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SCHACH-SPHINX/05697: Nackt im Bus (SB)


Sein Aufstieg glich einem Kometenflug, und er zog auch einen geheimnisumwitterten Schweif hinter sich her. Carlos Torre, Sohn einer vermögenden mexikanischen Familie, hatte 1925 und 1926 schachliche Meilensteine gesetzt, beispielsweise als er an seinem 21. Geburtstag den Ex-Weltmeister Emanuel Lasker in einer denkwürdigen Partie besiegte. Nie zuvor hatte Mexiko einen Meister seines Kalibers hervorgebracht. Doch seine Karriere endete jäh nach der Panamerikanischen Meisterschaft in Chicago 1926. Die Gründe dafür, daß er sich fortan nie wieder auf einem Turnier blicken ließ, sind zwiespältiger Natur. Einesteils heißt es, er habe durch seine Niederlage gegen Eduard Lasker, wodurch er den sicher geglaubten Turniersieg an Marshall verlor, seelischen Schiffbruch erlitten; was jedoch an den Haaren herbeigezogen scheint. Andererseits wird vermutet, daß ihn eine enttäuschte Liebe aus der Bahn warf. Wieder ein anderes Gerücht will wissen, daß er, wie ihn Gott erschuf, im Adamskostüm in einen New Yorker Bus einstieg und daraufhin in psychiatrische Behandlung kam. Immerhin verlieh ihm die FIDE 1963 für seine Turniererfolge in den 20er Jahren den Titel des Internationalen Meisters. 1977 folgte sogar die Ernennung zum Internationalen Großmeister, und das, obwohl Torre nach 1926, zumindest auf der internationalen Schachbühne, keine Figur mehr angerührt hatte. Lange Jahrzehnte hörte und sah man von Torre nichts. Dann, 1962, traf ihn der berühmte Archäologe und Altphilologe Professor Walter Cordan in der mexikanischen Universitätsstadt Merida: "Nachdem ich eine lange Diskussion mit ihm über Kant, Hegel und den mexikanischen Philosophen Vasconcelos hatte, frage ich mich, wo die Geistesstörung bei ihm liegt. Torre, aus reicher Familie, scheint ab und zu alles an arme Leute wegzuschenken. Das allerdings ist in unserer Gesellschaft Wahnsinn." Neben seiner glänzenden Partie gegen Lasker wurde Torre insbesondere durch seine Niederlage gegen Adams weltberühmt. Also, Wanderer, reibe und erfreue dich am heutigen Rätsel der Sphinx. Die Lösung ist Lohn genug für alle Grüblerqualen.



SCHACH-SPHINX/05697: Nackt im Bus (SB)

Adams - Torre
New Orleans 1921

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Engels machte sich die Schwäche der weißen Grundreihe zunutze und opferte mit 1...Se5xf3! einen Springer für den Angriff. Seinem Kontrahenten Helling blieb nichts anderes übrig, als sich auf das Wagnis der Opferannahme einzulassen: 2.g2xf3 Te8-e1! - die eigentliche Pointe - 3.Df1xe1 Dc6xf3+ 4.Kh1-g1 Tb8-e8! Was sollte Helling nun tun? 5.De1xe8+ Sf6xe8 6.Sc3-d5 scheiterte an 6...Lc7- e5! 7.Lc1-b2 Le5xd4 nebst 8...Df3-g4+ Am besten wäre wohl 5.Lc1-e3 Sf6-g4 6.Ta1-a2 Te8xe3 7.De1-f1 gewesen, obgleich Engels auch dann im Vorteil geblieben wäre: 7...Sg4xh2! 8.Df1xf3 Sh2xf3+ 9.Kg1-f2 Te3xc3! In der Partie zog Helling allerdings 5.Sc3-e4, was zum Matt führte: 5...Sf6-g4! 6.Ta1-a2 Lc7-b6 7.Lc1-e3 Lb6xd4 8.Le3xd4 Te8xe4 9.De1-d2 - 9.De1-f1 Df3xb3 - 9...Sg4-e3! 10.h2-h3 Df3-g3+ 11.Kg1-h1 Dg3xh3+ 12.Dd2-h2 Dh3-f1+ und Helling gab auf, ohne sich das Matt in drei Zügen durch 13...Te4-h4+ und 14...Df1-f3+ zeigen zu lassen.


Erstveröffentlichung am 10. Januar 2003

27. Dezember 2015


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