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FORSCHUNG/098: Internationale Flüchtlingskonvention entspricht nicht aktuellen Anforderungen (idw)


Fachhochschule Köln - 30.10.2009

Internationale Flüchtlingskonvention entspricht nicht den aktuellen Anforderungen der Flüchtlingspolitik


Das Ende militärischer Abschottung, die Garantie körperlicher Unversehrtheit der Flüchtlinge, die stärkere Berücksichtigung humanitärer, wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Aspekte in der Flüchtlingspolitik und die Einbeziehung der Flüchtlinge in die Integrationspolitik: Das waren zentrale Forderungen, die auf der Fachtagung "Flüchtlingsschutz als globale und lokale Herausforderung" an die europäische und an die nationale Politik gestellt worden sind.

Hinzu kommt die nachhaltige Bekämpfung und Beseitigung der Fluchtursachen. Auch in der Wissenschaft gibt es Defizite. So wird in der Migrationsforschung bislang die Situation der Flüchlinge eher vernachlässigt und auch in den Lehrplänen der Studiengänge der Sozialen Arbeit muss der Flüchtlingsschutz stärker integriert werden.

Eingeladen hatten zur Fachtagung anlässlich des 60. Jahrestages des Grundgesetzes und des 25-jährigen Bestehens des Kölner Flüchtlingsrates e. V. die Fachhochschule Köln und der Förderverein Kölner Flüchtlingsrat e.V. Die Fachtagung, die am 29. und 30. Oktober 2009 am Campus Südstadt der Hochschule stattfand, wurde unterstützt von UNO-Flüchtlingshilfe, vom Europäischen Flüchtlingsfonds und von der Stadt Köln.

78 Staaten sind laut Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen zurzeit in einem Konfliktzustand. 2008 waren weltweit 42 Millionen Menschen auf der Flucht oder wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Während die Zahl der Flüchtlinge weltweit immer weiter wächst, schotten sich viele Länder immer stärker gegen die Schutzsuchenden ab. Die eigens für den stärkeren "Schutz" der europäischen Außengrenzen neu geschaffene EU-Agentur FRONTEX verstoße sogar massiv gegen geltendes Recht, indem sie auf hoher See Migranten und Flüchtlinge abfängt und zur Umkehr zwingt oder abdrängt. Dies berichtete Wolfgang Schild, der Vorsitzende des Fördervereins Kölner Flüchtlingsrat e.V. "Die Organisation "Borderline Europe" nennt die EU-Seegrenze das größte Massengrab Europas", so Schild weiter. Amnesty International und Pro Asyl schätzten die Zahl der Toten im Zeitraum von 1998 bis Ende 2007 auf etwa 10.000 allein im Mittelmeer, nicht eingerechnet die Zahl der Verschollenen.

"Weil Flüchtlinge in der Regel nicht legal in einen EU-Staat gelangen können", berichtete Franck Düvell vom Centre on Migration, Policy and Society der Universität Oxford, "reist die Mehrheit irregulär ein." Menschen ohne Papiere, die sogenannten "Illegalen" sind politisch, ökonomisch, sozial und kulturell meist besonders benachteiligt. Als eine der wichtigsten humanitären Herausforderungen nannte Düvell die Hilfe für Minderjährige und Frauen, die rund die Hälfte aller Flüchtlinge stellen.

"Die Internationale Flüchtlingskonvention sowie das Mandat der UNHCR entsprechen nicht mehr den Anforderungen des Flüchtlingsproblems", konstatierte Düvell. Aufgrund der Zusammensetzung der Flüchtlinge müssten zusätzlich zur Genfer Flüchtlingskonvention u. a. die UN-Kinderrechtskonvention, die Haager Kinderschutzkonvention, die UN-Konvention zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung von Frauen sowie diverse Abkommen über Sicherheit und Rettung auf See angewendet werden.

Weltweit wurden nach Angaben des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen 2008 insgesamt 839 000 Asylanträge gestellt. In Deutschland schlägt sich das allerdings zahlenmäßig nicht nieder: "Trotz Erweiterung der Asylgründe wurden 2005 nur etwa 2500 Asylbewerber in Deutschland anerkannt", berichtete Markus Ottersbach vom Institut für Interkulturelle Bildung und Entwicklung der Fachhochschule Köln. Mit fünf Prozent anerkannter Asylbewerber hat Deutschland eine der niedrigsten Anerkennungsquoten in der Welt. "Rechnet man dagegen die 11 000 Flüchtlinge, denen im gleichen Jahr das Aufenthaltsrecht entzogen worden ist, obwohl ihre Situation im Herkunftsland nicht sicher ist", so Ottersbach weiter, "hat Deutschland sogar eine negative Flüchtlingsanerkennungsquote".

