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MELDUNG/782: Boxen im Schulsport kontrovers gehandhabt (SB)




Je nach Bundesland befürwortet oder abgelehnt

Hinsichtlich der Einschätzung und Bewertung möglicher Gesundheitsgefahren bei der Ausübung des Boxsports gehen die Meinungen weit auseinander. Symptomatisch für die Kontroverse ist insbesondere eine Vermischung sachlich begründeter und dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechender Argumente mit bloßen Spekulationen und ideologisch gefärbten Bezichtigungen. Wie unterschiedlich diesbezügliche Maximen selbst in einem vermeintlich bundesweit einheitlichen gesellschaftlichen Sektor wie dem Schulsport ausgeprägt sein können, illustriert die dort anzutreffende Handhabung in den verschiedenen Bundesländern.

So ist Boxen in Niedersachsen und der Hansestadt Hamburg seit geraumer Zeit als außerunterrichtliches Angebot im Schulsport verankert, während es im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen ein solches Angebot auf lange Sicht nicht geben wird. In den beiden erstgenannten Ländern hebt man die positiven pädagogischen Wirkungen hervor, die seit der Einführung von außerunterrichtlichen Angeboten bezüglich des Boxsports in wissenschaftlichen Begleituntersuchungen evaluiert wurden. Die ermittelten pädagogischen Erfolge, die im Rahmen des Boxsportangebots erzielt wurden, sind demnach eher dazu angetan, eine Weiterführung und einen Ausbau des Angebots an den Schulen zu begründen.

Hingegen teilte der zuständige Referatsleiter für den Schulsport des Landes Nordrhein-Westfalen mit, es gebe "aktuell keine Bestrebungen, den Boxsport an Schulen verbindlich als Teilbereich des unterrichtlichen oder außerunterrichtlichen Schulsports einzuführen". Insbesondere bestünden neben "pädagogischen Begründungszusammenhängen weiterhin Sicherheitsbedenken". Zudem seien "weiterhin Verletzungs- und Gesundheitsrisiken" gegeben. Letztlich müßten die Schulen über ihr außerunterrichtliches Sportangebot selbst entscheiden, doch seien dabei die Rahmenvorgaben für den Schulsport, die das Ministerium setzt, zu beachten. [1]

Das Ministerium, soviel wird deutlich, unterstützt ein Boxangebot in den Schulen des Landes nicht. Die vom ihm genannten "pädagogischen Begründungszusammenhänge", die gegen den Schulboxsport sprechen sollen, werden in der Mitteilung des Ministeriums nicht näher erläutert. Was die geäußerten Sicherheitsbedenken betrifft, so werden diese in Bundesländern wie Niedersachsen und Hamburg anders beurteilt, wo man keine höheren Verletzungsrisiken als in anderen Sportarten erkennen kann.

In welchem hohen Maße Ablehnung oder Befürwortung des Boxsports bei Kindern und Jugendlichen von sachfremden Maßgaben geprägt sind, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort drängten Ärzte, Pädagogen und Politiker Ende der 1990er Jahre mit dem Vorwurf, dieser Sport sei brutal und führe schwerste körperliche Schäden herbei, ein ums andere Mal auf ein generelles Verbot. Nicht lange darauf feierte Boxen jedoch eine regelrechte Wiederauferstehung und avancierte zu einer der beliebtesten Disziplinen im Schulunterricht wie auch den wachstumsträchtigsten Sparten in den Klubs. Landauf, landab trainieren Zehntausende regelmäßig in Turnhallen und Gyms, wobei von Brutalität und Gefahren kaum noch die Rede ist, während der erzieherische Wert nicht nur von Trainern und Lehrern, sondern auch diversen Politikern in den Himmel gehoben wird. Die Amateurklubs profitieren von diesem Trend und konnten ihre Mitgliederzahl vervielfachen, immer mehr Schulen arbeiten fest mit akkreditierten Boxklubs zusammen.

Boxen scheint insbesondere jene Jugendlichen zu erreichen, die ansonsten für Sport kaum ansprechbar sind. Man sagt dem Boxtraining nach, Aggressionen abzubauen, die Disziplin zu fördern und das Sozialverhalten enorm zu verbessern. Inzwischen sind viele Lehrer und Schulleiter voll des Lobes, da Boxtraining positive Auswirkungen auf das allgemeine Verhalten, den Schulbesuch und selbst die Leistungen in anderen Fächern habe. Im Sinne der individuellen Förderung einzelner Schüler gehöre es zum Besten, womit man je gearbeitet habe, und sei bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen besonders erfolgreich. Boxen sei so populär, weil es funktioniere, argumentieren seine Befürworter, was natürlich die Frage aufwirft, wieso das zehn Jahre zuvor noch nicht der Fall gewesen sein soll. Zielstrebig wird erneut das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und das seit langem vom Boxsport selbst zu seiner Verteidigung ins Feld geführte soziale Argument in ein angebliches Patentwerkzeug zur Domestizierung einer verlorenen Generation umgedichtet.

Die Olympischen Spiele 2012 in London warfen ihren Schatten offensichtlich weit voraus und verliehen auch dem Boxsport einen besonderen Schub, handelt es sich doch um eine jener Disziplinen, in denen dank diverser Gewichtsklassen viele Medaillen vergeben werden. Edelmetall ist die Währung des Amateursports, der damit staatliche Fördermittel eintreibt, und zugleich Schmiermittel des Staates, wenn es gilt, gesellschaftliche Widersprüche und soziale Verwerfungen zu kaschieren, indem man nationale Erfolge auf internationaler Bühne feiert. Mußte der britische Amateurverband 2005 mit 50.000 Pfund aus dem Topf der Steuereinnahmen auskommen, so erhielt er 2009 bereits 4,7 Millionen, um sich für die erhoffte olympische Ernte ins Zeug zu legen.

Fußnote:

[1]‍ ‍http://www.boxen.de/news/boxen-als-schulsportangebot-in-nrw- unerwuenscht-18666

3.‍ ‍Mai 2012