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FORSCHUNG/092: Altern mit Köpfchen (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - 1/2007
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Altern mit Köpfchen

Von Ulrich Kraft


"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" sagt der Volksmund. Fälschlicherweise. Selbst Opa Hans kann es noch lernen, auch wenn es ihm schwerer fällt. Denn das Gehirn bleibt ein Leben lang wandlungsfähig. Am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung untersuchen Martin Lövdén und seine Kollegen, wie sich die Plastizität des Denkorgans im Laufe der Jahre verändert. Das Ziel: Wege zu finden, um den Geist möglichst lange fit zu halten.


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Martin Lövdén ist 34. Nicht unbedingt das Alter, in dem man sich über das Altwerden Gedanken macht. Doch Lövdén tut dies ziemlich oft - wohl auch, weil er ganz genau weiß, was ihn erwartet. "So mit 65, 70 wird meine geistige Leistungsfähigkeit langsam nachlassen. Mein Gedächtnis wird schlechter, meine Wahrnehmungsgeschwindigkeit verlangsamt sich, und es wird mir schwerer fallen, etwas Neues zu lernen", sagt der Vater zweier kleiner Kinder, wenn er einen Blick in seine Zukunft wirft. Das sei ein ganz natürlicher Prozess, fügt er hinzu und wirkt dabei so nüchtern, dass man fast glauben könnte, er habe sich mit diesem Schicksal bereits abgefunden.

Tatsächlich trifft genau das Gegenteil zu. Martin Lövdén will wissen, warum sich die Gedächtnisfunktionen im Alter verschlechtern und - noch wichtiger - wie sich das verhindern oder zumindest verzögern lässt. Um Antworten auf diese, angesichts der demografischen Entwicklung auch gesellschaftspolitisch drängenden Fragen zu finden, hat der Psychologe am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Selbständige Forschergruppe aufgebaut. Dass man etwas gegen das cognitive aging unternehmen kann, steht für ihn außer Zweifel. "Unser Gehirn bleibt ein Leben lang entwicklungsfähig, deshalb können auch alte Menschen ihre kognitiven Leistungen durch Training und Übung noch verbessern", sagt Lövdéns Kollegin Sabine Schäfer und öffnet die Tür zu einem kleinen Raum im Keller des Dahlemer Instituts.

Dort treten die Max-Planck-Forscher seit März den Beweis an - mit einem "Härtetest für Ältere", wie Martin Lövdén es nennt. Als er seine Forschungsassistentin bittet, das Programm zu starten, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Es könnte der Tatsache geschuldet sein, dass sich die Aufgabe auch für einen Mittdreißiger als ziemlich kniffelig entpuppt. Kurz gesagt geht es darum, sich in einem virtuellen Zoo zu orientieren. Der Proband steigt auf das im Boden installierte Laufband, auf dem Bildschirm vor ihm erscheint der Eingang des Tierparks, rechts oben ist das Wort Löwe eingeblendet. Den König der Tiere gilt es als Erstes zu finden.

Das Szenario wirkt ziemlich echt: ordentliche, von kleinen Baumgrüppchen flankierte Wege, ab und an ein Mülleimer, gelegentlich ein Getränkeautomat. Navigiert wird mit zwei Knöpfen - links, rechts, alles kein Problem. Ein Gehege taucht auf, doch hinter dem Zaun tummeln sich nicht Löwen, sondern Elefanten. Dennoch tut man gut daran, sich den Standort der Dickhäuter einzuprägen. "Sobald die Testperson das gesuchte Tier gefunden hat, wird das nächste Ziel vorgegeben", erklärt Sabine Schäfer. "Zehn sind es insgesamt."


Wirrwarr im virtuellen Irrgarten

Die Erfolgsliste der momentanen Testperson ist recht kurz: Neben dem Löwen steht nur das Känguru darauf - nach gut 20 Minuten Suchmarsch in der virtuellen Realität. Eine Sitzung dauere normalerweise 50 Minuten, verrät Schäfer und schiebt, wie es sich für eine gute Psychologin gehört, gleich den passenden Trost hinterher. "Niemand schafft einen Zoo pro Sitzung, selbst wenn er perfekt navigiert, geht es rein zeitlich nicht."

