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SCHACH-SPHINX/06572: Tals kleiner Fehltritt (SB)


1956 bei der Studenten-Weltmeisterschaft saß am dritten Brett ein unscheinbar wirkender junger Mann, von dem noch niemand ahnte, daß er in den kommenden Jahrzehnten bis zu seinem Tode die Schachwelt ganz gehörig auf den Kopf stellen würde. Es war sein internationales Debüt als Mitglied der sowjetischen Studentenmannschaft. Seine Leistung war schon damals hervorragend. Von fünf möglichen Punkten erreichte er vier. Sein Name: Michael Tal. Nicht von ungefähr nannte man ihn den Zauberer aus Riga. Anekdoten über ihn und seine Glanzpartien gibt es zuhauf. An dieser Stelle soll eine pikante Geschichte erzählt werden. Es ist Brauch in Rußland, Turniere dem Gedenken eines berühmten Schachmeisters zu weihen. Nicht selten wird die Verehrung jedoch in hohem Maße übertrieben, so daß schließlich Halbgötter und nicht sonderlich bemerkenswerte Meister aufs Podest gehoben werden. Für Michael Tal, der durchaus die Leistungen der alten Meister anerkannte, nicht jedoch den Rummel um ihre Person liebte, waren Gedenkturniere daher immer schon ein Grauen gewesen. Als er 1967 ein großes Turnier in Moskau gewann, ließ er seinem Unmut freien Lauf: "Wir spielen lauter Memoriale. Mal zum Gedenken des großen Tschigorin, mal des noch größeren Aljechin. Soeben beenden wir ein Turnier - ich weiß nicht zu wessen Gedenken." Peinlich berührt senkten seine Großmeisterkollegen die Köpfe. Denn Tal wußte nicht, daß dies Turnier der "großen sozialistischen Oktoberrevolution" geweiht war. Ein Nachspiel hatte dieser Fehltritt für ihn freilich nicht. Das heutige Rätsel der Sphinx ist - Tradition muß sein - Michael Tal gewidmet, auch wenn er sich nun aus Zorn gerade im Grabe herumdreht. Sein schwedischer Kontrahent aus der Studenten-Weltmeisterschaft hatte die Königsindische Verteidigung jenseits von gut und böse behandelt. In der Partie setzte Morgen nun mit 1...Dd8-d6 fort und gab nach 2.Le4xh7+ Kg8-h8 3.Lh7-e4 a5-a4 4.g4- g5 auf. Die schwarze Stellung hatte keine Perspektiven. Nun, Wanderer, wie hätte Tal seinen Vorteil verwerten können, wenn der Schwede 1...h7- h6 gespielt hätte?



SCHACH-SPHINX/06572: Tals kleiner Fehltritt (SB)

Tal - Morgen
Studenten-WM 1956

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Solche Geschenke wie 1.Se5-g4?! darf man Michael Adams nicht machen, wenn man die Partie heil überstehen will. Für den Bulgaren Kiril Georgiew kam die Reue jedoch zu spät, denn nach 1...Sa4xc3! 2.b2xc3 - 2.Sg4xf6+ Sd5xf6 geht sofort verloren - 2...Lf6xc3+ 3.Lc1-b2 Tc8-c4! 4.De4-f3 Lc3xb2+ 5.Ka1xb2 Tc4-c2+! 6.Kb2xc2 Da6xa2+ 7.Kc2-d3 Da2-c4+ gab Weiß auf, ohne sich nach 8.Kd3-d2 Sd5-b4+ 9.Kd2-e3 Sb4-c2# oder 9.Kd2-e1 Sb4-c2# mattsetzen zu lassen.


Erstveröffentlichung am 25. Mai 2005

22. Mai 2018


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