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FORSCHUNG/118: Das Hot Hand Phänomen als evolutionäre Anpassung an Umweltmuster (idw)


Max-Planck-Institut für Bildungsforschung - 03.02.2009

Ein Treffer kommt selten allein
Das Hot Hand Phänomen als evolutionäre Anpassung an Umweltmuster


Der Umgang mit statistischen Zahlen und Wahrscheinlichkeiten fällt den meisten Menschen sehr schwer. Im Gegensatz dazu ist der Glaube, Muster und Regelmäßigkeiten im Auftreten von Ereignissen zu erkennen, weit verbreitet - auch wenn diese bei genauerer Betrachtung oft rein zufällig sind.

Das auch als Hot Hand Phänomen bezeichnete Verhalten ist seit langem bekannt und wurde bisher als kognitive Fehlleistung angesehen. Wissenschaftler vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und der University of California, Los Angeles (UCLA), vertreten in einer jüngst in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Evolution and Human Behavior veröffentlichten Studie die These, dass das Hot Hand Phänomen vielmehr eine evolutionär erworbene Anpassung an bestehende Umweltmuster darstellt.

Ein Basketballspieler der bereits mehrere Körbe erzielt hat wird mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Körbe erzielen. An die Existenz der so genannten Hot Hand glauben Zuschauer und Spieler, wie Wissenschaftler bereits in den 1980iger Jahren nachweisen konnten. Bekannt ist dieses Phänomen aber nicht nur im Sport. Vom Pokerspieler bis zum Fondsverwalter - dem Glauben an die Glückssträhne können sich nur die wenigsten verschließen. Die Wissenschaft bewertete dieses scheinbar irrationale Verhalten denn auch als Misswahrnehmung und kognitive Fehlleistung. Der Psychologe Andreas Wilke, vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, sieht das ganz anders: "Bisherige Studien sind davon ausgegangen, dass es sich um eine kognitive Fehlleistung handelt und haben das Hot Hand Phänomen an evolutionär gesehen völlig jungen Verhaltensweisen wie zum Beispiel dem Basketballspiel untersucht. Wir gehen davon aus, dass der Glaube an Muster und Serienereignisse evolutionäre Wurzeln hat und einen Überlebensvorteil darstellte."

Wilke und sein kalifornischer Kollege H. Clark Barrett gingen in ihrer Studie von der Annahme aus, dass sich das Hot Hand Phänomen in Zusammenhang mit der Beschaffung lebensnotwendiger Ressourcen wie zum Beispiel Nahrung und Wasser, aber auch mit der Wahl des geeigneten Lebensraumes oder dem Auffinden von Sozialpartnern entwickelte. Zur Untersuchung ihrer Thesen setzten sie ein Computerspiel ein, das die schrittweise Suche von Gegenständen simulierte. Die Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer mussten vor jedem Schritt Vorhersagen über das Vorkommen bzw. Ausbleiben unterschiedlicher Gegenstände machen. "Die Gegenstände wurden durch einen Computeralgorithmus rein zufällig auf dem Bildschirm verteilt. Bei der Auswahl der Gegenstände haben wir ganz bewusst sowohl in der Natur vorkommende als auch von Menschenhand geschaffene Ressourcen eingesetzt. Wir wollten sehen, ob es Unterschiede im Vorhersageverhalten bezüglich des Vorkommens von zum Beispiel Früchten oder Bushaltestellen gibt. In einem zweiten Experiment sollten unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Münzwurf - Kopf oder Zahl - vorhersagen", erläutert Andreas Wilke. An der Studie nahmen nicht nur kalifornische Studentinnen und Studenten teil, sondern auch junge Frauen und Männer der Shuar, einem südamerikanischen Indianervolk, das bis heute als Jäger und Sammler in Ecuador lebt.

Das Ergebnis war überraschend. Das Hot Hand Phänomen wurde sowohl bei den Studenten als auch bei den Shuar nachgewiesen. Beide Teilnehmergruppen zeigten einen höheren Grad des Hot Hand Phänomens für natürliche Ressourcen wie Früchte als für künstliche, moderne Gegenstände wie Parkplätze oder Bushaltestellen. Unterschiede zwischen den beiden Teilnehmergruppen gab es allerdings hinsichtlich des Vorhersageverhaltens von Münzwürfen. Hier zeigten die Shuar einen gleich hohen Grad des Hot Hand Phänomens für Münzwürfe wie für Früchte, wogegen die Studenten für Münzwürfe einen geringeren Hot Hand-Grad als für Früchte zeigten.

Andreas Wilke: "Die Ergebnisse zeigen, dass das Hot Hand Phänomen bei ganz unterschiedlichen Populationen kulturübergreifend vorhanden ist. Sie stützen damit unsere These, dass es sich um ein evolutionär erworbenes Verhaltensmuster handelt. Das Hot Hand Phänomen kann durch Erfahrung abgeschwächt werden: Selbst Studenten glauben beim Münzwurf, wenn auch in abgeschwächter Form, Muster und Serien zu erkennen. Den Shuar, die keine Vorerfahrung mit Münzwürfen haben, fehlt die korrigierende Erfahrung."

Wilke und Barrett gehen davon aus, dass sich das Hot Hand Phänomen als eine kognitive Anpassung an eine Umwelt entwickelte, in der Muster und Serien die Norm sind. Tier- und Pflanzenarten, aber auch Mineralien oder menschliche Lebensräume sind nicht gleichmäßig über die Erde verteilt, sondern treten zum Beispiel aufgrund gleicher Bedürfnisse oder saisonaler Besonderheiten an bestimmten Stellen gehäuft auf. Das Hot Hand Phänomen dient der adaptiven Entscheidungsfindung und erleichterte unseren Vorfahren das räumliche und zeitliche Auffinden lebensnotwendiger Ressourcen. "Nicht das Hot Hand Phänomen als solches, stellt die Fehlleistung dar", betont Andreas Wilke, "der Fehler entsteht erst durch die Anwendung auf zufällige Ereignisse wie beim Münzwurf."

Quelle:
Andreas Wilke, H. Clark Barrett, The Hot Hand Phenomenon as a Cognitive Adaptation to Clumped Resources. Evolution and Human Behavior
online seit 14. Januar 2009: www.ehbonline.org/inpress
Der Artikel ist vorgesehen zur Veröffentlichung in der gedruckten Ausgabe von Evolution and Human Behavior, Mai 2009.

MPI für Bildungsforschung
Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.

Dr. phil. Andreas Wilke war von 2002-2005 Fellow der International Max Planck Research School on the Life Course (LIFE) am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Mehr: www.imprs-life.mpg.de

Weitere Informationen unter:
http://www.mpib-berlin.mpg.de
http://www.mpg.de
http://www.imprs-life.mpg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution654


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Dr. Petra Fox-Kuchenbecker,
03.02.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2009