Und das ist Absicht. Die Forscher des Max-Planck-Instituts haben die Tierparks gezielt so angelegt, dass ihre Versuchsteilnehmer mehr als eine Übungseinheit brauchen, um sich in dem Wirrwarr von Käfigen und Wegen zurechtzufinden. Drei Sitzungen gibt es pro Woche, und jedes Mal setzt der Proband den Parcours exakt an der Stelle fort, an der er beim letzten Termin nach Ablauf der Testzeit stehen geblieben ist. "Er weiß also, dass er übermorgen weitermachen muss und denkt deshalb vermutlich auch zu Hause noch über das Labyrinth nach", erläutert Martin Lövdén. "Davon versprechen wir uns einen zusätzlichen Trainingseffekt."

96 Menschen werden insgesamt an der Studie teilnehmen, die eine Hälfte sind Studenten zwischen 20 und 30 Jahren, die andere Senioren im Alter von 60 bis 70. Die Testpersonen müssen das Training 14 Wochen lang absolvieren, davor und danach fahren sie an die Universität Magdeburg zur Kernspintomografie. Mit diesem bildgebenden Verfahren wollen die Forscher herausfinden, wie sich spezielle Hirnareale als Reaktion auf das intensive Lernprogramm verändern - und ob diese Veränderungen bei Älteren anders aussehen als bei Jungen.

Das besondere Augenmerk der Wissenschaftler gilt dabei dem Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnisbildung wichtigsten Region des menschlichen Denkorgans. Sämtliche neuen Informationen werden in diesem kleinen Bereich am unteren Rand der Hirnrinde verarbeitet. "Außerdem weiß man, dass der Hippocampus plastisch ist", sagt Sabine Schäfer und gibt damit ein entscheidendes Stichwort.

Der vom griechischen Wort 'plastokos' ("zum Formen geeignet") abgeleitete Begriff Plastizität beschreibt eine Eigenschaft, die dem Gehirn lange Zeit gänzlich abgesprochen wurde: Wandlungsfähigkeit. Spätestens mit der Pubertät, so dachte man, sei die Entwicklung des Organs abgeschlossen und fortan würden Nervenzellen, wenn überhaupt, nur noch abgebaut. Doch heute steht fest: Das erwachsene Gehirn verändert sich bis ins hohe Alter hinein ständig. Schon ein geringfügiger Wechsel der Lebensumstände kann plastische Umbauprozesse, wie das Sprossen neuer Nervenzellverbindungen, in Gang setzen. "Die Plastizität ermöglicht es uns, unser Verhalten an die Umgebungsbedingungen anzupassen und neue Dinge zu lernen", erklärt Lövdén. "Älteren Menschen fällt das zwar schwerer, grundsätzlich bleibt aber auch ihr Gehirn plastisch."


Training hinterlässt Spuren im Gehirn

Dementsprechend rechnet der Psychologe fest damit, dass sein Orientierungstraining bei allen Probanden neuronale Spuren hinterlässt. "Wir erwarten eine Volumenzunahme des Hippo-campus, die bei den älteren Probanden aber geringer ausfallen sollte als bei den jungen." Lövdén nennt drei Mechanismen, durch die diese Vergrößerung zustande kommen kann: "Durch die Bildung neuer Blutgefäße, neuer synaptischer Verbindungen - und nicht zuletzt durch Neurogenese, also die Produktion neuer Nervenzellen."

Hätte er diesen Satz vor zehn Jahren gesagt, wäre er von seinen neurowissenschaftlichen Kollegen wahrscheinlich für unzurechnungsfähig erklärt worden. Denn damals waren alle überzeugt: Egal was im Gehirn passiert - es ist vollkommen ausgeschlossen, dass neue Neuronen wachsen. Dass man den Begriff Neurogenese heute in den Mund nehmen darf, ohne seinen wissenschaftlichen Ruf zu riskieren, liegt nicht zuletzt an Fernando Nottebohm von der Rockefeller University in New York.

Mitte der 1980er-Jahre fragte sich der Biologe, warum männliche Kanarienvögel im Frühjahr ein ganzes Repertoire von Melodien besitzen, das sie im Laufe des Sommers aber verlieren - um dann im nächsten Frühling die Weibchen mit neuen Liedern zu betören. Nottebohms seinerzeit ziemlich gewagte Erklärung: Nach der Paarungszeit gehen Nervenzellen in den Gesangszentren der Vögel zunächst unter, um dann im Frühjahr durch neue Neuronen ersetzt zu werden. Mittels radioaktiv markierter DNA-Bausteine erbrachte er den Beweis: Tatsächlich produzierten die Sangeskünstler im Frühjahr jede Menge frischer Hirnzellen.

