritisiert, dass im Irak auch nach dem Sturz von Saddam Hussein die in der Verfassung garantierten Rechte von Minderheiten nicht geachtet werden. "Saddam nahm vielen von uns Land und Dörfer weg, um dort arabische Familien aus anderen Landesteilen anzusiedeln", berichtet er. "Seit 2003 haben Extremisten Hunderte von uns getötet, und viele wurden vertrieben."

Nach Schätzungen der 'Minorities Right Group International', die ihren Sitz in Großbritannien hat, leben im Irak etwa 200.000 Kakai. In einem 2011 veröffentlichten Bericht prangerte die Gruppe "Drohungen, Entführungen und Morde" in dem irakischen Kakai-Gebiet an. Mehrere muslimische Führer sollen auch zu einem Boykott von Geschäften aufgerufen haben, die von "Ungläubigen" geführt werden.

Den Kakai ist bewusst, dass sie in größerer Sicherheit leben würden, wenn ihre Dörfer formell der autonomen Kurdenregion angegliedert würden. In der Kurdenregion kommt es zu weit weniger Gewalt als in anderen Teilen des Iraks.

Sirwan hält Wache an einem Kontrollpunkt am Ortseingang von Ali Saray. Er trägt eine schwarze Sonnenbrille. Sein dicker Oberlippenbart weist ihn sofort als Kakai aus. "Wenn wir endlich ein Referendum abhalten könnten, würden wir in großer Zahl dafür stimmen, unter die Kontrolle von Erbil, der Verwaltungshauptstadt der Kurdenregion, gestellt zu werden", meint er.


Referendum über politische Zukunft verschoben

2007 sei bereits eine solche Abstimmung anberaumt worden, um den rechtlichen Status der von Erbil und Bagdad beanspruchten Gebiete zu klären, sagt der Soldat. Doch das Referendum werde so lange verschoben, bis Maßnahmen zum Ausgleich der einstigen Arabisierungskampagnen von Saddam Hussein ergriffen worden sind.

Der Schriftsteller Falakadin Kakaye, der als Vermittler zwischen den Kakai und der irakischen Kurdenverwaltung fungierte, ist im August gestorben. Er war zwei Mal Kulturminister der Kurdenregierung, bevor er für die Beziehungen zwischen Erbil und Ankara zuständig wurde.

Kakaye ließ ein Land zurück, in dem die Gewalt inzwischen den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht hat. Allein im Juli wurden mehr als 1.000 Iraker bei Anschlägen getötet. Dennoch setzen sich weiterhin Menschen dafür ein, die Rechte der Kakai und ihre Kultur zu schützen.

Saad Salloum, Chefredakteur des Magazins 'Masarat', beispielsweise ist bestrebt, die kulturelle Vielfalt des Iraks zu dokumentieren, bevor sie verschwunden sein wird. "Seit 2003 entdecken wir Iraker unsere Pluralität", meint er. "Doch noch sind wir weit davon entfernt, sie als Bereicherung unserer eigenen Identität zu betrachten. Heute fürchten wir unseren Nachbarn mehr als jede Massenvernichtungswaffe." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.minorityrights.org/11106/reports/iraqs-minorities-participation-in-public-life.html
http://www.ipsnews.net/2013/09/where-a-moustache-can-mean-life-or-death/

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IPS-Tagesdienst vom 13. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2013