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FORSCHUNG/094: Dem Denken auf der Spur (Campus - Universität des Saarlandes)


Campus Nr. 2, Juni 2007
- Universität des Saarlandes

Dem Denken auf der Spur

Von Gerhild Sieber


Im März fand an der Saar-Uni eine internationale Fachtagung zum Thema Kognitionswissenschaft statt. Was man sich darunter vorstellen kann, und mit welchen spannenden Themen sich Kognitionsforscher beschäftigen, erläutert der Saarbrücker Neuropsychologe Prof. Axel Mecklinger.


Im Mittelpunkt steht das Denken: Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, Problemlösung, Gedächtnis und Sprache - "das sind die klassischen Bereiche der Kognitionswissenschaft", sagt Axel Mecklinger, Professor für Experimentelle Neuropsychologie an der Saar-Uni. Unter dem interdisziplinären Dach der Kognitionswissenschaft arbeiten Forscher aus den Bereichen der Psychologie, Informatik, Philosophie und Linguistik. "Einerseits ist es ein sehr grundlagenorientiertes Fach, das in neuerer Zeit durch die phantastischen Methoden der Neurowissenschaften stimuliert wird", erklärt Mecklinger. Ein anderer Aspekt sei der Bereich der anwendungsorientierten Forschung: "Erkenntnisse darüber, wie unser Gehirn arbeitet, werden in Zukunft immer wichtiger für die Konstruktion von Maschinen, die über eine interne Intelligenz verfügen." Will man beispielsweise einem Roboter beibringen, sich einen Weg zu merken, so sollte man wissen, wie räumliches Wissen in unserem Gehirn gespeichert wird. Allerdings ist der Weg zur Anwendung meist weit. "Die Grundlagenforschung, wie wir sie heute betreiben, schafft die Anwendungen von morgen und übermorgen", betont Axel Mecklinger.

Einer der Forschungsschwerpunkte der Saarbrücker Psychologie ist die kognitive Neurowissenschaft: "Wir untersuchen den Link zwischen den immateriellen Prozessen des Denkens und dem materiellen Substrat, also den konkreten Neuronenverbänden, durch die der Geist funktioniert", erklärt Mecklinger. Einer der Forschungsbereiche, an denen er und sein Team (im Rahmen des SFB 378) derzeit arbeiten, beschäftigt sich mit dem Sequenzlernen wie dem Einprägen von Buchstabenfolgen. Die Herausforderung: Eine Fragestellung muss so operationalisiert werden, dass man sie sinnvoll im Labor untersuchen kann. Im Fall des Sequenzlernens werden Versuchspersonen Buchstaben auf einem Computer-Bildschirm gezeigt, die sich in bestimmten Sequenzen wiederholen. Der Trick: In diese Sequenzen sind einzelne Fehler eingebaut. Während die Testpersonen die Aufgaben bearbeiten, werden ihre Hirnströme durch EEG aufgezeichnet. Das Ergebnis: Immer dann, wenn die Testperson einen Fehler in der Sequenz entdeckt, äußert sich das im EEG als Peak - die so genannte Fehlernegativierung. Diese tritt ansonsten nur dann im EEG auf, wenn man selbst einen Fehler begeht. Bedingt ist diese Fehlernegativierung durch die kurzzeitige Unterbrechung der Dopamin-Produktion des Gehirns, eines Botenstoffs, der für die Vermittlung angenehmer Gefühle zuständig ist. Unser Gehirn generiert permanent Vorhersagen darüber, wie angenehm ein Ereignis sein wird. Das Registrieren der Abweichung zwischen dieser Vorhersage und dem, was tatsächlich eintritt, scheint ein ganz wichtiger Mechanismus für das Lernen zu sein. Je genauer das Gehirn registriert, dass ein Ereignis schlechter ist als erwartet, desto höher fällt die Fehlernegativierung aus und desto besser lernen die Versuchspersonen", fasst Axel Mecklinger das Versuchsresultat zusammen. Dass diese Erkenntnisse auch bei Lernmedien berücksichtigt werden, dafür hat der Psychologe schon gesorgt und bereits erste Vorgespräche mit Kollegen am DFKI geführt, die sich mit der Gestaltung von Lernmedien beschäftigen. Ein anderer aktueller Forschungsbereich der Saarbrücker Neuropsychologen ist die Erforschung des pathologischen Alterns - aufgrund von Demenz- und Alzheimer-Erkrankungen - im Gegensatz zum normalen, gesunden Altern. Ein Projekt, das Mecklinger zusammen mit Kollegen aus der Saarbrücker Psychologie in Kooperation mit Prof. aus Fassbender von der Neurologie am Uniklinikum Hamburg durchführt. Klar ist: "Die hirnstrukturellen Veränderungen, die man bei Demenz-Erkrankungen beobachtet, gehen den tatsächlichen geistigen Symptomen um Jahre voraus", sagt Axel Mecklinger. So könne man diese Erkrankungen schon im Alter von 50 bis 55 Jahren bereits relativ sicher vorhersagen. Mit zwei unterschiedlichen Forschungsdisziplinen will man die Früherkennung dieser Krankheiten vorantreiben: Während Klaus Fassbender die molekulare Ebene - konkret: die Pathologie des Protein-Stoffwechsels untersucht -, konzentrieren sich die Saarbrücker Psychologen auf die Pathologie hinsichtlich des Denkens und des Erinnerns. "Mit den Tests, die die Kognitions- und Neuropsychologie entwickelt hat, hoffen wir, Gedächtnis-Disfunktionen schon in sehr frühen Stadien der Alzheimer-Erkrankung feststellen zu können", sagt der Saarbrücker Hirnforscher.

