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SCHULE/287: Reformpädagoge Richard Seyfert - verdienstvoll und doch fast vergessen (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 4 vom 2. März 2010

Richard Seyfert - verdienstvoll und doch fast vergessen
"Die beste Bildung ist für den Volksschullehrer gerade gut genug"

Von Dr. Jutta Frotscher


"Die beste Bildung ist für den Volksschullehrer gerade gut genug", dieser Anspruch war Lebensmaxime des Reformpädagogen Richard Seyfert. In der öffentlichen wie in der pädagogischen Geschichtsschreibung zählt er eher zu den Vergessenen. Zeitgenossen hingegen schätzten den hervorragenden Kenner des Volks- und Berufsschulwesens überwiegend als Autor von über 600 Publikationen, überzeugenden Referenten, geschickt agierenden Schulpolitiker und Nestor der akademischen Volks- und Berufsschullehrerausbildung in Sachsen.

Der 1862 nahe Dresden geborene Seyfert gab mit seinem beruflichen Werdegang ein Exempel für den damals möglichen sozialen Aufstieg ab. Nach Absolvierung des Lehrerseminars wurden ihm als Volksschullehrer die fachlichen wie pädagogischen Defizite der Seminarausbildung und auch die des wenig kindgemäßen Unterrichts schnell bewusst. Eine strukturelle Lösung sah er in der Einheitsschule, in einer allgemeinen, simultanen, unentgeltlichen Pflichtschule für Kinder aller sozialen Schichten und Religionen. Im Engagement für den Ausbau der Fortbildungsschule mit allgemeinbildenden und beruflichen Aufgaben setzte Seyfert seinen Einheitsschulgedanken fort. Letztlich übertrug er diesen auf die Lehrerschaft. Sah er doch im fachwissenschaftlich und pädagogisch-psychologisch bestens ausgebildeten Lehrer eine wesentliche Voraussetzung für die langfristige Anhebung des Bildungsniveaus im Volk. Bereits 1899 artikulierte er erstmals seine Forderungen nach einem einheitlich nach akademischen Maßstäben ausgebildeten Lehrerstand.

Er selbst studierte ab 1896 an der Leipziger Universität neben seiner Schulleitertätigkeit. Hier prägten ihn besonders die 1902 auch zur Promotion führenden Arbeiten in der experimentellen Psychologie bei Wilhelm Wundt.

In den folgenden Jahren avancierte er vom Seminarlehrer zum Seminardirektor. Der Eintritt des nationalliberalen Seyfert in die politische Laufbahn erwies sich als entscheidend für die Umsetzung seiner Reformpläne. Sein 1910 in den Landtag eingebrachter Entwurf für ein progressives Volksschulgesetz erlebte erst unter den neuen politischen Verhältnissen von 1919 im Sächsischen Übergangsschulgesetz seine Verwirklichung. Der inzwischen zum Dezernenten für das Seminarwesen ernannte Seyfert brachte am 8. Juni 1919 auf der Verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar den für die Reform der Lehrerbildung in Deutschland maßgeblichen Antrag ein. Als sächsischer Kultusminister bereitete er in seiner nur vierzehnmonatigen Amtszeit elf entscheidende Gesetze zur Akademisierung der Volksschullehrerausbildung vor und gewann die TH Dresden für seine Pläne. Diese sahen einen dreijährigen, koedukativen, konfessionell unabhängigen und einphasigen Studiengang vor. Mit seinem Dresdener Modell gelang Seyfert ein bislang in der Lehrerausbildung noch nie dagewesener Professionalisierungs- und Szientifizierungsschub. Einerseits gab es mit zirka 65 Prozent einen hohen Anteil pädagogischer, didaktisch-methodischer und schulpraktischer Ausbildungselemente. Dafür nahm im Gebäude des einstigen Friedrich-August-Seminars an der Teplitzer Straße ein Pädagogisches Institut unter Seyferts Direktorat 1923 den Lehrbetrieb auf. Diesem Institut war eine Institutsschule angeschlossen. Als Regelschule erfuhr sie regen Zuspruch, da hier die Lehrerbildner zur Hälfte ihres Lehrdeputates als Leiter einer Volksschulklasse nach reformpädagogischen Grundsätzen selbst vor ihren Studenten praktizierten. Andererseits nutzte man das Leistungspotenzial der TH für die Studien in Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Soziologie und in einem von 22 möglichen Wahlpflichtfächern. Diese für ganz Deutschland neue Qualität der Volksschullehrerausbildung verhalf auch der traditionsreichen Gymnasiallehrerausbildung an der TH zu mehr praktisch-pädagogischer Ausbildung. Seyfert, im Zuge der Eingliederung des Pädagogischen Institutes in die Hochschulstrukturen zum Professor für Praktische Pädagogik ernannt, hielt weiterhin als ehrenamtlicher Referent im sächsischen Ministerium für Volksbildung die "Fäden" in der Hand und richtete 1924 auch einen Studiengang für Berufsschullehrer ein.

Unter dem nationalsozialistischen Regime konnten seine naiven Anpassungsversuche publizistischer wie parteipolitischer Art das Absinken der Lehrerausbildung bis weit unter das Seminarniveau nicht bremsen. Das Werk des 1940 in Dresden-Bühlau verstorbenen Seyfert fand an der TU Dresden erst mit Wiederaufnahme der Berufsschullehrerausbildung 1946 bzw. 1992 mit der Eröffnung eines Studienganges für Grundschullehrer eine Fortführung.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 21. Jg., Nr. 4 vom 02.03.2010, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2010