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BERICHT/047: Daten zu allen Lebenslagen - Sozio-oekonomische Panel (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 2/2008

Daten zu allen Lebenslagen
Seit 25 Jahren untersucht das Sozio-oekonomische Panel,
wie die Deutschen leben, denken und fühlen

Von Bettina Micka


Ein deutscher Mann, eine exotisch aussehende Frau am Arm - ein einhelliges Urteil: Der Mann hat vermutlich ein Minderwertigkeitsgefühl und versucht es mit einer Frau aus der "Dritten Welt" zu lösen. Aber ist das vielleicht nur ein Vorurteil? Die Antwort darauf findet sich in den Daten der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel.


Das SOEP, wie die Studie weltweit abgekürzt wird, ist eine repräsentative Langzeitbefragung privater Haushalte in Deutschland, angesiedelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Im jährlichen Rhythmus werden immer dieselben Personen und Familien gebeten, Fragebögen zu beantworten - und das seit nunmehr einem Vierteljahrhundert. Die anonymisierten Daten von zurzeit rund 20.000 Personen in 11.000 Haushalten stehen der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung und der wissenschaftlichen Politikberatung zur Verfügung.

Das SOEP ist nicht einfach eine besondere Erhebung in der Art der amtlichen Statistik, die von gesetzlichen Vorschriften strukturiert wird, sondern es ist theoriegeleitet und gehört von Anfang an zur Forschungsinfrastruktur in Deutschland. Was die Erhebung von so verschiedenen Bereichen wie Einkommen, Wohnsituation, Freizeitbeschäftigung, Gesundheit, Persönlichkeitsmerkmalen, politischen Einstellungen und Lebenszufriedenheit zusammenhält, ist die Perspektive der Lebensverlauf- und Lebensspannen-Forschung. Die Daten sind keine bloße Dokumentation des Status quo, sondern sie helfen, Zusammenhänge aufzudecken, Zukunftstrends erkennbar und Entwicklungen vorhersehbar zu machen. Wissenschaftler können damit ihre wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen sowie zunehmend auch psychologischen Theorien testen.

Aber auch für die Sozialberichterstattung und die Politikberatung sind die Daten unverzichtbar. So ergab beispielsweise eine Studie Ende des letzten Jahres, dass sich durch das Arbeitslosengeld II die Armutsquote der Leistungsempfänger von der Hälfte auf zwei Drittel erhöht hat. Hartz IV wirkt erst positiv, seit die Arbeitslosigkeit zurückgeht.

Rund 500 Forschergruppen im In- und Ausland arbeiten gegenwärtig mit den Daten. Aus dem riesigen Datenschatz des SOEP können sie dabei nahezu kostenlos schöpfen. Auch die SOEP-Mitarbeiter am DIW Berlin nutzen die Daten, die sie erheben, für Studien. Ihre Hauptaufgabe besteht aber darin, die Befragung an aktuelle Entwicklungen und die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen sowie die Daten zu verarbeiten und nutzerfreundlich aufzubereiten. Dem DIW ist das SOEP als Serviceeinrichtung angegliedert und arbeitet im Interdisziplinären Verbund der Serviceeinrichtungen (IVS) der Leibniz-Gemeinschaft mit.

"Die Leibniz-Gemeinschaft bietet die besten Voraussetzungen, um eine solche langfristig angelegte Datenerhebung wie das SOEP zu ermöglichen", sagt der Leiter des SOEP, Prof. Dr. Gert G. Wagner. Für die Mitarbeiter bietet sich hier eine langfristige Perspektive, denn nicht alles, was im Rahmen der Studie getan werden muss, ist wissenschaftlich publizierbar. Dies würde für die Forscher im universitären Wissenschaftsbetrieb einen großen Nachteil darstellen. In der Leibniz-Gemeinschaft ist es leichter, eine Balance der verschiedenen Aufgaben zu finden. "Und für eine Längsschnittstudie wie das SOEP sind die Mitarbeiter wichtiger als der Chef", fügt der 55-jährige Volkswirt und Soziologe, dem im Februar das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, hinzu. "Für einen guten Service ist Teamarbeit das A und O."

