IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2015
Minderheiten: Volk der Belutschen im Visier islamistischer Fundamentalisten
von Karlos Zurutuza
Junge Belutschen im ausgetrockneten Bett des Helmand-Flusses
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Zaranj, Afghanistan, 20. März (IPS) - Die Region Belutschistan, die sich über den Osten Irans, den Süden Afghanistans und den Südwesten Pakistans erstreckt, ist etwa so groß wie Frankreich. Sie birgt enorme Mengen an Erdgas, Gold und Kupfer und bisher unerschlossene Öl- und Uranvorkommen. Über tausende Kilometer verläuft die Heimat der Volksgruppe der Belutschen entlang der strategisch wichtigen Küste nahe der Straße von Hormus.
Eine Schäferfamilie und ihre Herde in der afghanischen Provinz
Nimrus
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Starke Dürren und ein hoher Verbrauch von Wasser für den Opiumanbau in
Nimrus bedrohen die Existenz der Belutschen, die von der
Landwirtschaft leben
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Trotz des unterirdisch lagernden Reichtums leben diese Menschen in den am wenigsten entwickelten Gebieten ihrer jeweiligen Heimatländer. Afghanistan bildet da keine Ausnahme. Starke Dürren und ein exzessiver Verbrauch von Wasser zugunsten des Opiumanbaus bedrohen die Belutschen in ihrer Existenz.
Die Mehrheit der Belutschen sind sunnitische Muslime, die jedoch wegen
ihrer moderaten Betrachtung des Islams zunehmend Opfer islamistischer
Extremisten werden
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Nimrus ist die einzige afghanische Provinz, in der die belutschische Minderheit in der Mehrheit ist. Die oft unbeachteten Belutschen sind nur eines von vielen Völkern, die das ethnische Mosaik des Landes ausmachen. Wie die Paschtunen, Tadschiken und Usbeken haben auch die Belutschen erlebt, wie ihr Territorium in Zentralasien durch willkürlich gezogene Grenzen geteilt wurde.
Dutzende armer Familien kämpfen in dem Dorf Haji Abdurrahman um ihr
Überleben
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Jugendlicher vom Volk der Belutschen in seinem Haus im Dorf
Nasirabad
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Dem belutschischen Historiker Abdul Sattar Purdely zufolge befinden sich etwa zwei Millionen Angehörige dieser ethnischen Gemeinschaft in Afghanistan. "Doch nur diejenigen, die in den südlichen Provinzen Nimrus und Helmand leben, sprechen die belutschische Sprache." Purdely, der während der Amtszeit von Staatspräsident Mohammed Nadschibullah (1986 bis 1992) im Parlament saß, ist heute Ende 60. Der Universitätsprofessor und Schriftsteller ist einer der engagiertesten Fürsprecher für den Erhalt der belutschischen Sprache und Kultur in Afghanistan.
In Zusammenarbeit mit dem afghanischen Bildungsministerium hat Purdely Schulbücher auf Belutschisch verfasst, die bis zur achten Klasse an mittlerweile drei Schulen verwendet werden. In Afghanistan leben nur wenige Mitglieder seines Volkes, die meisten von ihnen auf dem iranischen Hochplateau. Alle mussten die Erfahrung machen, in einer zunehmend durch islamistischen Extremismus geprägten Region aufgrund ihrer Herkunft, Religion und Sprache verfolgt zu werden.
Belutschen-Familie aus der Taliban-Hochburg Kandahar
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Dieser Pakistaner vom Volk der Belutschen und seine beiden Söhne
halten sich in Afghanistan versteckt
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Pakistan betrachtet die Belutschen als Aufständische und weist auf etliche Rebellengruppen hin, die an der Grenze zu Afghanistan aktiv sind und für die Unabhängigkeit der Belutschen kämpfen. Oft überqueren Mitglieder die gemeinsame Grenze, um Verletzte in afghanischen Krankenhäusern behandeln zu lassen. Eine pakistanische Militäroperation im Jahr 2011 hatte unzähligen Belutschen das Leben gekostet.
Kämpfer der Befreiungsarmee von Belutschistan
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Die Brüder Karim und Sharif Baloch aus Pakistan, die inzwischen in
Zaranj, der Hauptstadt von Nimrus leben, zeigen Fotos ihrer
Verwandten, die während einer pakistanischen Militäroperation 2011
getötet wurden
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
"Die iranische Regierung betrachtet die Belutschen in der südwestafghanischen Provinz Nimrus ebenfalls als Sicherheitsgefahr und versucht jede dort entstehende Initiative im Keim zu ersticken", berichtet Mir Mohamad Baloch. Der in Afghanistan geborene Politik- und Kulturaktivist bekennt, dass ein unabhängiges Belutschistan einer seiner "Lebensträume" sei. Angesichts der derzeitigen politischen Lage in der Region wird sich dieser Wunsch in nächster Zeit aber kaum realisieren lassen.
Zaranj, die Hauptstadt der Provinz Nimrus, ist der einzige Ort, an dem täglich zwischen 17 und 18 Uhr ein Fernsehprogramm in belutschischer Sprache ausgestrahlt wird. Obwohl der erste TV-Kanal auf Belutschisch bereits 1978 - noch vor dem Druck von Büchern und Zeitungen in dieser Sprache - in Betrieb ging, führte der Sturz der kommunistischen Regierung in Kabul zu einem kulturellen Niedergang.
Lastwagen auf einer einsamen Straße in Nimrus
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
In Zaranj, an der Grenze zwischen Afghanistan und Iran. Das Gebiet
gilt als Umschlagplatz für Drogen und Waffen
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Die Belutschen, die traditionell ein Nomadenvolk sind, werden wegen ihrer moderaten Betrachtung des Islams seit Jahren von islamistischen Fundamentalisten verfolgt. Taliban-Führer Mullah Omar verkündete sogar eine 'Fatwa', mit der zur "ethnischen Säuberung" der Region von Belutschen und Schiiten aufgerufen wurde. "Trotz des gegenwärtigen Chaos in unserem Land wird unsere nationale Identität immer stärker", versichert Abdul Sattar Purdely. "Wir müssen nur erreichen, dass die übrige Welt von uns erfährt." (Ende/IPS/ck/2015)
Link:
http://www.ipsnews.net/2015/03/unseen-and-unheard-afghan-baloch-people-speak-up/
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IPS-Tagesdienst vom 20. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2015
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