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SCHACH-SPHINX/05634: Denkfaule Larve (SB)


Es ist heutzutage modern geworden, sich die Maske eines biederen Zweckoptimismus überzustülpen. Vieles scheint dann leichter zu gehen. Die Widersprüche werden auf ein erträgliches Minimum zurechtgestutzt, Fragen bleiben ohnehin außenvor. Wollte man jedoch allen Ernstes ein Zustandsszenario über das heutige Schach entwerfen, so müßten einem die Schuppen beutelweise von den Augen fallen. Anbiederei an allen Fronten, und am blutigsten ist die Wunde am Körper der Schachkunst dort, wo sich mit der Computertechnologie breiteste Strukturen des Stillstandes in das Denken hineingebohrt haben. Mit der zunehmenden Digitalisierung verpuppt sich das Schach immer mehr in eine Art denkfaule Larve. Weitestgehend und in einem ungleich umfassenderen Sinne als früher werden durch Programme Theoriegebilde eingeätzt. Ein Großteil des spielenden Schachvolks nutzt schon jetzt die Elektronengehirne für die Suche nach neuen Zügen und komplexen Varianten, weil sie sich darüber erhoffen, Fehler möglichst früh auszuschließen. Die Analysearbeit, die einst zum unentbehrlichen Handwerk gehörte, tritt mehr und mehr zurück. Es wird in der Hauptsache mittelspielorientiert geforscht. Nicht mehr der Guß einer Partie gibt den Ausschlag, sondern das haarspalterische Ringen um kleinste Vorteile und Wissensvorsprünge. Viel Zeit wird mit dem Computer zugebracht, der dann die Rechenoperationen zu bewerkstelligen hat. In diesem Delegieren verkümmert jedoch die kreative Denkkraft. Es schleichen sich Gewohnheiten ein, die durch das fremdgesteuerte Medium Computer das Denken ersetzen. Versatz- und Puzzlespiele sind die Folge. Natürlich darf man die Entwicklung von Computern nicht einfach ignorieren. Das blinde Vertrauen in ihre "intelligente" Rechenfähigkeit allerdings schiebt den unschätzbaren Potentialen menschlicher Intuition, um ein Lieblingswort des Profi-Weltmeisters Garry Kasparow zu benutzen, eherne Riegel vor. Nach dieser moralischen Standpauke gegen die Auswüchse der Zeit zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zur Partie zwischen Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoj. Der "Schreckliche" hatte zum Sizilianischen Drachen gegriffen, in der Hoffnung darauf, Karpow im Feueratem zu verschlingen. Doch zeigte sich Letzterer gegen das Fauchen des Drachens gewappnet und konnte in der Diagrammstellung das Ungetüm mit einem wuchtigen Sprengzug sogar in seine Höhle zurücktreiben, wo Kortschnoj dann dank einer kombinatorischen Lanze niedergestreckt wurde. Bist auch du, Wanderer, ein solcher Drachentöter wie Karpow?



SCHACH-SPHINX/05634: Denkfaule Larve (SB)

Karpow - Kortschnoj
Moskau 1974

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Grecos Matt machte Schule und diente in vielen Partien als Vorbild für einen bestimmten Rochadeangriff. In dieser elementaren Form setzte Greco mit 1.Ld3xh7+! Kg8xh7 2.Sf3-g5+ Kh7-g6 3.h4-h5+ Kg6-h6 4.Sg5xf7+ nebst Damengewinn fort. Schlimmeres, nämlich das Original-Greco-Matt, kommt bei 2...Kh7-g8 über den Nachziehenden: 3.Dd1-h5 f7-f5 4.g5-g6 und Abschluß im nächsten Zug. Ebenso verlustreich ist natürlich auch 2...Le7xg5 3.h4xg5+, und wieder tut die Dame ihr verhängnisvolles Werk.


Erstveröffentlichung am 09. November 2002

21. Oktober 2015


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