Im Jahr 1998 zeigten schwedische und amerikanische Neurowissenschaftler, dass es auch im menschlichen Gehirn Neurogenese gibt. Und zwar im Hippocampus, also dem Areal, das die Forscher des Berliner Max-Planck-Instituts bei ihren Probanden mit der Kernspintomografie untersuchen. Fest steht: Diese Region sieht nicht bei jedem Menschen gleich aus. So scannte Eleanor Maguire vom University College London 1999 die Gehirne von 16 Londoner Taxifahrern und stellte fest, dass deren Hippocampus vor allem im hinteren Teil deutlich größer war als bei Vergleichspersonen mit anderen Berufen.

Martin Lövdén erstaunt das nicht: "Gerade für die räumliche Orientierung ist der Hippocampus eine ganz zentrale Region." Und Orientierungsvermögen ist unbedingt vonnöten, um im gigantischen Straßengewirr der englischen Hauptstadt den schnellsten Weg von A nach B zu finden. Manche cab drivers pauken jahrelang den Stadtplan, bis sie die Prüfung für ihren Taxischein endlich schaffen. Und je mehr Berufsjahre, desto ausgeprägter die Vergrößerung des Hippocampus. Eleanor Maguires Schlussfolgerung: "Der Hippocampus hat seine Struktur verändert, um die riesige Menge an Navigationserfahrung aufzunehmen."


Wachstum gibt Rätsel auf

Kann sein, muss aber nicht, meint Lövdén. "Es wäre ebenso möglich, dass jemand ein sehr gutes Orientierungsvermögen besitzt und deshalb Taxifahrer wird, sein Gehirn aber schon vorher anders aussah." Lövdéns Einwand ist absichtlich ein bisschen provokativ, vorschnelle Schlussfolgerungen sind nicht sein Ding. Tatsächlich spricht jede Menge dafür, dass die Veränderungen durch das permanente Training angestoßen werden. Vergangenes Jahr scannte ein Team um Bogdan Draganski von der Universität Regensburg die Gehirne von Medizinstudenten vor der heißen Lernphase fürs Physikum und nach Abschluss der berüchtigten Zwischenprüfung, die es an Schwierigkeit mit dem Londoner Taxi-Examen aufnehmen kann. Resultat der monatelangen Büffelei war: ein vergrößerter Hippocampus.

Doch für Sabine Schäfer hat die Studie ein Manko: "Man sieht zwar Wachstum, weiß aber nicht, woher es kommt." Sprießen zusätzliche Blutgefäße? Werden weitere Synapsen gebildet? Oder entstehen gar neue Neuronen? Um der Lösung des Rätsels näher zu kommen, wird das Team am Berliner Institut seine Probanden einer Magnetresonanzspektroskopie unterziehen. Mit diesem Verfahren lässt sich die Konzentration bestimmter Metaboliten ermitteln. Im Visier haben die Berliner Wissenschaftler ein Molekül namens N-Acetylaspartat Acid, kurz NAA.

"NAA ist ein Stoffwechselprodukt, das Hinweise auf die Dichte und Funktionalität der Nervenzellen gibt." Martin Lövdén formuliert das etwas vage. Denn darüber, ob sich die Hirnzellen besser vernetzen oder ob sich neue Neuronen bilden, gibt auch das Metaboliten-Mapping mittels Magnetresonanzspektroskopie keinen Aufschluss. Trotzdem: Wenn der Hippocampus durch das Orientierungstraining größer wird, ohne dass NAA ansteigt, steht mehr oder minder fest, dass dahinter keine neuronalen Prozesse stecken. "Klar erwarten wir, dass sich bei den Nervenzellen etwas verändert, doch für den Lerneffekt ist der Aufbau neuer Kapillaren wahrscheinlich genauso wichtig", so Lövdén.


Genvariante für ein besseres Gedächtnis

Bis Schäfer und Lövdén erste Antworten auf ihre vielen Fragen bekommen, wird es noch dauern: Frühestens im März 2008 wird der experimentelle Teil der Studie mit knapp 100 Personen beendet sein. Die sind nicht nur nach Alter unterteilt, sondern zudem nach ihren Genen. Genauer gesagt nach dem DNA-Abschnitt, der die Synthese des 'Brain-Derived Neurotrophic Factor' (BDNF) kontrolliert. Aus Tierversuchen weiß man, dass BDNF und die Plastizität des Hippocampus eng miteinander verknüpft sind. Das Neurotrophin reguliert in der so wandlungsfähigen Hirnregion nicht nur Synapsenwachstum und -aktivität, es fördert auch ganz konkret die Neurogenese.

