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MELDUNG/338: Trainer Wegner geht hart mit Abraham ins Gericht (SB)



Öffentliche Standpauke als letztes Mittel der Kurskorrektur?

Drei Wochen nach der desolaten Vorstellung Arthur Abrahams gegen den Briten Carl Froch, der ihm in Helsinki die boxerischen Grenzen aufzeigte, klar nach Punkten gewann und sich den vakanten WBC-Titel im Supermittelgewicht sicherte, geht Trainer Ulli Wegner in ungewöhnlicher Schärfe und in aller Öffentlichkeit mit seinem Schützling ins Gericht. Im Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" kritisiert er den Exweltmeister mit unverblümten Worten und stellt die weitere Zusammenarbeit in Frage, so daß sich der Eindruck aufdrängt, er wolle unter höchstem Einsatz eine Grundsatzentscheidung erzwingen.

Wie Wegner einräumt, hat er noch immer nicht unter vier Augen mit Abraham gesprochen. Man habe zwar inzwischen mit Manager Wilfried Sauerland zusammengesessen, doch wolle er sich dazu erst äußern, wenn er allein mit seinem Schützling geredet habe. Daß es drei Wochen nach dem Stein des Anstoßes noch immer nicht zu einer direkten Aussprache zwischen Boxer und Trainer gekommen ist und Wegner die Kontroverse in die Öffentlichkeit getragen hat, unterstreicht, wie verfahren die Situation aus seiner Sicht ist.

Das Debakel in der finnischen Hauptstadt sei die größte Enttäuschung seiner sportlichen Laufbahn gewesen. Marco Hucks Erfolg gegen Denis Lebedew könne Arthurs Niederlage nicht erträglicher machen. Er komme nicht damit klar und finde noch immer keine Worte für die beschämende Vorstellung, sagte Wegner. Er schäme sich für die Niederlage Abrahams, weil dies nicht seine Handschrift gewesen sei. Zwar habe Arthur immer gesagt, er höre auf seinen Trainer, doch allem Anschein nach habe er nun keinen Einfluß mehr auf seinen Boxer. Daß er diesen in den Ringpausen des Kampfs gegen Carl Froch öffentlich als Feigling bezeichnet hat, bedauert Wegner keineswegs. "Feigling" sei das "herrlichste Wort" in dieser Situation gewesen, und unter Dutzenden Reaktionen, die er dazu bekommen habe, sei nicht eine einzige negativ gewesen.

Am schlimmsten findet der 68jährige Wegner, daß Abraham nicht begriffen habe, was er nicht nur allen im Sauerland-Boxstall, sondern auch sich selber angetan hat. Arthur müsse von seinem Thron herunterkommen, da er so überheblich sei und vielen Menschen wehgetan, habe, die nicht nach seiner Pfeife tanzten. Er besitze keine reale Einschätzung seines Leistungsvermögens und seiner Persönlichkeitsentwicklung. Er suche die Fehler nur bei anderen. Sollte er nicht ehrlich zu sich sein, sei eine weitere Zusammenarbeit sinnlos.

Im Super-Six-Turnier muß Arthur Abraham im Halbfinale gegen den ungeschlagenen US-Amerikaner Andre Ward antreten, der das Feld anführt und zum klaren Favoriten avanciert ist. Da Wegner zu Recht fürchtet, daß diese Hürde für Abraham in dessen derzeitiger Verfassung zu hoch sein dürfte, hat er ihm beim Gespräch mit Sauerland vorgeschlagen, zuvor einen Aufbaukampf zu bestreiten. Abraham habe daraufhin gefragt, was er dafür bekommt. "Ich habe ihm geantwortet, an seiner Stelle würde ich umsonst boxen", gibt der erboste Trainer seine Reaktion wieder.

Ulli Wegner versichert, daß er Abraham mag und ihn nie fallen lassen würde. Doch nun sei Arthur an einem Scheidepunkt in seinem Leben angelangt und müsse zeigen, was er wirklich für ein Mensch ist. Durch den Sieg Marco Hucks im schweren Titelkampf gegen den gefährlichen Denis Lebedew sei sportlich erst einmal Ruhe eingekehrt. In Yoan Pablo Hernandez, Dominik Britsch oder Robert Helenius habe er junge Boxer, die durchaus in Arthurs Fußstapfen treten könnten, unterstreicht Wegner, daß er bei allem Ehrgeiz nicht auf Abraham angewiesen ist.

Wie Promoter Kalle Sauerland auf Nachfrage von sportal.de sagte, habe er das Interview Ulli Wegners noch nicht gelesen. Richtig sei, daß Arthur Abraham viele Leute, vor allem aber sich selbst enttäuscht habe. Was das gestörte Verhältnis zwischen Boxer und Trainer betrifft, versuchte Sauerland die Wogen zu glätten. Nach einer derartigen Enttäuschung gebe es zwangsläufig Reibungspunkte, und daß die beiden gerade an einem solchen angelangt sind, zeichne sich deutlich ab.

Als der Berliner "Kurier" Arthur Abraham mit den Angriffen seines Trainers konfrontierte, erwiderte der Boxer kurz und bündig, dazu äußere er sich nicht.

21. Dezember 2010