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SCHULE/257: Lernen - Zwischen Euphorie und Frustration (Bi.research - Uni Bielefeld)


BI.research 33.2008
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Zwischen Euphorie und Frustration
Emotionen in Lehr-Lern-Kontexten

Von Michael Böddeker


Prüfungsangst, Frustration, Leistungsdruck - die meisten werden im Laufe ihrer schulischen Karriere mit diesen Gefühlen Bekanntschaft gemacht haben. Auf der anderen Seite stehen Lernfreude und Erfolgserlebnisse, manchmal sogar eine Euphorie, ähnlich wie sie Bergsteiger beim Erklimmen eines Gipfels erreichen, auch "Flow-Erlebnis" genannt. "Zwischen diesen beiden Extremen gab es in der Forschung früher nicht viel", sagt der Psychologe Dr. Martin Knollmann, der sich in seiner Dissertation mit dem Thema auseinander gesetzt hat. "Tatsächlich aber gibt es beim Lernen die ganze Palette an Emotionen: Stolz, Langeweile, Enttäuschung, Hoffnung, Überraschung und vieles mehr." Knollmann zufolge sind es vor allem diese eher alltäglichen Gefühle, die das Lernen beeinflussen. Untersuchen lassen sie sich mit verschiedenen Methoden - beispielsweise, indem man die Kinder bittet, Tagebuch zu führen. "Oder man bittet Lernende, auf ein akustisches Signal hin ihre Gefühle aufzuschreiben."


Motivation und Lernerfolg

Gefühle werden meist unter dem Gesichtspunkt der Motivation untersucht. "Man spricht von intrinsischer und extrinsischer Motivation", führt Knollmann aus, "intrinsisch bedeutet: Ich lerne, weil es mir Spaß macht und mich interessiert. Eine extrinsische Motivation bedeutet dagegen zu lernen, um ein Ziel zu erreichen, etwa weil die Eltern gute Noten sehen wollen." Höher ist der Lernerfolg, wenn das Lernen intrinsisch motiviert ist. "Man lernt tiefer und behält die Dinge länger", so Knollmann. Heute geht man zumeist von einer Mischung der beiden Arten von Motivation beim Lernen aus. Um die Entstehung der Emotionen zu verstehen, muss man einen Blick auf sogenannte Bewertungsmuster werfen. Knollmann nimmt Bezug auf den deutschen Psychologen Reinhard Pekrun: "Menschen bewerten Situationen unter verschiedenen Gesichtspunkten, etwa bedürfnisbezogen oder kompetenzbezogen. Die bedürfnisbezogene Bewertung fragt: 'bekomme ich, was ich will?', die andere: 'kann ich das?' Diese Bewertung erfolgt unbewusst und führt zu einer Vielzahl von Emotionen." Positive Gefühle wie Stolz und Freude führen zu einer höheren intrinsischen Motivation. Am besten lässt sich dies erreichen, indem die Lernenden individuell und knapp über ihrem aktuellen Leistungsstand gefordert werden. "Eine sehr einfache Aufgabe wie '2 mal 2' zu lösen, macht nicht stolz. Eine Überforderung führt dagegen zu einem Gefühl der Inkompetenz", erläutert Knollmann dazu. Besonders wichtig sei daher eine gute Einschätzung der Schüler durch die Lehrer. Im Unterricht lässt sich das zum Beispiel durch sogenannte Wochenplanarbeit umsetzen. Das bedeutet, die Kinder bekommen einige Stunden pro Woche Aufgaben zugeteilt, die ihrem Niveau entsprechen, und der Lehrer geht durch die Klasse und hilft den Kindern individuell. "Die beste Richtschnur lautet: So viel Hilfe wie nötig, aber so wenig Hilfe wie möglich", fasst Knollmann zusammen.


Arbeit mit Schulverweigerern

Doch was lässt sich tun, wenn die negativen Gefühle erstmal da sind? Mit diesem Thema hat Knollmann nach seiner Zeit an der Universität Bielefeld derzeit beruflich in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychatrie in Essen tagtäglich zu tun. Unter anderem werden dort Schulverweigerer betreut, die in Angstzustände geraten, wenn sie in die Schule gehen müssen. Knollmann veranschaulicht die Situation: "Stellen sie sich vor, sie begegnen im Wald einem Bären. Sie bekommen Angst, die dazu führt, dass sie fliehen - in dieser Situation eine sehr nützliche Strategie. " Im Falle von Schul- und Prüfungsangst ist dieselbe Strategie leider wenig sinnvoll: Durch einfache Vermeidung lässt sich das Problem nicht lösen. Hier kommt die Regulation von Gefühlen ins Spiel. So gibt es etwa Antistresstrainings, in denen der Umgang mit negativen Gefühlen geübt wird. Die Regulation von Gefühlen kann auch im Alltag von Studierenden weiterhelfen, sagt Knollmann: "Wenn man zum Beispiel einen Text lesen muss, der ein Gefühl der Langeweile auslöst, kann man sich auf unterschiedliche Weise motivieren, etwa indem man an das dahinter liegende Ziel denkt, eine wichtige Prüfung zu bestehen. Oder man versucht, die Inhalte eines vordergründig uninteressanten Texts mit eigenen Interessen in Verbindung zu bringen". Dysfunktional, aber weit verbreitet, ist dagegen die "Prokrastination", das Aufschieben der Aufgabe. Besonders wichtig ist es laut Knollmann, sich realistische, erreichbare Ziele zu setzen. Ein zu hoher Anspruch führe zu Frustration, die wiederum die Leistung mindert. "So kann eine negative Lerngeschichte entstehen", - eine Abwärtsspirale also. Andersherum fördern auch kleine Erfolgserlebnisse die Motivation und somit den Lernerfolg. Dies gilt nicht nur langfristig - auch in einzelnen Situationen greift der Mechanismus: "Wenn man während eines Referats merkt, dass es gut läuft, entstehen positive Emotionen - in der Folge wird man lockerer und kann eine noch bessere Leistung erbringen."


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Quelle:
BI.research 33.2008, Seite 44-45
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2009