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SCHACH-SPHINX/05655: Italiens erloschener Stern (SB)


Einige Jahrhunderte lang war das italienische Schach federführend in Europa gewesen. Mit Beginn der Renaissance strahlte dieser Stern weithin und verscheuchte die Schatten einer maurischen Behaglichkeit. Das Schach der Neuzeit war beschwingt, elegant, hatte etwas von dem Elan der Eroberungszüge, die zu jener Zeit dem Gesicht der Welt ein verstärkt kolonialistisches Gepräge gaben. Italien war reich geworden durch den Mittelmeerhandel, und als dann auch noch die große Rivalin Konstantinopel alias Byzanz alias Istanbul in die Hände der Osmanen fiel, die zunäcgst mehr am Kriegswesen denn am Handel interessiert waren, erlebten die italienischen Städte Florenz, Genua, Mailand usw. eine florierende Blütezeit. Die Kunst schuf sich neue Formen, die Literatur wandelte ihren Stil und auch das Schachspiel mischte sich in diesen Chor ein. Doch dann verloren die italienischen Stadtstaaten an Macht, gerieten ins Kreuzfeuer europäischer Intrigenspiele und versanken schließlich zu einem bedeutungslosen Zipfel Europas. Frankreich gab den Ton an. Österreich setzte auf knallharte Reformen und Preußen zog den Säbel blank. Europa geriet ins Wanken. Das Machtvakuum mußte beseitigt werden. Von diesen Ränkespiel blieb Italien völlig verschont. Es dämmerte vor sich hin, nachdem es seinen schönsten Zenit überschritten und zum Spielball ausländischer Interessen verkommen war. Was Wunder, daß der erloschene Schachstern Italiens nie wieder aufstrahlte. Noch vor dem Erscheinen von Philidor und der, man könnte durchaus sagen, französische Kaffeehausschule, konnte kaum ein Spieler von sich behaupten, in solcherart furiosem Stil kombinieren zu können wie einst die Italiener. Bis heute hält dieser Dämmerzustand im großen und ganzen an. Ausnahmen bilden bekanntlich die Regel. Im heutigen Rätsel der Sphinx besiegte der neunjährige Engländer Luke McShane den acht Jahre älteren Amerikaner Manion. Das Alte mußte auch hier dem Neuen weichen. Also, Wanderer, üben wir uns im neuzeitlichen Geist!



SCHACH-SPHINX/05655: Italiens erloschener Stern (SB)

Manion - McShane
London 1993

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der russische Schachavantgard Emanuel Schiffers zerstörte das schöne Spiel seines Kontrahenten Max Harmonist mit 1.Te1-e8! Unverhofft kommt oft, aber selten so schön wie in dieser Partie. Harmonist wurde nun kopflos und statt mit 1...Lc8-e6 den Schaden zu begrenzen, wollte er sich zeigen lassen, was sich hinter dem Turmzug an Raffinesse verbarg und zog 1...Tf8xe8. Schiffers blieb ihm die Antwort nicht schuldig: 2.Lc4xf7+ Kg8-h8 - 2...Kg8-f8 3.Sg5xh7+) 3.Lf7xe8 Sf4-e2+ - eine kleine Hoffnung? - 4.Kg1-h1 Se2xc1 5.Sg5-f7+ Kh8-g8 6.Sf7-h6+ Kg8-f8 7.Db3-g8+ Kf8-e7 8.Le8xg6 h7xg6 - 8...g7xh6 9.De8-f7 nebst Matt - 9.Dg8xg7+ Ke7-d8 10.Dg7-f8+ Kd8-d7 11.Sd2-e4 - droht Matt durch 12.Se4- c5 und erzwingt großen Materialgewinn - 11...Dc7-d8 12.Df8-d6+ Kd7-e8 13.Se4-f6+ und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 30. November 2002

11. November 2015


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