Von dem Gen, das die Expression von BDNF steuert, gibt es zwei Varianten - Allele, wie Molekularbiologen sagen: val und met. Ungefähr 35 Prozent aller Menschen tragen mindestens eine met-Version in ihrem Erbgut, der Rest zwei val-Kopien. "Die Doppel-val-Besitzer tun sich bei verschiedenen kognitiven Aufgaben ein wenig leichter", erläutert Martin Lövdén. "Ihre Gedächtnisleistungen sind besser - und sie haben einen größeren Hippocampus." Was nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat.

Es ist zwar möglich, dass bei zwei val-Allelen mehr BDNF hergestellt wird, das dann im Gehirn wie eine Art Dünger Synapsen und Nervenzellen sprießen lässt. Bislang ist das aber nur eine Theorie. Um sie auf ein experimentelles Fundament zu stellen, ist die eine Hälfte der Testpersonen vom Genotyp val/val, die andere hat mindestens eine met-Variante. "Auf diese Weise können wir klären, ob dieser Faktor die Plastizität beeinflusst", sagt Lövdén. Wenn dem so wäre, müsste die durch das Orientierungstraining induzierte Vergrößerung des Hippocampus bei den Doppel-val-Trägern ausgeprägter sein - egal ob sie jung sind oder alt.

Heißt das, dass letzten Endes das Erbgut darüber entscheidet, ob jemand bis ins Greisenalter geistig fit und lernfähig bleibt? "Ein bisschen Glück mit den Genen mag vielleicht dazugehören", meint der Alternsforscher schmunzelnd. "Viel entscheidender ist aber, dem Gehirn genug geistiges Futter zu geben." Auch sportliche Betätigung trägt nachweislich zum Erhalt der kognitiven Leistungen bei. "Lebe ein reiches Leben" lautet Lövdéns Tipp fürs Alter. Mit reich meint er vor allem ein Umfeld, das viele verschiedene Anregungen bietet. "Mentale Stimulation wirkt dem 'cognitive aging' entgegen."


Soziale Aktivität hält geistig fit

Einen weiteren Faktor haben Martin Lövdén und Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, vergangenes Jahr erstmals hieb- und stichfest belegt: "Der Grad der sozialen Aktivität zu einem bestimmten Zeitpunkt sagt etwas über die kognitive Leistungsfähigkeit in der Zukunft aus", sagt Lövdén: "Umgekehrt ist das nicht der Fall."

Ältere Menschen sind also nicht dann unternehmungslustiger, wenn ihre kognitiven Fähigkeiten größer sind. Das hänge von der Persönlichkeit ab, ergänzt Sabine Schäfer: "Schließlich gibt es viele Menschen, die fast schon dement sind und trotzdem weiterhin regelmäßig zum Kaffeekränzchen gehen", meint die 30-Jährige und übt ein bisschen Sozialkritik: "Dass in unserer Gesellschaft so viele alte Menschen alleine und oft auch ziemlich einsam leben, ist für ihre geistige Fitness sicherlich alles andere als gut."

Für seine Forschungsarbeiten erhielt Martin Lövdén 2006 einen der Sofja Kovalevskaja-Preise, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung an herausragende Nachwuchswissenschaftler verliehen werden. "Ohne das Preisgeld von einer Million Euro wäre unser jetziges Projekt so nicht möglich", sagt der Psychologe. Nicht zuletzt, weil es sehr aufwändig war, das Computerspiel Quake in einen virtuellen Zoobesuch umzuprogrammieren. Warum gehen die Psychologen mit ihren Probanden also nicht einfach in den echten Zoo? Weil dort der Zufall die Aussagekraft ihrer wissenschaftlichen Untersuchung beeinträchtigen könnte. "In der virtuellen Realität haben wir die vollständige experimentelle Kontrolle", unterstreicht Sabine Schäfer die Vorteile. "Exakt dieselben Bedingungen für jede Testperson, das ist ideal."

Was sich als besonders knifflig entpuppte, war, das Level zu finden, das für alle Probanden passt. "Zu schwer wäre demotivierend, zu leicht bringt nichts", so Schäfer. "Damit es zu plastischen Veränderungen kommt, braucht das Gehirn eine Aufgabe, bei der es wirklich gefordert wird." Auf der Suche nach dem optimalen Level haben schon in den Vorstudien Dutzende Menschen am Labyrinth trainiert. Bis heute ungeschlagener Champion ist - man ahnt es vielleicht - ein Berliner Taxifahrer. Hätten die Forscher nicht einige Hürden umschiffen können, indem sie ihren Probanden eine Aufgabe geben, bei der es keine Laufbänder und virtuellen Realitäten braucht? "Wir denken, dass eine räumliche Orientierungsaufgabe perfekt ist", erläutert Lövdén. "Dazu benötigt man das Faktengedächtnis, es geht um serielles Lernen - erst links, dann rechts und dann wieder links - und darum, immer wieder neue Informationen zu verarbeiten. Alles Dinge, bei denen der Hippocampus eine entscheidende Rolle spielt." Also die Region, in der die Max-Planck-Wissenschaftler mit einer trainingsbedingten Vergrößerung rechnen.

