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MELDUNG/1322: Im Hamsterrad ewigen Wechselspiels (SB)




Juan Carlos Gomez wieder einmal mit Fritz Sdunek vereint

Juan Carlos Gomez, Sohn eines kubanischen Bauern und Mechanikers, krönte eine erfolgreiche Amateurlaufbahn 1990 mit dem Gewinn der Juniorenweltmeisterschaft. In der Tradition der legendären Boxschule Kubas ausgebildet, beschloß er, seine im Kollektiv erworbenen sportlichen Fähigkeiten privat zu kapitalisieren, und setzte sich fünf Jahre später beim Chemie-Pokal in Halle von der kubanischen Mannschaft ab. Wenig später unterschrieb er einen Vertrag beim Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl, der ihn als einen Rohdiamanten bezeichnete, der mit dem Feinschliff einer sorgsam aufgebauten Profikarriere versehen an die Weltspitze vorstoßen und dort Rendite bringen sollte. So verwandelten sich die gemeinsamen Anstrengungen vieler kubanischer Landsleute, ihm eine fundierte Ausbildung zuteil werden zu lassen, in die Verwertung des daraus hervorgegangenen Könnens zugunsten weniger Profiteure, die sich das sogenannte Humankapital aneigneten.

Gomez trat im Cruisergewicht an und vereinte eine außergewöhnliche Eleganz und Beweglichkeit mit der enormen Wucht seiner Schläge. Zugleich liebte er das unbeschwerte Bad in der Menge und die unterhaltsamen Gesten im Ring, so daß seine außerordentlich variable Kampfesweise mit einer gehörigen Portion Showtalent eine fruchtbare Verbindung einging. Nach einem zügigen Aufstieg in der Rangliste des WBC und 22 leichtfüßig gewonnenen Auftritten wurde Gomez, der unterdessen die Tochter seines Trainers Fritz Sdunek geheiratet hatte, durch einen Sieg über den Argentinier Marcelo Dominguez am 21. Februar 1998 in Mar del Plata neuer WBC-Weltmeister im Cruisergewicht.

Zehnmal verteidigte er erfolgreich seinen Titel, um schließlich 2002 ins Schwergewicht aufzusteigen. Zu dieser Zeit machten ihm jedoch bereits zahlreiche Probleme zu schaffen, die er größtenteils selbst verursacht hatte. Er verkörperte auf geradezu idealtypische Weise das Schicksal eines Exilkubaners, der seine im Kontext spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse und sozialer Einbindung verwobene Identität und Fertigkeit mit einem privatem Besitzstand verwechselte, der allein dem eigenen Verbrauch zur Verfügung steht. Je ungezügelter er sich als leichtlebiger Erfolgsmensch gab, desto gravierender bezahlte er den Preis der Entwurzelung und Vereinzelung, die weder ein sentimentaler Rückblick noch der Verweis auf unterschiedliche Mentalitäten zu erfassen vermag.

Als er Trainingsfleiß vermissen ließ und Disziplin als lästige Pedanterie verachtete, schrieb man dies anfänglich seiner kubanischen Frohnatur zu, die eben gelegentlich mit der steifen Wesensart seiner norddeutschen Wahlheimat kollidieren müsse. Es sollte Jahre dauern, bis sein engstes sportliches und persönlichen Umfeld endlich Konsequenzen zog. Wann immer ihm die Schwierigkeiten über den Kopf wuchsen, entzog er sich durch Flucht. Wiederholt setzte er sich trotz laufenden Vertrags in die USA ab und verkündete, dort könne er endlich die Weltkarriere machen, an der man ihn zuvor gehindert habe. Kohl bezahlte unterdessen die Steuerschulden, die Gomez wie so vieles andere unerledigt zurückgelassen hatte, und gab ihm eine zweite und dritte Chance. Die Zahl der von ihm verlassenen Frauen und Kinder aufzulisten, bedürfte archivarischer Ambitionen, wobei auch die gescheiterte Ehe mit Sduneks Tochter nur eine Episode unter vielen war. Als der Kubaner nach einer positiven Dopingprobe seinem Promoter das Ehrenwort gab, er habe nie im Leben Kokain konsumiert, setzte sich dieser erneut für ihn ein, bis eine Haarprobe auch dieses Täuschungsmanöver widerlegte und die endgültige Trennung zur Folge hatte.

Nach einjähriger Dopingsperre heuerte Gomez beim Konkurrenten Ahmed Öner an, der ihn schon wegen des Streits mit Kohl nur zu gern unter seine Fittiche nahm. Der Kubaner konvertierte zum Islam, ließ sich einen Halbmond auf die rechte Brustseite tätowieren und gab im August 2007 bekannt, er wolle Türke werden. Als er sich in einer Praxis in der Hamburger Mönckebergstraße beschneiden ließ, kam es zum Streit zwischen Öner und dem Arzt, der mit einem Polizeieinsatz und einer Anzeige gegen den heißblütigen Promoter endete.

Getrennt von Sdunek und einem konsistenten Umfeld, boxte der Kubaner zwar auch im Schwergewicht nicht schlecht, doch konnte er nie mehr an seine früheren Glanzzeiten anknüpfen. Wäre es ihm gelungen, jene Qualitäten ins Feld zu führen, die ihn als Champion im Cruisergewicht ausgezeichnet hatten, wäre er zweifellos eine Bereicherung der stagnierenden Königsklasse gewesen. Dank seiner guten Bilanz stieg er beim WBC auf kurzem Wege zum Pflichtherausforderer Vitali Klitschkos auf, der ihn am 21. März 2009 in Stuttgart durch Abbruch in der neunten Runde besiegte. "Ich wußte, daß Gomez sehr schnell ist", erklärte der Weltmeister nach dem Kampf und fügte hinzu: "Er wird aber auch sehr schnell müde." Sdunek, der in der Ecke Klitschkos stand, merkte an, daß ihn Juan dennoch angenehm überrascht habe.

Fritz Sdunek sei der beste Trainer, den er jemals gehabt habe, sagt der inzwischen 40 Jahre alte Kubaner heute über den 66jährigen Hamburger, mit dem er nach all den geschilderten Irrungen und Wirrungen wieder vereint ist. Den ersten gemeinsamen Kampf nach seiner Rückkehr ins Cruisergewicht soll Gomez, für den 53 Siege und drei Niederlagen zu Buche stehen, am 8. März in Ungarn bestreiten. Er tritt in Kecskemet im Vorprogramm der Abschiedsvorstellung Zsolt Erdeis an, der früher Weltmeister im Halbschwer- und Cruisergewicht war.

Da der Ungar ebenfalls von Sdunek betreut wird, bereiten sich die beiden Boxer in den kommenden Wochen gemeinsam vor. Gomez, der in der aktuellen Rangliste des Verbands WBC an Nummer vier geführt wird, kann es eigenen Angaben zufolge kaum abwarten, wieder in den Ring zu steigen. Er sei erfolgshungrig und mache Jagd auf den Titel. Mit Fritz Sdunek in seiner Ecke werde er wieder unbesiegbar sein. Er habe sofort gemerkt, daß die Chemie auch nach so langer Zeit immer noch stimme und man einander blind verstehe. Es werde ihm eine Freude und Ehre sein, gemeinsam noch einmal die Weltmeisterschaft anzustreben. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxen.de/news/am-8-maerz-in-ungarn-erfolgs-duo-gomezsdunek-gemeinsam-im-einsatz-31281

2. Februar 2014