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MELDUNG/1453: Deutscher Boxsport unter dem Damoklesschwert (SB)




Beängstigende Parallelen zwischen Universum und Sauerland Event

Als am 31. Juli 2010 die Zusammenarbeit der Hamburger Universum Box-Promotion mit dem ZDF endete, blieben die Einkünfte in Millionenhöhe aus, ohne die ein Unternehmen dieser Größenordnung nicht geführt werden kann. Damit war das Schicksal des größten Boxstalls Europas besiegelt. Wie zu befürchten war, gelang es Promoter Klaus-Peter Kohl nicht, einen anderen Fernsehpartner zu finden, der in angemessenem Umfang eingesprungen wäre. Auch der spätere Übertrag auf Waldemar Kluch, der finanzkräftige Investoren in Aussicht gestellt hatte, erwies sich nicht nur als Fehlschlag, sondern mündete in einen Rechtsstreit. Nachdem es zunächst langsam, dann aber rapide bergab gegangen war, wurden nach und nach alle Mitarbeiter entlassen, Ende 2012 mußte Universum dann Insolvenz anmelden. Die beteiligten Boxer, die noch vertraglich an das Unternehmen gebunden waren, mußten fast ausnahmslos schwerwiegende Einbußen hinnehmen, etliche vielversprechende Karrieren nahmen Schaden.

Wenngleich der Berliner Promoter Sauerland Event insofern von dem Scheitern seines langjährigen Konkurrenten profitierte, als er nun die unangefochtene Marktführerschaft innehatte und einige Akteure unter Vertrag nehmen konnte, die zuvor bei Universum aufgetreten waren, hing auch über seinem Nacken ein Damoklesschwert. Im April wurde publik, daß der zum Jahresende auslaufende Vertrag mit dem Fernsehpartner ARD nicht verlängert werden soll. Der Sender begründete die Entscheidung mit "finanziell enger werdenden Perspektiven im Sportrechteetat".

Die Einschaltquoten waren nicht das Problem, da der durchschnittliche Marktanteil der Kampfabende 2013 eine Quote von über 20 Prozent erreicht hatte. Die Niederlage Abrahams gegen Robert Stieglitz im März 2013 sahen im Schnitt 4,2 Millionen, die erfolgreiche Titelverteidigung Jürgen Brähmers gegen Enzo Maccarinelli Anfang April verfolgten 3,24 Millionen Zuschauer.

Gründe für das angekündigte Ende der Kooperation mit Sauerland sind zum einen die hohen Kosten, da der Berliner Promoter pro Jahr ca. 12 bis 15 Millionen Euro erhalten haben soll. Der Vertrag mit der ARD sah vor, daß der Boxstall mit seinen Kämpfern zehn Veranstaltungen im Jahr garantiert. Pro Samstagabend soll es je nach Anzahl der Titelkämpfe zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Euro gegeben haben. Da sich der Sportrechteetat der ARD jährlich im dreistelligen Millionenbereich bewegt und allein für die Rechte an der Fußball-Bundesliga pro Saison geschätzte 108 Millionen Euro aufgewendet werden, verbirgt sich hinter der Entscheidung gegen das Boxen weniger ein absoluter Sparzwang, als vielmehr eine Richtungsentscheidung.

Im Zuge der seit Jahren geführten Kontroverse um das Profiboxen in der ARD hatten sich, angeführt von Ruth Hieronymi, der Vorsitzenden des WDR-Rundfunkrats, einige Rundfunkräte der ARD-Anstalten gegen eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen. "Das Ziel beim Profiboxen, den Gegner bis zur Wettkampfunfähigkeit zu schlagen, ist mit den Anforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zu vereinbaren", befand Hieronymi.

Schon in der Vergangenheit hatte die Kooperation zwischen der ARD und Sauerland Event auf Messers Schneide gestanden. Im Jahr 2010 wurde ein Dreijahresvertrag abgeschlossen, der mit insgesamt 54 Millionen Euro dotiert sein sollte. Dagegen regte sich Widerstand bei den Rundfunkräten mehrerer Anstalten, allen voran das Gremium des WDR. Moniert wurde einerseits die Höhe der Summe, doch machte man auch grundsätzliche Bedenken gegen die Präsentation des Boxsports geltend. Die mit dem Berliner Promoter getroffene Vereinbarung erwies sich als anfechtbar, weil die ARD bei Vertragsschluß nicht die Zustimmung der Rundfunkräte der einzelnen Anstalten abgewartet hatte. Im Juni 2011 zeichnete sich schließlich ein vorläufiger Kompromiß ab, da Nachverhandlungen zu der Vereinbarung führten, die Laufzeit zu verkürzen und die Gesamtkosten zu reduzieren.

