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SCHACH-SPHINX/05455: Mahnende Geister (SB)


Konfektionsgrößen, fabrikmäßiges Herunterspielen von Zug und Variante, Schach als Markenzeichen irgendeiner Großindustrie, die damit Seelen fängt und fremde Meilensteine setzt: mit den Augen eines Schachromantikers gesehen. Ist die überbordernde Fülle kalter Literatur im neuzeitlichen Gewand schon so weit vorgeprescht, daß niemand ihr mehr Halt gebieten kann? Den Anschein hat es jedenfalls. Künstlerkrise, so heißt der Schlachtruf der mahnenden Geister. Und ganz Unrecht haben sie sicherlich nicht mit ihrem Vorwurf, daß um der Kunst willen sich niemand mehr genötigt sieht, Zeit und Mühen zu verschwenden. Und während Kommerz und Profit alle Gedanken durchdringen, verdorrt der Baum der Kunst mehr und mehr. Neue Ideen knüpfen sich immer nur klettenhaft an die Überlegung: Läßt sich damit Bares machen? Wo ist der ganzheitliche Sinn geblieben, den schachliche Universalgenies wie Lasker und Euwe propagierten, wo die Muße der Leichtigkeit? Das Laientum hat es in Ermangelung tragfähiger Charaktere übernommen, den künstlerischen Ast auszubilden. Mit leichtem Federstrich gelingen ihnen durchaus hübsche Miniaturen. Trotzdem ein Jammer, daß die großen Galionsfiguren so sehr mit weltlich-profanen Dingen beschäftigt sind. James Agee, Befürworter der ganzheitlichen Sicht in allen Aspekten des Lebens, forderte dies auf seine Weise: "Denn in der konkreten Welt muß alles erkennbar sein für den, der zur Erkenntnis befähigt ist, einfach und unmittelbar, nicht erst durch wissenschaftliches Sezieren oder nach einer Umarbeitung des Materials in Kunst, sondern mit dem ganzen Bewußtsein, das zu erfassen sich bemüht, was ist; so daß allein der Anblick einer Straße im Sonnenschein wie eine Symphonie rauscht, wie es keine andere Symphonie vielleicht vermag, und das gesamte Bewußtsein nicht mehr die Einbildung, die Vorstellung wahrnimmt, sondern einfach den herben Glanz dessen, was ist." Recht herbe hatte auch der indische Großmeister Anand seine Grünfeldindische Verteidigung gegen seinen holländischen Kontrahent Lautier behandelt, so daß er schließlich in ein unhaltbares Endspiel hineinstrauchelte. Im heutigen Rätsel der Sphinx hast du also zu lösen, Wanderer, wie Lautier - ganzheitlich natürlich - all seine Figuren einsetzte, um dem Freibauern auf d7 zu seinem Recht zu verhelfen!



SCHACH-SPHINX/05455: Mahnende Geister (SB)

Lautier - Anand
Linares 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der amerikanische Meister McCambridge überspannte den Bogen, als er Horts letzten Zug 1...f5-f4 mit 2.e5-e6 konterte, denn Letzterer konnte dank der Abwicklung 2...f4xg3! entscheidenden Endspielvorteil erzielen. McCambridges wahrscheinliche Idee war wohl nun 3.f2xg3 gewesen, doch nach 3...Df3xg3 4.Dc2-e4 Ld7-a4 hätte er sofort aufgeben können, also versuchte er noch 3.e6xd7 g3xf2+ 4.Tf1xf2 Dg3xf2+ 5.Dc2xf2 Tf8xf2 6.Kg1xf2 Ta8-d8 7.Sg2-e3 Td8xd7 und leistete sich mit 8.Ta1-d1? den letzten Fehler in dieser Partie, worauf 8...Td7-f7+ sofort gewann. Figurenverlust war nicht mehr zu vermeiden: 9.Kf2-e2 Tf7-e7.


Erstveröffentlichung am 16. Mai 2002

25. April 2015


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