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SCHACH-SPHINX/05371: Etikettenschwindel auf trojanisch (SB)


An dieser Stelle soll ein letztes Mal der Trick mit dem Partieformular bemüht werden, dann ist es Zeit, sich anderen, nicht weniger geistreichen Varianten psychologischer Kriegführung unter Schachmeistern zuzuwenden. Die traurige Rolle in der nun zu erzählenden Donquichotterie spielte der russische Großmeister Alexander Kotow. Damals in seiner Jugendblüte hatte er einige Hürden zu nehmen, ehe er diesen Titel mit Würde tragen konnte. Auch um einiges gewitzter mußte er noch werden. Jedenfalls hatte sein Gegner eine durch und durch ruinöse Stellung mit den weißen Steinen. In Freund Kotow wuchs eben schon als Jüngling ein besonderes Zauberkraut. Doch da ersann sein Kontrahent eine durchtriebene Falle, über die ein wacher Verstand, gepaart mit Vernunft, eigentlich nicht stolpern sollte. Sein Gegenüber verfiel auf eine geradezu Odysseus'sche List, als er das Partieformular gut sichtbar wie ein Trojanisches Pferd in die Hand nahm und darauf schrieb: 'aufgegeben', ohne jedoch die zur Ratifizierung notwendige Unterschrift zu leisten. Mit freudigem Glanz in den Augen sah der junge Kotow dies und träumte sich schon als Sieger mit Lorbeerkranz. Ohne viel Nachdenkens machte er einen Zug auf dem Brett, schließlich hatte sein Gegner ja schon moralisch aufgegeben. Der Bluff ging auf und Kotow übersah tatsächlich vor eitel Siegeszuversicht die plumpe Falle. Prompt strich sein Gegner den Etikettenschwindel auf seinem Formular durch, ließ das Schloß der Falle zuschnappen und wartete nun seinerseits geduldig auf das Wörtchen 'aufgegeben' auf dem Papier seines Gegners. Man lerne daraus, niemandem zu trauen, der sich in Demut nähert. Jedes Lächeln ist ein Schwert in der Hand eines Listenreichen! Im heutigen Rätsel der Sphinx fiel allerdings Meister Taimanow auf seinen eigenen Bluff herein. In der Diagrammstellung hatte er mit Weiß eine Siegesstellung erlangt. Nach der möglichen Abfolge 1.La4-c2 Sb8-a6 2.Lf4-d6 Ld7-e8 3.Kd4-e5 Kc8-d7 4.Lc2-d3 Sa6-c7 5.Ld6xc7 Kc8xc7 6.Ke5-f6 wäre die Partie für ihn siegreich entschieden gewesen. Doch plötzlich überkam Taimanow ein seltsamer Gedanke. Warum sich mit dem schwarzen Springer lange herumärgern, dachte er, wenn er sogleich vom Brett geschlagen werden kann? Nun, Wanderer, ziehe die elementaren Endspielregeln zu Rate und du wirst bald schon erkennen, wie Meister Bronstein nach 1.Lf4xb8? das Remis sichern konnte.



SCHACH-SPHINX/05371: Etikettenschwindel auf trojanisch (SB)

Taimanow - Bronstein
Moskau 1965

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Meister Fedorowicz sah wohl, daß er nach 1...Le6xb3! auf der Siegerstraße wandelte, aber er vergaß, die Trophäe auch abzuholen. So griff er nach 2.a2xb3 mit 2...Df8-a3? fehl, denn hierauf konnte sein Kontrahent Kaidanow den Angriff erfolgreich zurückschlagen: 3.Df4-c1 Da3-a5 4.Lf1-b5! Da5xb5 5.Dc1-a3 mit späterem Sieg. Richtig war die Fortsetzung 2...Tc8-a8!, worauf 3.Df4-c1 nichts mehr genützt hätte wegen 3...Df8-b4 nebst 4...Db4-a5 mit leichtem Sieg für Schwarz.


Erstveröffentlichung am 24. Februar 2002

31. Januar 2015


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