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FORSCHUNG/114: Klimabedingte Migration - (K)ein Horrorszenario? (Uni Bielefeld)


BI.research 37.2010
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Klimabedingte Migration: (K)ein Horrorszenario?

Von Sabine Schulze


20 bis 25 Millionen Menschen sollen schätzungsweise bis 2020 wegen des Klimawandels aus ihrer Heimat emigrieren. Die Organisation Christian Aid, sagt Prof. Dr. Thomas Faist, geht sogar von 700 Millionen Migranten bis 2050 aus. Zahlen, die der Soziologe so nicht nachvollziehen kann. Zumindest aber bezweifelt er eine Monokausalität. Faist erforscht an der Universität Bielefeld klimabedingte Wanderungen und ihre möglichen Folgen. Was in den 80er Jahren nur UN-intern diskutiert wurde, ist heute ein breites Thema sogar über die Fachöffentlichkeit hinaus. Zurückzuführen, sagt Faist, sei dies auch auf den letzten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change aus dem Jahr 2007, in dem gewarnt wurde, dass Menschen aufgrund natürlicher oder menscheninduzierter Veränderungen des Klimas und damit ihrer Umwelt nicht mehr dort leben könnten, wo sie sind. Man sprach vom "Klimaflüchtling". "Eine kontrovers diskutierte Frage ist, ob es sich tatsächlich um eine Flucht handelt - davon spricht man eigentlich, wenn Menschen aus welchen Gründen auch immer verfolgt werden - oder eher etwa um Migration", stellt Faist klar. Der Anstieg des Meeresspiegels oder andauernde Trockenheit in breiten Regionen, Umweltzerstörung oder Degradierung der natürlichen Lebensgrundlagen - durchaus auch als ein Effekt des Klimawandels - kann Menschen dazu bewegen, ihren Siedlungsraum zu verlassen. Ebenso aber können Entwicklungsprojekte oder der Bau von Staudämmen zum Wegzug zwingen - oft genug staatlich verordnet. "Man kann heute recht genau sagen, dass davon aktuell zehn bis 20 Millionen Menschen als durch derartige Entwicklungsprojekte Vertriebene gelten können."


Kaum Migrationsperspektiven für die Ärmsten

Ein Beispiel für eine sowohl sozio-politisch als auch klimainduzierte Migration findet Faist in Darfur: "Zum einen handelt es sich um ethnisch-politische Konflikte, die sich durch den Zusammenbruch von sozialen Mechanismen der Ressourcenbewirtschaftung verschärfen. Zum anderen gibt es dort immer weniger Raum für die Nomaden, weil andere Menschen zuwandern - als Folge von gezielten Umsiedlungen. Weiterhin lässt sich politisch motivierter, gezielter Massenmord an der nomadischen Bevölkerung feststellen. Weil der Regen in der Region auch zunehmend ausbleibt, werden die Ressourcen für Nomaden nun noch knapper." In der Regel aber, betont Faist, fehlen den Menschen die Möglichkeiten für Abwanderung (exit) oder Widerspruch (voice): "Und wenn die Dürre noch so groß ist: Die Ärmsten der Armen können kaum migrieren, und wenn, dann nur über kurze Distanzen." Sie weichen aus in benachbarte Regionen, in denen es den Menschen womöglich nur um Weniges besser geht, und verschärfen dort die Situation. Die Folge können dann tatsächlich Konflikte sein.


