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SCHACH-SPHINX/05652: Cartesianische Glanzlichter (SB)


Es war zu Beginn des 19. Jahrhunderts wie ein Auftauchen aus dem Nichts, als in Paris mit Philidor, Deschapelles, La Bourdonnais und Saint-Amant Meister von hochkarätigem Zuschnitt in Erscheinung traten, die dem europäischen Schach einen immensen Entwicklungsschritt bescherten. Über die Gründe, die zu ihrem Auftritt beitrugen, ist viel gerätselt worden. Eine vernünftige Erklärung konnte freilich nicht gefunden werden. Das Ganze wird um so mysteriöser, wenn man bedenkt, daß in den vorangegangenen Jahrhunderten das Schach in Frankreich bestenfalls im Kreise höfischer Belustigung anzutreffen war. Im berühmten Café de la Régence lebte zwischen 1750 und 1830 das Zentrum europäischen Schachs auf. Nie zuvor fanden sich an einem Ort die hellsten Köpfe der Zeit zusammen, um, freilich mit dem Schwerpunkt auf eine gerdezu ausufernde Kombinationswut, dem Königlichen Spiel ein prägnantes, unverwechselbares Gesicht zu geben. Die Sonne dieses Aufblühens war unzweifelhaft das Wettspiel. Um kleine Geldbeträge wurde seinerzeit gespielt, nicht um der Kunst oder gar eines wissenschaftlichen Tiefgangs willen. Das spielerische Moment dominierte. In Hinblick auf Leichtigkeit und Unbeschwertheit sollte das Schach nie wieder etwas von diesem Flair erhalten. Wollte man sich dennoch an die Ursachen dieses plötzlichen Aufschwungs in Frankreich herantasten, so muß man die Zeit genauer unter die Lupe nehmen. Cartesianisches Denken stand in Blüte. Was Wunder also, daß im Schachspiel, das alle Voraussetzungen für ein logisches Koordinatensystem erfüllte, der innigste Ausdrucks dieses neuen Lebensgefühls erkannt und gefördert wurde. In dieser antiklerikalen, vernunftgeschwängerten Luft trieb das Schach die wildesten und schönsten Blüten. In den Wirren der nachnapoleonischen Ära ging dieses Gedankengut wieder verloren und ist bis auf den heutigen Tag nicht wieder aus der Asche emporgewachsen. Das heutige Rätsel der Sphinx entstammt dieser Zeit. Deschapelles war mit den weißen Steinen am Zuge und hinterließ der Nachwelt eine der brillantesten Kombinationen der Schachgeschichte. Viel Vergnügen, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/05652: Cartesianische Glanzlichter (SB)

Deschapelles - Labourdonnais

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Rubinstein schlug in die schwarze Königsstellung mit 1.Lf5xh7+! eine große Bresche, die nicht mehr abzudecken war. Nach 1...Kg8xh7 2.g5-g6+ Kh7-g8 - 2...f7xg6 3.Sc3xe4 d5xe4 4.Sf3-g5+ Kh7-g8 5.Dc2xc4+ - 3.Sc3xe4 d5xe4 rollte der Angriff mit 4.h5-h6! ungehemmt weiter: 4...f7-f6 5.h6xg7 e4xf3 6.Th1-h8+ Kg8xg7 7.Th8-h7+ Kg7-g8 8.Dc2-f5 c4- c3 9.Th7xe7 und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 27. November 2002

08. November 2015


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