Weil sie möglichst rasch erfahren wollen, ob sie mit ihrer Vermutung richtig liegen, herrscht im Dahlemer Keller derzeit Hochbetrieb. Getestet wird parallel in zwei Labors, fünf Tage die Woche jeweils acht bis zehn Stunden. Zwölf studentische Hilfskräfte wurden eingestellt. Vor Trainingsbeginn und zwei Wochen danach werden die Probanden nicht nur zum MRT nach Magdeburg gefahren, sondern zudem einer ganzen Reihe von Kognitions- und Gedächtnistests unterzogen. Solchen, die das Orientierungsvermögen prüfen, und anderen.


Hirnjogging - der wissenschaftliche Beweis fehlt

Denn die Alternsforscher bewegt noch eine Frage: Wenn ein Mensch eine bestimmte Gedächtnisaufgabe intensiv übt, profitieren seine kognitiven Leistungen dann auch in anderen Bereichen? Konkret: Hilft das Orientierungstraining etwa dabei, sich Wortlisten zu merken? "Das herauszufinden, ist eines der großen Ziele in der Plastizitätsforschung", sagt Lövdén. Bislang gebe es allerdings keine Belege, dass ein solcher Transfer stattfindet. Aus diesem Grund hält der Psychologe von den vor allem in den USA boomenden Gehirnjogging-Programmen für Senioren nicht allzu viel. "Die Leute üben eine bestimmte Aufgabe und werden darin auch besser", sagt er. "Aber eben nur bei genau dieser Aufgabe."

Selbst wenn die Werbebroschüren für Hirnjogging-Programme es oft versprechen, der wissenschaftliche Nachweis, dass sich damit das altersbedingte Schwinden der Geistesleistung aufhalten lässt, steht bislang aus. Und Lövdén glaubt auch nicht, dass er jemals erbracht wird, weil es so nicht funktioniere. Letztlich entscheide die Lebensführung über das Wohl unseres Gehirns. "Wer versucht, gesund zu bleiben, sich sportlich betätigt, sein Sozialleben pflegt und mentale Aktivitäten sucht, hat gute Chancen, lange geistig auf der Höhe zu bleiben. Und je früher man damit anfängt, desto besser."


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Ein Zoobesuch im Dienst der Wissenschaft: Auf dem Bildschirm erscheint ein Weg, auf dem der Proband im realistischen Szenario verschiedene Tiergehege ansteuern muss.

> Londoner Taxifahrern ins Hirn geblickt:
Ihr Hippocampus ist im hinteren Teil (oben) deutlich größer als bei Vergleichspersonen, die in ihrem Beruf nicht permanent durch das Straßengewirr einer Millionenmetropole navigieren müssen. Mit diesem Befund hat die englische Neurowissenschaftlerin Eleanor Maguire vom University College London bereits 1999 belegt, dass der Hippocampus, der bei der räumlichen Orientierung eine zentrale Rolle spielt, mit seiner Aufgabe wächst. Die Vergrößerung des hinteren Hippocampus-Teils nahm mit der Zahl der Berufsjahre sogar noch zu (Grafik rechts oben). Dagegen wurde der vordere Teil des Hippocampus kleiner (Grafik rechts unten).

> Martin Lövdén (re.) will herausfinden, ob und wie sich der Hippocampus bei seinen Probanden verändert.

> Zehn Tiere muss die Testperson insgesamt aufsuchen. Das Spiel ist bewusst so angelegt, dass dies selbst bei perfekter Navigation in einer Sitzung nicht zu schaffen ist.

Am Computerbildschirm verfolgen Sabine Schäfer und die
Assistentin Gabriele Faust den Weg des Probanden.

> Christoph Schneider nach einer Vorlage aus: Maguire EA, Woollett K, Spiers HJ. 2006. London taxi drivers and bus drivers: A structural MRI and neuropsychological analysis. Hippocampus 16:1091-1101.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft 1/2007, S. 38-43
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2007