Keine Bedrohung für den Westen

"Die Wohlstandsfestungen des Westens aber sind nicht bedroht", sagt Faist trocken. In der Regel sind es die Anrainerstaaten, die die Lasten der Flüchtlingsbewegungen tragen, so etwa der Iran oder Pakistan. Vielleicht aber, das schließt er nicht aus, wird die klimainduzierte Migration auch zunehmen. "Oft fehlt noch ein anderer Anstoß, um die Habseligkeiten zu packen. In der Regel ist es eine Gemengelage von Ursachen, die die Menschen veranlasst, ihre Heimat zu verlassen." Das können akute Umweltkatastrophen sein oder schleichende Prozesse wie Wüstenbildung, oft aber sind es auch kriegerische Auseinandersetzungen. Dabei sind der geographischen Beweglichkeit durchaus Grenzen gesetzt - von den schon genannten mangelnden Ressourcen abgesehen: "Wohin sollten die Bangladeshi gehen? Indien wird sie bestimmt nicht aufnehmen", sagt Faist. Andere Reaktionen auf Veränderungen der Umwelt sind dann zuweilen die Folge: Die Niederlande haben Deiche gebaut, die Menschen in Bangladesh nutzen in zunehmendem Maße schwimmende Gärten, in denen sie Nahrungsmittel anbauen. Faist ist ohnehin skeptisch, was die hohen Zahlen der erwarteten Migranten angeht: "Migrationsprozesse sind nicht monokausal und deshalb auch schwer vorherzusehen. Wenn riesige Zahlen, die jeglicher Grundlage entbehren, ins Feld geführt werden, liegen dieser Dramatisierung oft verschiedene Interessen - wohl meinende oder politisch kalkulierte - zugrunde. Umweltforscher und -aktivisten neigen dazu, die Zahlen hoch anzusetzen, um politische Aufmerksamkeit für die Problematik des Klimawandels zu erzeugen." Das sei, so Faist, eine durchaus verständliche Strategie, die jedoch die Gefahr in sich berge, dass "Migration noch stärker als zuvor als Bedrohung im wohlstandschauvinistischen Westen" betrachtet werde


Besonders arme Länder am stärksten betroffen

Faist geht davon aus, dass weltweit drei Prozent der Menschen internationale Migranten sind - aber eben aus einer Vielzahl von Motiven. Er warnt vor apokalyptischen Szenarien: "Die Flüchtlingsrechte sind ohnehin eingeschränkt genug. Übertreibungen könnten zu weiteren Einschnitten führen." Ohnehin hält er den Begriff des "Klimaflüchtlings" für wenig zielführend: "Er würde einen Rechtsstatus bedeuten, der in der politischen Diskussion vielleicht nützlich, in der analytisch-wissenschaftlichen aber eher unbrauchbar wäre." Zudem lasse er außer Acht, dass eine Migration auch eine pro-aktive Strategie und damit positiv zu bewerten sein kann. Ein Beispiel dafür, sagt Faist, sei antizipierende Mobilität, bevor größere Katastrophen wie etwa Überschwemmungen einträten. Und als Migration müsse man ebenso die Landflucht betrachten: Die ist im Westen Afrikas oft dadurch mitbedingt, dass das Weideland knapp wird und die Regenfälle ausbleiben. Dann erscheint die Stadt als Alternative. Der Soziologe tendiert dazu, die Diskussionen über die Verantwortlichkeit für den Klimawandel in ihren Ursachen und Folgen ernst zu nehmen: "Es gibt ein seit Jahrzehnten zunehmendes Misstrauen zwischen Nord und Süd. Große Versprechungen über Entwicklungskooperationen wurden regelmäßig enttäuscht. So ist schon jetzt absehbar, dass die im Jahr 2010 mit großer Fanfare angekündigten Millenium-Entwicklungsziele verfehlt und vielfältige Ungleichheiten zunehmen werden." Die Misserfolge von Klimagipfeln wie in Kopenhagen, so vermutet Faist, lägen nicht zuletzt in einem jahrzehntelang gewachsenen "Klima des Misstrauens" begründet. Wenn womöglich als Folge des Klimawandels die Extremereignisse zunehmen - was ja prognostiziert wird - dann, so Faist, werden die armen Länder eher betroffen sein. Die Länder mit der schwächsten Position in Weltwirtschaft und Weltpolitik, resümiert der Soziologe, seien die, die durch den Klimawandel am verwundbarsten seien. "Fakt ist aber, dass wir aus diesen Ländern kaum Migranten in Europa haben." Sozialwissenschaftler, sagt Faist, könnten in recht präziser Weise die Dynamiken von Migration erkennen, insbesondere die dabei zentralen Netzwerkprozesse und Kettenmobilitäten. "Wir können darüber reflektieren, sensibilisieren und Anpassungen an Umweltveränderungen beschreiben und erklären. Aber wann, warum und wo in diesen Kontexten Migration erfolgen wird - das ist schwer vorherzusagen."


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Quelle:
BI.research 37.2010*, Seite 4-7
Herausgeber:
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2011