Obwohl die Kommunen geltendes Recht umsetzen müssen, verfügen sie über politische und rechtliche Spielräume. Ein Beispiel hierfür ist die Stadt Köln. "Die Flüchtlingspolitik der Stadt Köln hat sich in den vergangenen zehn Jahren vor allem auch aufgrund von Aktivitäten der Zivilgesellschaft und der Flüchtlingsarbeit grundlegend gewandelt." Darauf verwies Claus Ulrich-Prölß, Geschäftsführer des Fördervereins Kölner Flüchtlingsrat e.V. auf der Kölner Fachtagung. Anstelle der Abschreckungs- und Ausgrenzungspolitik seien Organisations- und Kommunikationsstrukturen geschaffen worden, um die psychosoziale und die aufenthaltsrechtliche Situation sowie die Integrationsmöglichkeiten von Flüchtlingen insgesamt zu verbessern. Auch konnten sich die demokratischen Fraktionen im Stadtrat auf eine an humanitären Standards orientierte Ausrichtung der Flüchtlingspolitik und die entsprechende Umsetzung des Ausländerrechts verständigen." Obwohl das Unterbringungs- und Betreuungskonzept in Köln eine Erfolgsgeschichte auch für die Flüchtlingsarbeit darstelle, sei längst noch nicht all das umgesetzt, was vorgesehen sei.

Zu den aktuellen Forderungen des Fördervereins Kölner Flüchtlingsrat e.V. zählen u. a., dass Ausländerbehörde und Interkulturelles Referat weiterhin getrennte Einrichtungen bleiben und dass den Flüchtlingen ein längerfristiger Aufenthalt gewährt wird, um notwendige medizinische und therapeutische Behandlungen der Betroffenen und ihrer Familienangehörigen zu ermöglichen mit der Perspektive eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland. Notunterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen soll es nicht mehr geben, kostenlose Angebote zur Sprache und Orientierung sollen ausgebaut und ein Konzept zur aufenthaltsrechtlichen Integration geduldeter Personen außerhalb von Bleiberechts- und Altfallregelungen entwickelt werden. Personen mit sogenanntem ungeregeltem Aufenthalt soll ein humanitärer Aufenthalt ermöglicht werden, d. h. Zugang zu den zentralen Systemen/Institutionen des öffentlichen Lebens und damit zur gesundheitlichen Versorgung, zu Arbeit, Wohnen, Erziehung und Bildung.

Die Flüchtlingsproblematik wird meistens entlang von Elendsbildern diskutiert und nur im Zusammenhang mit humanitärer Hilfe, kritisierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Gesprächsrunden. "Es ist verdammt noch mal in Ordnung, dass Leute migrieren", unterstrich Miltiadis Oulios von der Redaktion Funkhaus Europa des WDR. "Von einem gesellschaftlichen Konsens, dass Migration ein globales Recht ist, sind wir noch weit entfernt." Dabei hatte vor knapp 200 Jahren bereits Kant festgestellt, dass aufgrund des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, niemand an einem Ort der Erde mehr Recht dort zu sein hat als andere. Darauf wies auf der Fachtagung Notker Schneider von der Fachhochschule Köln in seinem Vortrag "Menschenwürde und Menschenrechte" hin.

Die Fachhochschule Köln ist die größte Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Deutschland. 16.000 Studierende werden von rund 400 Professorinnen und Professoren unterrichtet. Das Angebot der elf Fakultäten und des Instituts für Tropentechnologie umfasst mehr als 70 Studiengänge, jeweils etwa die Hälfte in Ingenieurwissenschaften bzw. Geistes- und Gesellschaftswissenschaften: von Architektur über Elektrotechnik und Maschinenbau, Design, Restaurierung, Informationswissenschaft, Sprachen und Soziale Arbeit bis hin zu Wirtschaftsrecht und Medieninformatik. Hinzu kommen ab Herbst 2009 Angewandte Naturwissenschaften. Zur Hochschule gehört neben Standorten in Köln-Deutz und in der Kölner Südstadt auch der Campus Gummersbach; im Aufbau ist der Campus Leverkusen. Die Fachhochschule Köln ist Vollmitglied in der Vereinigung Europäischer Universitäten (European University Association, EUA). Die Hochschule ist zudem eine nach den europäischen Öko-Management-Richtlinien EMAS und dem Internationalen Standard ISO 14001 geprüfte und zertifizierte umweltorientierte Einrichtung.

Das Institut für interkulturelle Bildung und Entwicklung (INTERKULT) analysiert die Rahmenbedingungen struktureller und individueller Migration mit Blick auf soziologische, juristische, politische, sprachwissenschaftliche und psychologische Implikationen. Darauf aufbauend systematisiert und diskutiert das Institut Ansätze multikultureller und interkultureller Sozialer Arbeit.

Der Kooperationspartner der Fachtagung, der Förderverein Kölner Flüchtlingsrat e.V., setzt sich seit 1984 für die Rechte und die Integration der Flüchtlinge, für Toleranz und Völkerverständigung ein. Er zählt damit zu den ersten Flüchtlingsräten in Deutschland. Sein 25-jähriges Engagement ist für die Fachhochschule ein zusätzlicher Anstoß, die Chancen der Sozialen Arbeit in Köln und darüber hinaus zu diskutieren.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution21


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Fachhochschule Köln, Petra Schmidt-Bentum, 30.10.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2009