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SCHACH-SPHINX/06490: Der Schwindel mit dem Ideal (SB)


Wie stellt man sich einen idealen Schachspieler vor? Souverän muß er sein, ganz klar, und seine Stirn sollte sich nicht wie bei einem aufgepeitschten Meer in Wellen werfen. Man muß den Eindruck gewinnen, als würde er jeden Spielzug mit nachlässiger Gebärde ausführen, während seine Kontrahenten stöhnend wie Lasttiere und Esel ihre Gedanken von Zug zu Zug tragen. Das Lächeln des Sieges erhellt schon vom ersten Bauernzug die Mienen des unbezwingbaren Idealspielers. Für ihn hebt sich das Schach nicht wie ein furchteinflößender Dom über seinen Kopf. Er ist kein kasteiender Bruder im härenen Mönchsgewand, er geht nicht barbuß und mit reuigem Blick durch die Welt. Seine Augen blicken offen, optimistisch, ungetrübt von irgendwelchen Bedenken. Er weiß, daß das Schach aus einer viel tieferen Quelle seines Schaffens hervorsprudelt. Daher benötigt er auch nicht wie seine Berufskollegen lästige Vorbereitungen wie das Pauken von Varianten und das Herausschnüffeln von neuen Zügen. Aus dem Stegreif findet und brilliert er. Auch ist das Schach für ihn kein Kampf - wie bedauert er doch den armen Emanuel Lasker in diesem Punkte - und auch keine krampfhafte Bestätigungsfessel. Mitleid tränt in seinem Auge auf, wenn er da an Alexander Aljechin denkt. Wer's nötig hat, nun ja! Diesen idealen Schachspieler hat es indes wirklich gegeben, er ist kein Wunschbild gescheiterter Materialisten, und hieß José Capablanca, Weltmeister aus Kuba von 1921 bis 1927. Für Capablanca war das Schachspiel in der Tat weder Kampf noch Krampf, denn wie alle Idealisten war er damit beschäftigt, die Welt davon zu überzeugen, daß er das höchste Ziel der Kunst bereits erreicht hatte. Menschen jedoch sind voller Widersprüche und nie gelingt es, eine Partie vom ersten bis zum letzten Zug in harmonischer Perfektion zu spielen. So war selbst die amerikanische Schachlegende Bobby Fischer zuweilen angekränkelt von schwachen Momenten der Furcht und inneren Zerrissenheit. In Bled 1961 stand er mit den weißen Steinen unbestritten auf Gewinn. Mit 21.Le2xb5 beschritt er jedoch einen unnötig langen Weg und konnte Tal erst im 47. Zug zur Kapitulation zwingen. "Ich war so damit beschäftigt, Material zu gewinnen, um die Partie nicht zu verpfuschen", daß er im heutigen Rätsel der Sphinx den kürzeren Gewinnweg übersah, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06490: Der Schwindel mit dem Ideal (SB)

Fischer - Tal
Bled 1961

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Auch ein Teufel im Schwefelbad hätte die Opferkombination, beginnend mit 1.Te1xe6+!, gefunden, ohne ins Fluchen zu kommen. Die Annahme des Turmopfers hätte in wenigen Zügen wie leicht ersichtlich zum Matt geführt, die Ablehnung ebenfalls, zum Beispiel 1...Ke8-d8 2.Dh6-f6+ Kd8-c8 3.Te6xc6+ Kc8-b8 4.Df6-d6+ Kb8xa7 5.Tc6xa6#


Erstveröffentlichung am 4. März 2005

28. Februar 2018


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