Nun scheint auch diese Übergangsfrist unwiderruflich abzulaufen. Möglicherweise gibt es für den Berliner Promoter aber noch einen Hoffnungsschimmer, da die Gremien der ARD-Landesrundfunkanstalten im Spätsommer beraten, ob es weiterhin Boxen auf dem Sender zu sehen geben soll. Wilfried Sauerland strebt jedenfalls eine erneute Übereinkunft mit seinem Fernsehpartner an. Sollte der Vertrag mit der ARD tatsächlich nicht verlängert werden, will er mit anderen Sendern verhandeln. Unmittelbare Konsequenzen schließt er aus, zumal der Vertrag mit dem Max-Schmeling-Gym noch bis 2018 läuft. Problematisch könnte allerdings die weitere Zusammenarbeit mit Trainer Ulli Wegner werden, dessen Vertrag an jenen mit der ARD gekoppelt ist.

Sollten sich kursierende Gerüchte bestätigen, müßte man allerdings von beängstigenden Parallelen zwischen Universum und Sauerland Event sprechen. In Berlin wurden bereits die ersten langjährigen Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Pressesprecher Frank Bleydorn ist schon seit längerem nicht mehr für den Promoter tätig, nun mußte offenbar auch Matchmaker Hagen Döring gehen. Wie aus gut unterrichteten Quellen in der Hauptstadt verlautete, mußte Döring bereits seinen Schreibtisch räumen und sein Handy abgeben. Um einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht zu umgehen, würde Döring bis zum Jahresende sein Gehalt weiterbeziehen, dürfe dafür aber nicht für andere Promoter tätig werden. Weder die Verantwortlichen von Sauerland Event noch Döring selbst waren bislang für Stellungnahmen zu erreichen.

Hagen Döring war in den 1980er Jahren als passabler Amateurboxer aktiv und brachte es bis zur Deutschen Vizemeisterschaft 1990. Der ehemalige Referent von Arbeitsminister Norbert Blüm galt seit seinem Amtsantritt bei Sauerland im Jahr 2002 als einer der wichtigsten Akteure hinter den Kulissen, da er Sachverstand, Kontakte in aller Welt und ein Auge für Talente hatte. [1]

Was dem Berliner Unternehmen in dieser Situation zugute kommen könnte, ist sein internationales Engagement. Nisse Sauerland veranstaltet in Skandinavien die "Nordic Fight Nights", sein Bruder Kalle ist in England und den USA aktiv. Mit dem Schwergewichtler David Price und George Groves im Supermittelgewicht wurden zwei namhafte britische Boxer unter Vertrag genommen. Groves fordert am 20. September in London Europameister Christopher Rebrasse heraus, wobei dem Sieger der WBC-Silbergürtel winkt, dessen Träger Pflichtherausforderer des Weltmeisters bei diesem Verband ist. Kalle Sauerland ist es erstmals gelungen, in England eine solche Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Groves hat zuletzt vor 80.000 Zuschauern im Wembley-Stadion gegen seinen Landsmann Carl Froch gekämpft, was seine Popularität bei den britischen Fans unterstreicht.

Denkbar wäre also, daß sich der Berliner Promoter aus Deutschland zurückzieht, jedoch in anderen Ländern weiterhin erfolgreich tätig ist. Doch selbst wenn diese Verlagerung der Aktivitäten funktionieren würde, was bei Wegfall der ARD-Millionen keineswegs sicher wäre, hätte eine solche Entwicklung verheerende Konsequenzen für den professionellen Boxsport hierzulande. Wenngleich sich mit Ulf Steinforths SES in Magdeburg oder Erol Ceylans ECB in Hamburg längst weitere Promoter etabliert haben und zudem etliche Neugründungen sprießen, ist der jahrzehntelange Aufbau eines Unternehmens von der Größenordnung Sauerland Events in absehbarer Zeit kaum zu kompensieren. Profiboxen unter der Regie einheimischer Promoter könnte, zumindest in der bislang gekannten Ausprägung, bald schon der Vergangenheit angehören.


Fußnote:

[1] http://www.boxen-heute.de/artikel/6160-die-geruechtekueche-brodeltmatchmaker-hagen-doering-entlassen.html

12. Juli 2014