Und da ein guter Service nur auf Basis sehr guter Forschung möglich ist, überrascht es nicht, dass die Mitarbeiter des SOEP auf ihrem Gebiet in der ersten Liga spielen. Als "exzellent" bewertet der Wissenschaftsrat die Forschungsqualität und bescheinigt "interdisziplinäre Forschung auf höchstem Niveau". Beim kürzlich erstellten Forschungsrating gehörte das SOEP zur Spitzengruppe der drei besten aus insgesamt 57 soziologischen Forschungseinrichtungen in Deutschland. Auch über die Landesgrenzen hinaus hat es sich einen führenden Platz erarbeitet. Um eine internationale Vergleichbarkeit der Daten zu ermöglichen, arbeiten die SOEP-Wissenschaftler mit Institutionen weltweit zusammen. "Gleichzeitig gibt es natürlich auch Konkurrenz, wenn es darum geht, wer die Themen findet, die bisher keine andere Studie im Blick hat", sagt Gert Wagner ganz offen.

Gegründet wurde das SOEP 1981 als Teilprojekt des Sonderforschungsbereiches "Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik", der an den Universitäten Frankfurt/Main und Mannheim angesiedelt war. Bereits 1993 kam es dann zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nach Berlin, da SOEP-Gründer Hans-Jürgen Krupp am DIW Präsident geworden war und das Institut mehr Kontinuität versprach, als das zu der Zeit Universitäten zu können glaubten. Damals wie heute wählt das Umfrageinstitut Infratest Sozialforschung, das mit der Erhebung beauftragt ist, die Befragungs-Haushalte mithilfe eines standardisierten Verfahrens nach dem Zufallsprinzip aus. Interviewer füllen dann im Gespräch mit allen Mitgliedern ab dem 17. Lebensjahr die Fragebögen aus.

Ihr Erhebungsprogramm passen die SOEP-Macher ständig an die neuen Entwicklungen an. So haben sie bereits im Juni 1990, also noch vor der Währungsunion, ihre Datenerhebung auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet. Damit lieferte das SOEP deutschlandweit einmalige Daten für diese Übergangsphase. 1994 kam die "Zuwanderer-Stichprobe" hinzu. Seit dem Jahr 2000 rücken auch die jüngeren Haushaltsmitglieder stärker in den Fokus. Die Kinder-Daten führten bereits zu interessanten Studienergebnissen. So stellte sich heraus, dass Kindergartenkinder bei der Schuleingangsuntersuchung besser abschneiden. Diejenigen, die ab dem dritten Lebensjahr einen Kindergarten besucht haben, müssen seltener von der Einschulung zurückgestellt werden.

Auch die Fragebögen für Erwachsene werden ständig um neue Aspekte erweitert. Gegenwärtig läuft beispielsweise ein Test an, mit dem Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen von Erwachsenen standardisiert werden sollen. Dieses Kooperationsprojekt mit der gesis (Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V.) basiert auf einem erfolgreichen Antrag im Rahmen des "Paktes für Innovation" der Leibniz-Gemeinschaft.

Viele Wissensschätze warten noch darauf, in Studien aus den Daten geborgen zu werden. Immer wieder sind auch für Gert Wagner, der das SOEP schon seit 19 Jahren leitet, überraschende Ergebnisse dabei: "Kürzlich hat eine Studie ergeben, dass sich Menschen mit angeborenem Herzfehler, die in ihrer Jugend operiert wurden, heute bezüglich ihres sozialen Auf- oder Abstiegs praktisch nicht von der Bevölkerung ohne eine solche Operation unterscheiden. Das hatte ich nicht erwartet. Und derartige Studien werden in Zukunft zunehmen", prognostiziert Gert Wagner, der aus seiner Zeit im Wissenschaftsrat einen guten Überblick hat.

Unerwartet waren für den SOEP-Chef persönlich auch die Ergebnisse der Studie zu Ehen zwischen deutschen Männern und Frauen aus der "Dritten Welt", die bestehende Vorurteile und auch bisherige Untersuchungen widerlegt haben. Wie sich nämlich herausstellte, sind es ganz durchschnittliche Männer, die Frauen aus Asien heiraten. Weder sind sie unattraktiver, noch haben sie weniger Sozialkontakte als der deutsche Durchschnittsmann. Und ihre ausländischen Ehefrauen sind ihnen keineswegs unterlegen. Sie sind im Verhältnis zu ihren Partnern sogar gebildeter als in deutschdeutschen Ehen. Weniger attraktiv erscheinen die Männer vor allem deshalb, weil sie im Schnitt acht Jahre älter sind als ihre Partnerinnen. In deutsch-deutschen Ehen sind es dagegen nur rund drei Jahre. Wie lange sich das Vorurteil in deutschen Köpfen trotzdem hält, auch darüber gibt es in Zukunft vielleicht eine Studie - natürlich basierend auf den Daten des SOEP.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2008, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2008