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SCHULE/256: Kontrolle ist gut - Vertrauen ist besser (Uni Bielefeld)


BI.research 33.2008
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Kontrolle ist gut - Vertrauen ist besser
Nur Mut zur selbstbestimmten Lernmotivation!

Von Sabine Schulze


Die wenigsten Eltern sind gänzlich unfähig, wenn es darum geht, die Lernbereitschaft ihrer Kinder zu fördern. Die meisten sind "gut genug" - was besagt, dass sie zumindest keinen Schaden anrichten und ihrem Nachwuchs beispringen. In der Schule würde ihnen das vielleicht noch ein "Befriedigend" einbringen. Ein "Gut" aber wäre für viele greifbar, wenn sie weniger kontrollieren würden. Der Frage, wie selbstbestimmte Formen der Lernmotivation im Elternhaus zu fördern sind - oder einfacher ausgedrückt: wie Eltern dazu beitragen können, dass ihre Kinder freiwillig lernen - ist die Bielefelder Psychologin Prof. Dr. Elke Wild nachgegangen. Sechs Jahre lang haben sie und ihre Mitarbeiter Bielefelder Familien begleitet: Familien mit Kindern in der dritten bis siebten Schulklasse. Mithin haben sie auch die kritische Phase der sechsten Klasse, wenn allgemein die Lust am Lernen besonders gering ist, im Auge gehabt.

"In diesem Alter sind es vor allem extrinsische, also von außen einwirkende Gründe, die einen Schüler zum Lernen animieren", sagt Elke Wild. Ganz profan motiviert oft die Tatsache, dass man sich Ärger mit Eltern und Lehrern ersparen will. Und das Image, hohlköpfig zu sein, ist auch nicht gerade förderlich - selbst wenn zugleich der Ruf, ein Streber zu sein, möglichst vermieden wird. "Das Bewusstsein, dass Lernen persönlich bereichernd, das Aneignen von Wissen zuweilen anstrengend, aber eben auch von Erfolg gekrönt sein kann, ist in dem Alter selten eine Triebfeder", sagt Wild. Dabei wünschen sich doch die meisten Eltern, nicht ständig in die Rolle des Zuchtmeisters gedrängt zu werden: Wie schön wäre es, wenn der Nachwuchs mit Begeisterung, freiwillig und selbstbestimmt in die Bücher schauen würde.

"Elterliche Normen und Vorstellungen spielen aber mit einer größeren Wahrscheinlichkeit eine Rolle, wenn die Kinder das Gefühl haben, selbstbestimmt handeln zu dürfen", betont Wild. Das bedeute auch, den Grundbedürfnissen von Kindern Rechnung zu tragen. Und eines der ersten Grundbedürfnisse ist Autonomie. Noch keine zwei Jahre alt und den Windeln noch nicht entwachsen, pochen Klein-Lara oder Linus bereits darauf, Dinge alleine zu machen. Sie gewähren zu lassen, sagt die Pädagogin, heißt nicht, permissiv zu erziehen oder sie mit einem Wust an Wahlmöglichkeiten zu überfordern. Es bedeutet aber, innerhalb klarer Vorgaben und Regeln Freiräume zuzugestehen und Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. "Vor allem aber bedeutet das, auf Kontrolle zu verzichten", betont Elke Wild. "Eltern, die sich ständig einmischen, hemmen Motivation und Leistungsvermögen ihrer Kinder." Das gilt auch für "Problemkinder", für die Mütter und Väter doch nur das Beste wollen: Sie nehmen sich bald nur noch als schwierigen Fall wahr, fürchten, es nie gut genug zu machen und geraten in Stress - was selten förderlich ist. Die Regel, nach der Eltern ihren Schulkindern unter die Arme greifen, sollte ganz simpel lauten: "So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich." Das heißt: Hilfen werden nicht aufgedrängt, Hausaufgaben nicht durch die Eltern erledigt.

Denn das zweite Grundbedürfnis eines Kindes ist, die eigene Kompetenz zu erleben. Ein Hobby, bei dem sich kein Erfolg oder Spaß einstellt, kann man aufgeben. "Schule aber ist eine Pflichtveranstaltung. Und da wäre es doch schön, wenn ein Kind ein positives Selbstkonzept hat." Dazu, sagen die Bielefelder Wissenschaftler, kann die Rückmeldung der Eltern wesentlich beitragen. Die genaue Beobachtung und Analysen von Videoaufnahmen haben gezeigt, dass die Kinder, deren Eltern ihre Fähigkeiten in Frage stellen, schneller aufgeben, nicht so hartnäckig bei der Stange bleiben und eine geringere Frustrationstoleranz haben. Wozu auch durchhalten, wenn die Eltern das doch gar nicht erwarten? "Wichtig sind immer wieder sachliche Anmerkungen: Das hast Du gut gemacht. Oder auch: Hier kannst Du ergänzen und nachbessern." Und möglichst positive, ermutigende Aussagen treffen. Selbst wenn im Diktat noch Fehler sind: Vielleicht sind es schon fünf oder elf weniger als beim vorherigen Versuch. "Eltern sollten das Selbstvertrauen stärken." Wichtig ist auch eine angstfreie Atmosphäre: "Lernen braucht kognitive Kapazität. Wenn die in Anspruch genommen wird von Angst, bleibt der Erfolg aus." Nach den Erkenntnissen von Wild und ihren Mitarbeitern machen zehn bis 20 Prozent der Eltern alles richtig: Sie helfen, wenn Unterstützung eingefordert wird und kümmern sich bei Bedarf. "Weitere zehn bis 15 Prozent sind nicht für ihren Sohn oder ihre Tochter da: Die müssen alles alleine und ohne Anleitung machen." Und das Gros der Eltern ist eben "gut genug" und hat durchaus sinnvolle Strategien. Ihr Fehler allerdings ist oft ein Zuviel an Kontrolle.

"Hier geht es also eher um die Einstellungen der Eltern. Es wäre Sache der Lehrer, daran zu arbeiten. Deswegen muss auch dieses Thema in die Lehrerfortbildung aufgenommen werden." Als Ergebnis der Forschungen hat Elke Wild auch ein Elterntraining entwickelt und gleich an "ihren" Familien getestet. Vor allem aber hat sie sich nach langem Zögern ("Noch ein Ratgeber!") mit ihrer Mitarbeiterin Monika Rammert - wie Wild nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch Mutter - ein Buch verfasst mit dem verheißungsvollen Titel "Hausaufgaben ohne Stress".


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Quelle:
BI.research 33.2008, Seite 36-39
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2009