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SCHACH-SPHINX/05419: Gegengift zur Vernunft (SB)


Kalte Berechnung ist im Schachspiel nie das ausschließliche Terrain der Zug- und Strategiefindung, denn anders als der Verstand behauptet, dominiert im Schachspiel eine weitaus gröber und auch größer gefaßte Komponente das menschliche Denken. Wo die Analyse jedes Detail der Schrittfolge in eine engumgrenzte Kausalität stecken möchte, bedient sich der Schachspieler im schöpferischen Gebrauch der Imagination oder Intuition eines leichteren Vehikels, um in einer Partie die Grenzen des Unwägbaren zu überschreiten. Und das ist auch sein wirkungsvollstes Gegengift gegen die reine Schachlogik. Nicht von ungefähr weichen die Kommentare, die den Werdegang einer Partie plausibel machen sollen, gerne auf den Begriff der Phantasie aus. Es zeigt sich nämlich, daß in vielen Positionen eine faßbare Linie gar nicht zu zeichnen ist. Statt also unentwegt nach konkreten Lösungen zu suchen, nimmt der Spieler oftmals bei der Wahl seiner Pläne und Ideen weniger zu logischen als vielmehr zu suggestiven überlegungen Zuflucht. Bei einer Partie wird nämlich nur in Ausnahmefällen nach dem besten, also logisch einwandfreien Zug gefahndet. Schließlich soll der Gegenspieler ja im unklaren darüber gelassen werden, welcher tieferer Plan verfolgt wird. Nicht Rechenkünstler sind gefragt, ein Schachspieler ist im wesentlichen ein Mensch, der seine Absichten verbergen möchte. Hierzu eignet sich die Logik jedoch nur schlecht, da der andere nicht minder rechenbegabt ist und leicht das Spiel durchschauen kann. Aus keinem anderen Grund hatten die Schachmeister das Lavieren erfunden, also das Verzögern der Demaskierung ihrer Pläne. Mit verborgener Absicht hatte auch der englische Meister Glenn Flear seine Angriffsposition aufgebaut. Sein Kontrahent Garcia durchschaute die fintenreiche Stellung jedenfalls nicht und zog zuletzt 1...h7-h6?, was ein fulminanter Fehler war. Also, Wanderer, denke mit Phantasie, welches "blaue Wunder" erlebte Meister Garcia im heutigen Rätsel der Sphinx?



SCHACH-SPHINX/05419: Gegengift zur Vernunft (SB)

Flear - Garcia
Palermo 1986

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die gefährdete Position der schwarzen Dame nutzte der russische Großmeister Leonid Stein gekonnt zu einer kleinen Gewinnkombination aus. Er zog also 1.Sd4xb5! und holte sich nach 1...Sc7xb5 2.De2xc4+ Kg8-h8 3.Dc4-f7! - diese überraschende Wendung hatte sein Kontrahent Haag offenbar übersehen - 3...Sb5-c7 4.Lb4-d6 einen ganzen Punkt.


Erstveröffentlichung am 12. April 2002

20. März 2015


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