Mit "normalen", altersbedingten Abbauprozessen im Gehirn beschäftigt sich Prof. Art Kramer von der University of Illinois. Er stellte während der Fachtagung der Kognitionswissenschaftler in Saarbrücken vor, dass sportliches Ausdauertraining diese Abbauprozesse reduziert und sogar umkehren kann. Kramer untersuchte die Auswirkungen von relativ einfacher körperlicher Betätigung wie Laufen auf einem Laufband oder Aerobic-Training bei relativ unsportlichen Amerikanern, die ihre Freizeit ansonsten lieber fernsehend auf der Couch verbrachten. Ergebnis: Die kognitiven Leistungen und der Hirnstoffwechsel der Versuchspersonen verbesserten sich bereits nach zehn bis 14 Tagen signifikant.


Die Frage nach dem freien Willen

Ein Evergreen der Kognitionsforschung sei die Frage nach dem freien Willen, meint Prof. Mecklinger: "Wenn sich unser Denken tatsächlich als Aktivität eines hochkomplexen neuronalen Substrats abbilden lässt, welche Rolle spielt der freie Wille dann noch?" So lassen sich Gehirnprozesse nachweisen, die zwar unser Verhalten steuern, uns aber nicht notwendigerweise bewusst werden. Tatsächlich scheine der freie Wille für das tägliche Handeln relativ irrelevant zu sein. Im Versuch nachweisbar: "Das Bewusstwerden einer Entscheidung läuft zeitlich verzögert zu der damit verbundenen messbaren Hirnaktivität", sagt der Psychologe und fügt spaßhaft hinzu: "Auf gut Deutsch: Sie könnten sich erschießen, ohne dass Sie es merken."

Wieder ein anderer Bereich der Kognitionsforschung beschäftigt sich mit dem Phänomen der Sprache: Prof. Angela Friederici, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, untersucht neuronale Systeme, die dem Spracherwerb und dem Sprachverstehen zugrunde liegen. Um herauszufinden, wie das Gehirn semantische und syntaktische Informationen verarbeitet, werden Versuchspersonen mit Regelverletzungen konfrontiert und dabei ihr EEG aufgezeichnet: Hört eine Versuchsperson den syntaktisch fehlerhaften Satz "Der Honig wurde am gegessen", so zeigt das EEG schon nach 150 Millisekunden einen negativen Ausschlag über der Broca-Region im linken Stirnhirn, die für das sprachliche Regel-Wissen wichtig ist. Bei einem semantischen Fehler wie "Der Honig wurde ermordet" tritt die EEG-Welle dagegen deutlich später (nach 400 Millisekunden) und über einer anderen Gehirnregion auf. Prof. Friederici konnte nachweisen, dass bereits zwölf Monate alte Babys solche semantischen Regelverstöße registrieren.

Mit welchen Methoden lassen sich solche Forschungsergebnisse gewinnen? "Hauptsächlich messen wir die Reaktionszeiten in computerbasierten Tests und hochkanaligen EEG-Untersuchungen", sagt Axel Mecklinger. Die Aktivierung bestimmter Gehirnregionen lässt sich darüber hinaus mittels Kernspin-Tomographie feststellen: Aktive Gehirnregionen brauchen mehr Blut und mehr Sauerstoff als inaktive - diese Veränderungen im Blutstoffwechsel werden im Tomographen sichtbar gemacht. Während die Neuropsychologen die EEG-Untersuchungen im eigenen Labor auf dem Saarbrücker Campus durchführen, sind die Bedingungen für die Tomographie-Untersuchungen noch nicht ideal: Die Wissenschaftler müssen auf den Scanner in Homburg zurückgreifen, der im Wesentlichen für klinische Zwecke verwendet wird und den sie daher nur in Randzeiten nutzen können. "Für unsere Forschungen brauchen wir in der Tat die großen Maschinen - und die sind nicht ganz billig", sagt Axel Mecklinger. Doch er sei guter Dinge, dass die Universität in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum den schon lange anvisierten Magnetresonanz-Tomographen für die Forschung in absehbarer Zeit anschaffe.


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Quelle:
Campus Nr. 2, Juni 2007, Seite 16-17
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
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"campus" erscheint viermal im Jahr während der Vorlesungszeit.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2007