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SCHULE/250: didacta 2009 - Lehrer, falsche Berufswahl mit fatalen Folgen (DMAG)


Deutsche Messe AG - didacta - die Bildungsmesse (10. bis 14. Februar 2009)

Lehrer: Falsche Berufswahl mit fatalen Folgen

Mit Eignungstests sollen zukünftige Studenten ihre persönlichen Voraussetzungen prüfen


Hannover. Von wegen beneidenswerter Halbtagsjobber mit voller Bezahlung, langen Ferien und gesicherter Pension: Das weitverbreitete Bild vom Lehrerdasein entspricht nicht der Realität. Vielmehr üben Lehrer einen der anstrengendsten Berufe aus. Zu diesem Schluss jedenfalls kam die im vergangenen Jahr veröffentlichte so genannte "Potsdamer Lehrerstudie". Dennoch scheint sich das Bild vom bequemen und familienfreundlichen Halbtagsjob mit voller Bezahlung hartnäckig selbst in den Köpfen von Studienbewerbern zu halten - mit durchaus fatalen Folgen.

In der "Potsdamer Lehrerstudie" hatte ein Team von Wissenschaftlern des Instituts für Psychologie der Universität Potsdam unter der Leitung von Prof. Dr. Uwe Schaarschmidt über sechs Jahre hinweg die gesundheitliche Belastung von mehr als 16 000 Pädagogen untersucht. Demnach ist der Alltag von rund 60 Prozent aller Lehrer durch einen hohen Anteil an Erschöpfung, Überforderung und Resignation gekennzeichnet. Wie kommt es dazu? Ein Grund könnte schlichtweg die falsche Berufswahl sein. Das zumindest legen die Ergebnisse einer Längsschnittstudie des Bildungsforschers Prof. Dr. Udo Rauin nahe. Der Frankfurter Wissenschaftler hatte mehr als 1 000 Lehramts-Aspiranten vom Studium bis zum Beruf begleitet und über die Jahre insgesamt viermal zu ihrer Wahl und Eignung befragt. Ein wichtiges Ergebnis: Die meisten der später "ausgebrannten" Lehrer fühlten sich bereits im Studium überfordert und waren wenig engagiert. Der Wunsch, im Studium und im späteren Beruf in der Nähe des Heimatortes bleiben zu können, oder die Hoffnung auf ein überschaubares Studium und einen sicheren, familienfreundlichen Arbeitsplatz lagen im Vergleich mit anderen Motiven bei über 50 Prozent aller Befragten weit oben.

Eine falsche Berufswahl aber kann fatale Auswirkungen auf die eigene Gesundheit haben aber auch auf die Schüler, die schließlich unter den belasteten Lehrern am stärksten zu leiden haben. Rauin empfiehlt deswegen unter anderem, mehr in die Beratung der Studienanfänger zu investieren. Dabei könnten manche ihre Studien- und Berufswahl noch einmal kritisch prüfen. Und die schleswig-holsteinische Bildungsministerin forderte bereits während ihrer Amtszeit als Präsidentin der Kultusministerkonferenz im Jahr 2006 Eignungstests für angehende Lehrer. Auch Lehrerverbände mahnen längst Handlungsbedarf an. So fordert der Deutsche Philologenverband die verstärkte Einführung von Eignungsfeststellungsverfahren für angehende Lehramtsstudenten, wie etwa verpflichtende Orientierungspraktika mit professioneller Beratung.

Ein "Selbsterkundungs-Check" für alle, die mit dem Lehrerberuf liebäugeln, ist aus der Potsdamer Lehrerstudie entstanden. Der Deutsche Beamtenbund (dbb) hat diesen Test ins Netz gestellt. Aussagen wie "Ich kann Kränkungen gut wegstecken", "Ich informiere mich umfassend über Gesellschaft und Politik" oder "Mir fällt es leicht, andere zum Lachen zu bringen" können dort auf einer fünfstufigen Skala von "Diese Aussage trifft überhaupt nicht auf mich zu" bis "Diese Aussage trifft völlig auf mich zu" beantwortet werden. Wie die angehenden Lehrer allerdings mit den daraus resultierenden Ergebnissen umgehen, bleibt ihnen überlassen. Auch die Bundesagentur für Arbeit bietet einen ähnlichen Online-Test: "Bin ich als Lehrer geeignet?" Und der gemeinnützige Verein CCT-Career Counselling for Teachers stellt auf seinen Webseiten ein Selbsterkundungs-Verfahren zur Verfügung, mit dem Studieninteressierte ihre persönlichen Voraussetzungen für das Lehrerstudium und den Lehrerberuf überprüfen können. Der Verein hat seinen Sitz am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Österreich. Auch etliche Hochschulen in Deutschland arbeiten bereits an ähnlichen Instrumentarien.

Noch einen Schritt weiter geht die Universität Kassel seit diesem Wintersemester. Alle rund 700 Studierenden des ersten oder zweiten Semesters müssen sich im Seminar "Psychosoziale Grundkompetenzen im Lehrerberuf" schriftlich über die Motive für ihre Studienwahl äußern. Es folgen Übungen, die vier Grundkompetenzen des Lehrerberufs zugeordnet sind: Selbstkompetenz, Handlungskompetenz, Sozialkompetenz und Systemkompetenz. Beobachtet werden die Teilnehmer von zwei Teamern, die jedem Studenten am Ende eine persönliche Rückmeldung über Auffälligkeiten geben und gegebenenfalls weitere professionelle Beratung empfehlen.

Was aber mit Lehramtsstudierenden passiert, die als problematisch eingeschätzt werden, bleibt offen. Wird ihnen weitere Hilfe zuteil, sollten ihnen Auflagen gemacht werden oder können sie ganz vom weiteren Studium ausgeschlossen werden? Diese Fragen sind in Kassel noch nicht geklärt. Problematisch ist diesem Zusammenhang eine andere Tatsache: Bereits jetzt fehlen nach Berechnungen des Philologenverbandes 20 000 Lehrer an Deutschlands Schulen und die Situation wird sich in den kommenden Jahren wegen vieler anstehender Pensionierungen deutlich verschärfen. Es wird also eigentlich jeder Lehrer gebraucht - oder besser doch nur jeder, der wirklich für den Beruf geeignet ist?


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 023/2009 vom 19. Dezember 2008
Herausgeber:
Deutsche Messe AG, Hannover
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2008