Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05936: Kein ins Uferlose abwandernder Geist (SB)


Ohne seinen Mentor Michail Botwinnik wäre aus Garry Kasparow wohl nie ein Weltmeister geworden. Der mehrfache Champion nahm den 10jährigen Kasparow unter seine Fittiche und förderte ihn im hohen Stile. Kasparow war gelehrig, machte keine Flausen und folgte seinem Vorbild in allem, ohne jedoch zu einer blind ergebenen Puppe zu werden. Sein wacher Verstand begleitete ihn durch alle Prüfungen, fünf Jahre lang. Als er Botwinniks Art, Stellungen auf einen dynamischen Kulminationspunkt hin zu entwickeln, gelernt hatte, machte er etwas, das für seine spätere Entfaltung ungeheuer wichtig und wertvoll war. Er blieb in seinem Lernen nicht stehen. Ungeachtet der Ideen, die er von Botwinnik eingeimpft bekam und die völlig ausgereicht hätten für ein ganzes Menschenleben, suchte Kasparow die Konfrontation auch mit dem Gedankengut anderer Lehrmeister. So blieb sein Wuchs lebendig, härtete nicht ab, wurde nicht zu diesem oder jenem Stil. Was die Partien von Kasparow auszeichnet, ist der nie erschöpfende Reichtum eines stillosen Stils. Zwar bevorzugte er bestimmte Eröffnungen, ebenso wie er andere aus seinem Katalog strich, doch wird kein Großmeister und Kenner der Materie behaupten können, dieses ist typisch für Kasparow und jenes nicht. In seinen Partien lebt der Forschergeist weiter. Man wird nicht müde, seine Partien nachzuspielen. Trotzdem ist sein Repertoire nicht ausgefallen zu nennen. Kasparow ist kein Springinsfeld wie Tony Miles, der ein breites Spektrum von Eröffnungen durchschreitet und hin und wieder auch zu seltsamen Spielweisen greift, um seine Gegner zu schocken. Kasparow bleibt seiner Linie treu. Er ist kein ins Uferlose abwandernder Geist. Seine Passion ist das Detail, und an diesem feilt er solange herum, bis die schärfste Logik und Zielgerichtetheit erreicht wird. Man könne sagen, daß Kasparow ein Fokussier ist, einer, der mit der Brennlupe alles vernichtet und ausschließt, was dieses Detail wie Unkraut überwuchert. Mit demselben Fleiß schärfte Kasparow gegen die Damenindische Verteidigung die alte Petrosjan-Variante 1.d2- d4 Sg8-f6 2.c2-c4 e7-e6 3.Sg1-f3 b7-b6 4.a2-a3 immer wieder und immer wieder, bis er ein griffiges Schwert in Händen hielt, und so im heutigen Rätsel der Sphinx seinem Kontrahenten Najdorf eine fürchterliche Lektion erteilen konnte. Kasparow hatte 1.Le3-d2! gespielt und da nun 1...De5-b2 wegen 2.Sf5-h6+ Kg8-h8 3.Sh6xf7+ Kh8-g8 4.Dg4-h5 indiskutabel war, versuchte es Najdorf mit 1...De5xa1 2.Te1xa1 Lf6xa1. Leider hatte er dabei etwas sehr Ausschlaggebendes übersehen, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05936: Kein ins Uferlose abwandernder Geist (SB)

Kasparow - Najdorf
Bugojno 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der Raub des vergifteten Bauern rächte sich durch 1.Lg3-e5! Td8xd1 2.Le5-f6+! Ke7-d7 3.Tf1xd1+ Kd7-c7 4.Lf6xh8 Le6xa2 5.Lh8-e5+ Kc7-c6 6.Lg6-e4+ und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 04. September 2003

23. August 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang