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INTERNATIONAL/180: Nahost - Beduinen in der Negev-Wüste wehren sich gegen Zerstörung ihrer Dörfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Februar 2015

Nahost: 'Zeigen, dass es uns gibt' - Beduinen in der Negev-Wüste wehren sich gegen Zerstörung ihrer Dörfer

von Silvia Boarini


Bild: © Silvia Boarini/IPS

Mariam Abu Madegham Al Turi und ihre Nichte im Zelt der Familie im Dorf Al Araqib in der Negev-Wüste
Bild: © Silvia Boarini/IPS

Al Araqib, Israel, 23. Februar (IPS) - Eine Kreuzung am Rande der Stadt Levahim in der nördlichen Negev-Wüste in Israel ist seit mehr als vier Jahren Schauplatz von Protesten gegen den Abriss von Beduinen-Siedlungen.

Jeden Sonntag finden sich dort die Bewohner der Ortschaft Araqib und Unterstützer hinter einem großem Transparent ein, auf dem in Englisch, Arabisch und Hebräisch zu lesen ist: "Stoppt die Zerstörung von Al Araqib!". Die Demonstranten klatschen rhythmisch in die Hände, während einige Jüngere rufen: "Juden und Araber können zusammenleben" und "Hört auf, unsere Häuser zu zerstören!"


In weniger als fünf Jahren acht Mal niedergewalzt

Im Januar war das von Israel nicht anerkannte Dorf Al Araqib zum achten Mal innerhalb von viereinhalb Jahren dem Erdboden gleichgemacht worden. Obwohl bisher nicht offiziell geklärt ist, wem das Land eigentlich gehört, legt der Staat Israel dort einen Wald an. Seit Generationen leben dort arabische Beduinen vom Volk der Al-Turi.

"Die Zeitungen hier berichten nicht über Al Araqib", sagt Mariam Abu Madegham Al Turi, die in dem Dorf lebt. "Mit unseren wöchentlichen Protesten wollen wir zeigen, dass es uns gibt. Das ist Teil unseres Widerstands."

Hin und wieder drücken Fahrer von Autos, die die Kreuzung passieren, aus Solidarität auf die Hupe. Wie das unabhängige arabisch-jüdische 'Negev Coexistence Forum' (NCF) in einem Bericht über die Zerstörung der Siedlungen in der Negev/Naqab-Wüste zeigt, ist Al Araqib bei weitem kein Einzelfall.

NCF ist die einzige Organisation, die systematisch und methodisch den Abriss von Beduinen-Häusern dokumentiert. Allein zwischen Juli 2013 und Juni 2014 wurden demnach 859 Häuser zerstört. In den letzten viereinhalb Jahren sei die Lage ähnlich gewesen. Das Ausmaß der Zerstörung beweise, dass Israel nicht im Stande sei, dauerhafte Lösungen für die Krise in der Region anzubieten, so der Report.


Bild: © Silvia Boarini/IPS

Naif Agele mit seinen Kindern und Neffen vor den Trümmern des Hauses seines Bruders in der Negev-Wüste
Bild: © Silvia Boarini/IPS

Seitdem das als 'Prawer Plan' bekannte israelische Gesetz zur 'Regulierung der Beduinensiedlungen' Ende 2013 nach massiven Protesten auf Eis gelegt wurde, wirft NCF der Regierung vor, ohne rechtliche Rückendeckung weiterhin Häuser zu demolieren, um die Landrechte der Beduinen einzuschränken und Israels Vision einer Entwicklung der Negev-Wüste voranzutreiben.


Rassismusvorwurf

Der NCF-Bericht untersucht, wem die Entwicklungsstrategien nutzen und zu welchen Kosten sie durchgeführt werden. "Der Staat braucht das Land nicht für die Entwicklung", sagt Michal Rotem, eine der Autoren des Reports. "Einen Wald anzulegen, ist meiner Ansicht nach keine stichhaltige Begründung für die Zerstörung eines Dorfes. Damit wird auch kein Platz für eine jüdische Siedlung geschaffen. Es handelt sich hier um rassistische und diskriminierende Vorwände", sagt sie.

