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SCHACH-SPHINX/06426: Theoriehocker und andere Stubengelehrte (SB)


"Wer nicht täglich eine Furcht überwindet, hat die Lektion des Lebens nicht gelernt", so Amerikas Dichterkönig Ralph Waldo Emerson. Auch Schachmeister stehen unentwegt vor diesem Problem. Der Turnierbetrieb zwingt sie förmlich, sich von Woche zu Woche Neuerungen in den Varianten zu ersinnen, die sie spielen. Auf der Theorie hocken zu bleiben wäre tödlich fürs Geschäft. Wer nicht schritthält mit dem raschen Vorwärtsschreiten der Zeit, wo nahezu auf jedem Turnier die eine oder andere Variante auf den Prüfstand gehoben wird, bleibt auf der Strecke. Man erinnere sich nur an das geistige Chaos, als Garry Kasparow in seinem New Yorker Weltmeisterschaftskampf gegen Viswanathan Anand die offene Variante der Spanischen Partie mit einem Schlag zu diskreditieren schien. Wer wagte sich noch auf dieses Terrain vor, nachdem der Weltmeister ein Machtwort gesprochen hatte? Viele Analysestunden haben dem Schrecken mittlerweile den Zahn gezogen. Man darf den Offenen Spanier wieder spielen ohne Gewissensfurcht. Ein Schachmeister muß also zusehen, der Zeit möglichst einen halben Schritt voraus zu sein. Daher werden Meister, die stur nach den Buchstaben der aktuellen Theorie spielen, nicht selten belächelt. Man lese dazu bei Paolo Maurensig in seinem Buch "Die Lüneburg-Variante" nach, wo, auf diesen Spielertypus gemünzt, halbironisch geschrieben steht: "Er war kein Genie, aber man kann auch nicht sagen, daß er schlecht spielte. Das fehlende Talent glich er mit einer beneidenswerten Technik aus. Er war ein guter Theoretiker, und seine Eröffnungen waren immer tadellos. Er hatte sicher nicht viele Ideen: Wenn er bereits beschrittene Pfade verließ, geriet er immer in Schwierigkeiten, aber insgesamt war er ein ausgezeichneter Gegner, und ihn zu schlagen war gar nicht einfach." Auch im heutigen Rätsel der Sphinx treffen wir auf einen solchen Pappkameraden. Beflissentlich theoretisieren und dann, aus einer Laune heraus, sich etwas zurechtfabulieren. Weiß schlug im Stellungsbild nun den schwarzen Königsspringer mit 1.Lg5xf6 - gängige Theorie -, sein Gegner sah jedoch Gespenster, als er 1...Le7xf6? erwiderte. Welche rasche Notwendigkeit und Konsequenz folgte daraufhin, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/06426: Theoriehocker und andere Stubengelehrte (SB)

Scheffer - Szeicht
Fernpartie 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Idee hinter 1...Sd7-f6 2.Tf2xf6! gehört heute zum Repertoire eines jeden fortgeschrittenen Turnierspielers. Seinerzeit allerdings mußte man sich dieses Wissen noch selbst erschließen. Steinitz verschaffte sich mit dem Qualitätsopfer zwei gebundene Freibauern. Gunsberg erwiderte mit 2...g7xf6, weil 2...Dd8xf6 3.d4xe5 Df6xe5 4.Dd5xe5 Te8xe5 5.d6-d7 sofort gewonnen hätte. Ein Entkommen gab es für ihn allerdings auch so nicht: 3.d6-d7 Te8-g8 4.d4xe5 Tg8-g5 - 4...f6xe5 5.Dd5xe5+ Tg8-g7 6.La3-b2 Dd8-g8 7.De5xg7+ Dg8xg7 8.Tc1-c8+ und Matt im nächsten Zug - 5.Dd5xa8! Dd8xa8 6.Tc1-c8+ Tg5-g8 7.Tc8xa8 Tg8xa8 8.e5-e6 und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 31. Dezember 2004

26. Dezember 2017


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