Mitunter sind die einfachsten Drohungen die am schwersten wahrzunehmenden. Offenbar neigt das Auge und das dahinterhockende Gehirn dazu, simple Gefährdungen als weniger drastisch zu beurteilen. Ebendiese werden dann an den Rand der Aufmerksamkeit gerückt. Statt dessen geht man auf die Suche nach versteckten Gefahren. Auge und Hirn sagen sich, wenn schon das Offensichtliche aufgedeckt wurde, dann bleibt noch genügend Zeit, um die Stellung genauer zu erforschen. Leider gerät dabei das eben noch Aufgedeckte wieder in den Schatten des Vergessens. Dergleichen Blackouts kommen häufiger vor, als man glaubt. Selbst unter Großmeistern treten Fälle von akuter Verwirrung auf. Die Bedrohung, die dicht vor der Pupille sitzt, wird schließlich zur Nebensächlichkeit erklärt und übergangen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte Schwarz zuletzt 1...b7-b5? gezogen. Er hatte völlig aus den Augen verloren, daß die Musik ganz woanders spielte, Wanderer.
Leeuwen - Fiorito
Fernpartie 1991
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Diesmal gab es für den Remismaurer Jusupow keine Punkteteilung. Sein
sturmwütige Kontrahent Kasparow zerstörte alle diesbezüglichen
Hoffnungen mit dem kolossalen Springeropfer 1.Sc3-e4!! f5xe4 2.f4-f5
Tg8-g5 3.Tg1xg5 h6xg5 4.f5-f6 Kh7-h6 - bittere Notwendigkeit, denn
nach 4...Te7-e8 5.Df2-g2 folgt ein unwiderstehlicher Mattangriff -
5.f6xe7 Dd8xe7 6.Lh5-f7 d7-d6 7.Ta1-f1 g5-g4 8.Lf7xe6 De7xe6 9.Df2-h4
und Schwarz überschritt die Zeit. Nach 9...Kh6-g7 10.Tf1-f6 hätte er
ohnehin aufgeben können.
Erstveröffentlichung am 18. Februar 2007
10. März 2020
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