Beduinen sind die ältesten Einwohner der Negev-Wüste und Bürger Israels. Die etwa 220.000 Mitglieder des Volkes machen ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung in der Region aus. Etwa 140.000 von ihnen wurden zum Umzug in sieben, in den 1960er und 1970er Jahren von der Regierung aus dem Boden gestampfte, heruntergekommene Townships gezwungen. Andere leben in zehn Dörfern, die offiziell 'anerkannt' wurden. Die übrigen 80.000 Beduinen verteilen sich auf 40 Ortschaften, die nicht vom Staat anerkannt sind, auf keiner Landkarte auftauchen und ständig in Gefahr sind, abgerissen zu werden - so wie Al Araqib.

Rotem zufolge sind viele diese Siedlungen älter als der Staat Israel. Eine Politik der Verstaatlichung von Land habe die Bewohner der Orte jedoch zu 'Invasoren' staatlicher Territorien abgestempelt. "Der Staat hat neue Gesetze verabschiedet und alle Beduinen in der Negev-Wüste zu Gesetzesbrechern erklärt."

In der Vergangenheit konnten die Beduinen diesem Stigma nur entgehen, indem sie in die Städte zogen. Denjenigen, die dies getan haben, geht es heute aber nicht besser als früher.

Laut NCF fanden 54 Prozent der Abrissaktionen in dem dokumentierten Zeitraum in 'legalen' Ortschaften statt. Israel hat keinerlei Vorkehrungen getroffen, um auf das natürliche Wachstum der Beduinen-Gemeinschaft einzugehen. In Israel sind die Beduinen die kinderreichste Volksgruppe. Rotem kritisiert, dass sich der Staat völlig widersprüchlich verhalte. "Erst sagen sie den Beduinen, sie sollen in anerkannten Dörfern leben. Und dann kommen sie und walzen alles nieder."

Der NCF-Koordinator Jalal Abo Bneah lebt in dem 'nicht anerkannten' Dorf Wadi Al Nam. "Die Regierung verlangt, dass 15.000 Menschen in die Stadtsiedlung Segev Shalom ziehen. Doch diejenigen, die dort wohnen, haben bereits zu wenig Platz. Wie soll das funktionieren?" Abo Bneah hat beobachtet, dass die Beduinen mit den einseitig von Israel vorangetriebenen Plänen zunehmend unzufrieden sind, da ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden.


Kritik vom UN-Menschenrechtskomitee

Im vergangenen Oktober hat das UN-Menschenrechtskomitee mit einer Reihe von Schlussfolgerungen auf den vierten periodischen Bericht Israels reagiert. So heißt es etwa, dass der Staat keine Abrissaktionen auf Grundlage diskriminierender Planungsstrategien mehr durchführen und mit den Beduinen über Maßnahmen, die ihre Zukunft betreffen, Rücksprache halten sollte.

Abo Bneah begrüßt zwar jeden Druck von Seiten globaler Akteure, hat aber angesichts des konservativen politischen Klimas in Israel nur wenig Hoffnung, dass sich die Lage bald verändert.

Das NCF hat unterdessen eine Website vorgestellt, auf der die 'wahre' Topografie der Negev-Wüste dargestellt ist. Das Projekt 'Arabische Beduinendörfer in Negev-Naqab' fügt alle 40 nicht anerkannten Dörfer in die israelische Landkarte ein - ein Schritt, den Israel bisher verweigert hat.

Die Webseite macht Besucher mit den grundlegenden Fakten zu den Dörfern vertraut, etwa, seit wann es sie gibt, wie viele Menschen dort leben oder wie groß die Entfernung zu den nächstgelegenen öffentlichen Versorgungszentren ist. Auch sind Fotos zu sehen, die zeigen, wie die Beduinen leben. Diese wollen in Kürze eigene Bilder vor allem über die Planierarbeiten durch Israel liefern. "Das ist unser Land", erklärt Mariam. "Und wir werden hier bleiben, solange wir leben." (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/02/negev-bedouin-resist-israeli-demolitions-to-show-we-exist/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2015

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