Es gibt nichts Vielsagenderes als einen stillen Kiebitz. Wer wollte da widersprechen. Er sitzt auf seinem Platz, die Augen groß wie Seen, und fängt mit seinen Pupillen das Licht der Meisterpartien auf. In seinem Kopf kreist alles um den Gedanken: Wie hätte ich selbst gespielt? Wäre es auch mir gelungen, diese bezaubernde Kombination zu entdecken? Gewiß, sagt er sich, auch wenn ich etwas mehr Zeit dafür benötigt hätte. Er liebt es, sich im Vergleich zu messen. Daß er schweigt, hat seinen Grund darin, daß er keine andere Art kennt, seinen Genuß auszukosten. Das Wissen, daß er dem großen Meister gleichstehen könnte, wenn ... Natürlich darf niemand von dieser Vermessenheit etwas erfahren. Die zweite Charaktertugend, die einen stillen Kiebitz auszeichnet, ist seine Bescheidenheit. Er hält sich zwar im Schatten der Ereignisse verborgen, behauptet aber gerade dadurch von sich, daß er alle Züge des Meisters versteht. Und so fällt von dessen Ruhm auch ein wenig auf ihn herab, denkt er. Man findet diese Art von Kiebitz auf allen Turnieren. Doch so still sie sich auch verhalten, das verräterische Lächeln ihrer Lippen spricht Bände. Beim Fernschach ist man vor derlei kiebitzenden Dünkeln sicher, und so konnte im heutigen Rätsel der Sphinx der 1982 verstorbene schwedische Fernschachmeister Axelson ohne eigensüchtige Gaffer die Pointen finden. Also, Wanderer, Weiß hatte zuletzt 1.Lc1-d2 gespielt, aber das Schiff war schon am Sinken!
A. Larsen - Axelson
Fernpartie 1968
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
In der Ausnutzung positioneller Vorteile war Petrosjan ein
unschlagbarer Meister, und so konnte er seinen Kontrahenten Tolusch
mit 1.g2-g4! f6xe5 2.f4xe5 Ld6-e7 3.0-0-0! - prächtig gespielt, denn
der schwarze Läufer darf nicht nach g6 zurückweichen wegen 3...Lh5-g6
4.Ld3xg6 f7xg6 5.Dc2xg6+ mit hervorragenden Angriffschancen - 3...Le7-
g5 4.g4xh5 Kg8-h8 - 4...Lg5xe3+ 5.Kc1-b1 Kg8-h8 6.Dc2-e2 Le3xd4 7.De2-
d2 - 5.Dc2-f2 f7-f5 6.h2-h4 Lg5-e7 7.Df2-f4 restlos niederwerfen. Man
ist immer wieder überrascht von der geradezu gemütlichen Art und
Weise, in der Petrosjan seine Partien gewann.
Erstveröffentlichung am 18. Mai 2004
12. Mai 2017
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